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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Natur fortreißen lasse", die namentlich vor viel Jahren einiges Aufsehen
machten.

Im Dienst und Gefolge der Parteien sehen wir nun zunächst die große
Zahl der Erben Johanns ohne Land. Es ist. als ob Riehl hier die Studien
zu seiner Zeichnung des vierten Standes gemacht hätte. Nirgends gibt es
mehr dunkle Existenzen, welche ohne Besitz ohne Arbeit, ohne Erwerb ihr
Leben fristen, trübselige Erben der einstmaligen Abenteurer aus der ärobna
KAlaelitg,.

Der Capitauo, der Emigrant, dem Sie auf jedem Edelhofe begegnen, wo
ihm Mitleid eine Freistätte gewährt, ist noch die edelste, würdigste Gestalt
dieser Art. Oft steht er schon in höhern Jahren, hat Welt und Menschen
kennen gelernt, ist mäßig in seinen Bedürfnissen, wie in seinen Ansichten, ein
treuer Freund des Hauses. Desto widerwärtiger ist die Menge der jungen
Pflastertreter. Unser Volksverein würde unter ihnen prächtige Statisten für
den bewußten Frack in der Wilhelmsstraße finden. Pokraka hat ein treffendes
Bild des Pflastertreters lites'obruk gezeichnet, der, weil er nichts gelernt hat
und nichts lernen will, für nichts Interesse hat, als für Politik. Nach allerlei
mißlungenen Versuchen bettelt er sich bei einer Zeitung an. Da er aber statt
der technischen Artikel, für die er gemiethet ist, nur politische schreiben will
muß ihn der Redacteur entlassen. Er trägt sich ganz national und läßt nur
bei polnische" Handwerkern arbeiten, wie er sagt; in Wahrheit aber können
Sie wohl bei einem deutschen Schneider an der Tafel mit Kreide gezeichnet
lesen: "12 Thlr. für die Czamarke. das Maß des Herrn von X." Sein ganzer
Beruf ist, Zeitungen zu lesen. Demonstrationen zu unterstützen u. f. w. Solch
ein Pflastertreter ist dann glücklich, wenn ihm das Martyrium einer Polizei¬
streife einen kleinen Glorienschein gibt.

Es ist vielleicht mit das größte Unglück an dem gegenwärtigen Agitations'
schwindet, daß, während im letzten Jahrzehnt ein guter Theil der polnischen
Jugend ernst gearbeitet hat, die jetzige die Legion der Zdijobruks recrutiren zu
wollen scheint. Alle Lehrer der polnischen Gymnasien klagen, daß ihre Schüler
nicht mehr lernen, sondern nur noch "wirken" wollen. Die neuerdings ent¬
deckte große Knabcnconspiration bat einen neuen Beweis dafür gegeben. Sie
werden mir nicht zumuthen, über diese Kinderei ausführlich, zu berichten.

Das sind die Factoren der polnischen Bewegung. Von ihnen geht ein
Druck auf die öffentliche Meinung aus, welchem zuletzt auch die Vernünftigsten
nachzugeben sich genöthigt sehen. Ein Keil treibt den andern, und Herr v. Ölberg
bat durchaus Recht.^wenn er feststellt, daß die Zahl der Polen, von denen die
dermaligen Klagen, Ansprüche. Demonstrationen. Drohungen u. s. w. ausgeben,
höchstens 2.000 Köpfe, V"v"<> Theil der Gesammtbevölkerung des Staates beträgt,
"ut die andern 700,000 Polen unter deren Joch vielleicht noch mehr leiden


Natur fortreißen lasse», die namentlich vor viel Jahren einiges Aufsehen
machten.

Im Dienst und Gefolge der Parteien sehen wir nun zunächst die große
Zahl der Erben Johanns ohne Land. Es ist. als ob Riehl hier die Studien
zu seiner Zeichnung des vierten Standes gemacht hätte. Nirgends gibt es
mehr dunkle Existenzen, welche ohne Besitz ohne Arbeit, ohne Erwerb ihr
Leben fristen, trübselige Erben der einstmaligen Abenteurer aus der ärobna
KAlaelitg,.

Der Capitauo, der Emigrant, dem Sie auf jedem Edelhofe begegnen, wo
ihm Mitleid eine Freistätte gewährt, ist noch die edelste, würdigste Gestalt
dieser Art. Oft steht er schon in höhern Jahren, hat Welt und Menschen
kennen gelernt, ist mäßig in seinen Bedürfnissen, wie in seinen Ansichten, ein
treuer Freund des Hauses. Desto widerwärtiger ist die Menge der jungen
Pflastertreter. Unser Volksverein würde unter ihnen prächtige Statisten für
den bewußten Frack in der Wilhelmsstraße finden. Pokraka hat ein treffendes
Bild des Pflastertreters lites'obruk gezeichnet, der, weil er nichts gelernt hat
und nichts lernen will, für nichts Interesse hat, als für Politik. Nach allerlei
mißlungenen Versuchen bettelt er sich bei einer Zeitung an. Da er aber statt
der technischen Artikel, für die er gemiethet ist, nur politische schreiben will
muß ihn der Redacteur entlassen. Er trägt sich ganz national und läßt nur
bei polnische» Handwerkern arbeiten, wie er sagt; in Wahrheit aber können
Sie wohl bei einem deutschen Schneider an der Tafel mit Kreide gezeichnet
lesen: „12 Thlr. für die Czamarke. das Maß des Herrn von X." Sein ganzer
Beruf ist, Zeitungen zu lesen. Demonstrationen zu unterstützen u. f. w. Solch
ein Pflastertreter ist dann glücklich, wenn ihm das Martyrium einer Polizei¬
streife einen kleinen Glorienschein gibt.

Es ist vielleicht mit das größte Unglück an dem gegenwärtigen Agitations'
schwindet, daß, während im letzten Jahrzehnt ein guter Theil der polnischen
Jugend ernst gearbeitet hat, die jetzige die Legion der Zdijobruks recrutiren zu
wollen scheint. Alle Lehrer der polnischen Gymnasien klagen, daß ihre Schüler
nicht mehr lernen, sondern nur noch „wirken" wollen. Die neuerdings ent¬
deckte große Knabcnconspiration bat einen neuen Beweis dafür gegeben. Sie
werden mir nicht zumuthen, über diese Kinderei ausführlich, zu berichten.

Das sind die Factoren der polnischen Bewegung. Von ihnen geht ein
Druck auf die öffentliche Meinung aus, welchem zuletzt auch die Vernünftigsten
nachzugeben sich genöthigt sehen. Ein Keil treibt den andern, und Herr v. Ölberg
bat durchaus Recht.^wenn er feststellt, daß die Zahl der Polen, von denen die
dermaligen Klagen, Ansprüche. Demonstrationen. Drohungen u. s. w. ausgeben,
höchstens 2.000 Köpfe, V«v»<> Theil der Gesammtbevölkerung des Staates beträgt,
»ut die andern 700,000 Polen unter deren Joch vielleicht noch mehr leiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/430>, abgerufen am 24.05.2024.