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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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nicht wenig Ehre macht. Ich bestimme sie für die ^chulbibliothek und über-
lasse Ihnen, bei Verschweigung meines Wunsches, einen Platz für sie zu wäh¬
len. Sollten Sie finden, daß dies irgend einen guten Einfluß auf die Alum¬
nen haben könnte, so lassen Sie das Buch auf folgende Art in die Bibliothek
bringen. Sie wählen den unter Ihren Jünglingen, welchen Sie für den be¬
sten halten, ich meine, nicht nur in Beziehung auf seinen Geist, sondern auch
auf seine Sittlichkeit, zu der. wie ich glaube, auch der Fleiß gehört. Bitten
Sie diesen in meinem Namen, das Buch zu tragen, und es dahin zu stellen,
wo Sie's ihm defekten werden. Vielleicht mögen Sie ihm auch die wenigen
zu Begleitern geben, die gleich nach ihm die Besten sind. Machen Sie dies
alles, wie sich von selbst versteht, nach Ihrem Gutbefinden, oder unterlassen
Sie es auch ganz, und nehmen mein Andenken in aller Stille in die Biblio-
thek auf. Aber Eins, warum ich Sie bitte, werden Sie, weiß ich gewiß,
nicht unterlassen. Der Conrector Stüvel war mir der liebste meiner Lehrer,
Er starb zu meiner Zeit. Ich verlor ihn mit tiefem Schmerze. Lassen Sie von
einem Ihrer dankbaren Alumnen irgend etwas, das der Frühling zuerst gegeben
hat. junge Zweige oder Blüthenknospen oder Blumen mit leiser Nennung
meines Namens auf sein Grab streuen.


K.

Man beachte das Datum des Briefes. Es waren fünfzig Jahre verflossen,
seit Klopstock auf dem zürcher See mit Doris Hirzel gefühlvoll Hallers Lieder
gesungen und die hübschen Mädchen geküßt hatte, welche dem Teufel Aba-
donna die Seligkeit erbaten. Man mußte im Jahr 1800 schon ein alter
Mann sein, um sich an das Aufsehen zu erinnern, das einst in den literarischen
Kreisen die ersten Gesänge des Messias gemacht. Unterdeß hatte Friedrich der
Zweite die Seelen gefüllt und war gestorben, die Häupter eines fremden Königs
und seiner Königin waren auf dem Blutgerüst gefallen, das wärmste Interesse
der Gebildeten hing an einer kleinen Residenz Thüringens und dem Bunde
Zweier Dichter, denen Klopstock in ihrer Jugend ein großer Mann gewesen
war. Die Deutschen waren durch eine lange Kette innerer Entwickelungen von
dem Messias bis zum Wallenstein, vom Kunstepos zum historischen Drama
großen Stils hinaufgezogen worden. Daß der greise Klopstock seine eigene Be¬
deutung nach den glänzenden Erfolgen seiner Jünglingszeit schätzte, ist natür¬
lich, aber sehr lehrreich ist, wie tief die Sentimentalität seiner Jugend noch in
den Seelen der Lehrer und Schüler lag.

Die Schulpforta ließ sich diese Gelegenheit zu einer erhebenden Festfeier
nicht entgehn. Rector Heimbach hielt zuerst am grünen Donnerstag bei der
gewöhnlichen Schulfeierlichkcit folgende Anrede:

"Lange nicht -- vielleicht niemals -- hat die Schulpforta einen so still
hohen Triumph genossen, als ihr heute der älteste, der ehrwürdigste und ruhm-


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nicht wenig Ehre macht. Ich bestimme sie für die ^chulbibliothek und über-
lasse Ihnen, bei Verschweigung meines Wunsches, einen Platz für sie zu wäh¬
len. Sollten Sie finden, daß dies irgend einen guten Einfluß auf die Alum¬
nen haben könnte, so lassen Sie das Buch auf folgende Art in die Bibliothek
bringen. Sie wählen den unter Ihren Jünglingen, welchen Sie für den be¬
sten halten, ich meine, nicht nur in Beziehung auf seinen Geist, sondern auch
auf seine Sittlichkeit, zu der. wie ich glaube, auch der Fleiß gehört. Bitten
Sie diesen in meinem Namen, das Buch zu tragen, und es dahin zu stellen,
wo Sie's ihm defekten werden. Vielleicht mögen Sie ihm auch die wenigen
zu Begleitern geben, die gleich nach ihm die Besten sind. Machen Sie dies
alles, wie sich von selbst versteht, nach Ihrem Gutbefinden, oder unterlassen
Sie es auch ganz, und nehmen mein Andenken in aller Stille in die Biblio-
thek auf. Aber Eins, warum ich Sie bitte, werden Sie, weiß ich gewiß,
nicht unterlassen. Der Conrector Stüvel war mir der liebste meiner Lehrer,
Er starb zu meiner Zeit. Ich verlor ihn mit tiefem Schmerze. Lassen Sie von
einem Ihrer dankbaren Alumnen irgend etwas, das der Frühling zuerst gegeben
hat. junge Zweige oder Blüthenknospen oder Blumen mit leiser Nennung
meines Namens auf sein Grab streuen.


K.

Man beachte das Datum des Briefes. Es waren fünfzig Jahre verflossen,
seit Klopstock auf dem zürcher See mit Doris Hirzel gefühlvoll Hallers Lieder
gesungen und die hübschen Mädchen geküßt hatte, welche dem Teufel Aba-
donna die Seligkeit erbaten. Man mußte im Jahr 1800 schon ein alter
Mann sein, um sich an das Aufsehen zu erinnern, das einst in den literarischen
Kreisen die ersten Gesänge des Messias gemacht. Unterdeß hatte Friedrich der
Zweite die Seelen gefüllt und war gestorben, die Häupter eines fremden Königs
und seiner Königin waren auf dem Blutgerüst gefallen, das wärmste Interesse
der Gebildeten hing an einer kleinen Residenz Thüringens und dem Bunde
Zweier Dichter, denen Klopstock in ihrer Jugend ein großer Mann gewesen
war. Die Deutschen waren durch eine lange Kette innerer Entwickelungen von
dem Messias bis zum Wallenstein, vom Kunstepos zum historischen Drama
großen Stils hinaufgezogen worden. Daß der greise Klopstock seine eigene Be¬
deutung nach den glänzenden Erfolgen seiner Jünglingszeit schätzte, ist natür¬
lich, aber sehr lehrreich ist, wie tief die Sentimentalität seiner Jugend noch in
den Seelen der Lehrer und Schüler lag.

Die Schulpforta ließ sich diese Gelegenheit zu einer erhebenden Festfeier
nicht entgehn. Rector Heimbach hielt zuerst am grünen Donnerstag bei der
gewöhnlichen Schulfeierlichkcit folgende Anrede:

„Lange nicht — vielleicht niemals — hat die Schulpforta einen so still
hohen Triumph genossen, als ihr heute der älteste, der ehrwürdigste und ruhm-


Grcnzdoten 1. 1S63. 54
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[0433] nicht wenig Ehre macht. Ich bestimme sie für die ^chulbibliothek und über- lasse Ihnen, bei Verschweigung meines Wunsches, einen Platz für sie zu wäh¬ len. Sollten Sie finden, daß dies irgend einen guten Einfluß auf die Alum¬ nen haben könnte, so lassen Sie das Buch auf folgende Art in die Bibliothek bringen. Sie wählen den unter Ihren Jünglingen, welchen Sie für den be¬ sten halten, ich meine, nicht nur in Beziehung auf seinen Geist, sondern auch auf seine Sittlichkeit, zu der. wie ich glaube, auch der Fleiß gehört. Bitten Sie diesen in meinem Namen, das Buch zu tragen, und es dahin zu stellen, wo Sie's ihm defekten werden. Vielleicht mögen Sie ihm auch die wenigen zu Begleitern geben, die gleich nach ihm die Besten sind. Machen Sie dies alles, wie sich von selbst versteht, nach Ihrem Gutbefinden, oder unterlassen Sie es auch ganz, und nehmen mein Andenken in aller Stille in die Biblio- thek auf. Aber Eins, warum ich Sie bitte, werden Sie, weiß ich gewiß, nicht unterlassen. Der Conrector Stüvel war mir der liebste meiner Lehrer, Er starb zu meiner Zeit. Ich verlor ihn mit tiefem Schmerze. Lassen Sie von einem Ihrer dankbaren Alumnen irgend etwas, das der Frühling zuerst gegeben hat. junge Zweige oder Blüthenknospen oder Blumen mit leiser Nennung meines Namens auf sein Grab streuen. K. Man beachte das Datum des Briefes. Es waren fünfzig Jahre verflossen, seit Klopstock auf dem zürcher See mit Doris Hirzel gefühlvoll Hallers Lieder gesungen und die hübschen Mädchen geküßt hatte, welche dem Teufel Aba- donna die Seligkeit erbaten. Man mußte im Jahr 1800 schon ein alter Mann sein, um sich an das Aufsehen zu erinnern, das einst in den literarischen Kreisen die ersten Gesänge des Messias gemacht. Unterdeß hatte Friedrich der Zweite die Seelen gefüllt und war gestorben, die Häupter eines fremden Königs und seiner Königin waren auf dem Blutgerüst gefallen, das wärmste Interesse der Gebildeten hing an einer kleinen Residenz Thüringens und dem Bunde Zweier Dichter, denen Klopstock in ihrer Jugend ein großer Mann gewesen war. Die Deutschen waren durch eine lange Kette innerer Entwickelungen von dem Messias bis zum Wallenstein, vom Kunstepos zum historischen Drama großen Stils hinaufgezogen worden. Daß der greise Klopstock seine eigene Be¬ deutung nach den glänzenden Erfolgen seiner Jünglingszeit schätzte, ist natür¬ lich, aber sehr lehrreich ist, wie tief die Sentimentalität seiner Jugend noch in den Seelen der Lehrer und Schüler lag. Die Schulpforta ließ sich diese Gelegenheit zu einer erhebenden Festfeier nicht entgehn. Rector Heimbach hielt zuerst am grünen Donnerstag bei der gewöhnlichen Schulfeierlichkcit folgende Anrede: „Lange nicht — vielleicht niemals — hat die Schulpforta einen so still hohen Triumph genossen, als ihr heute der älteste, der ehrwürdigste und ruhm- Grcnzdoten 1. 1S63. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/433>, abgerufen am 08.06.2024.