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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in Berlin Gerüste und Tribünen zu einer großen militärischen Feier. Wir
wissen nicht, mit welchen Empfindungen der Kriegsherr Preußens das Gedächt¬
nißfest an die Erhebung des Volkes begehen wird, das Fest der großen Erhe¬
bung, welche Friedrich Wilhelm dem Dritten einen Staat wiedergab, den er durch
seine kraftlose Politik verloren hatte. Seine Generale hatten in den Jahren
vorher ein schönes schlagfertiges Heer lange und sorgfältig gedrillt, sie waren
schmachvoll geschlagen worden, sie hatten schmachvoll die Festungen dem Feinde aus¬
geliefert. In der höchsten Noth erkannte der König, daß nur die Kraft, die Liebe
und der Eifer des Volkes ihn retten könne. Freiwillige Gaben, freiwillige Männer,
nicht zuletzt die Landwehr, hoben ihn aus Demüthigung und bittrer Noth herauf.
Das preußische Volk und die> ganze Welt weiß, wie die Begeisterung der Jugend,
die Hingabe der Bürger den zögernden und unsicher" König aus dem Verderben
emporgerissen hat. Damals empfand er. wie er fortan mit seinem Volke zu leben
hatte. Er versprach fernem Volke die Verfassung, und er hielt sein Versprechen nicht.

Er regierte lange, er arbeitete ehrlich und emsig für das Beste seiner Preußen,
aber er konnte die Verkümmerung nicht abhalten, welche während fünfundzwan¬
zig Friedensjahren auf seiner Umgebung, seinem Heer, seinem Beamtenthum
und seinem Volke lag. -- Erst unter seinem Nachfolger und dessen Zeitgenossen
traf die Nachwirkung einer öden, mittelmäßigen, an Wärme und Erhebung
armen Zeit wie ein schwerer Fluch. Der Sohn hatte in ihr die Fähigkeit verloren,
die Bedürfnisse der Zeit zu versieben, seinem reichen Geiste fehlte die Stetigkeit,
welche ein kräftiges Staatsleben, eine nationale Politik dem Staatsmann ver¬
leiht. Eine kurze Hoffnung, daß er aus freier Erkenntniß das für Preußen Nöthige
thun werde, wurde bitter getäuscht, in Zorn und offner Auflehnung rang das
Boll mit ihm um die Verfassung. -- Und wieder vor wenig Jahren hat das
Volk zum dritten Mal gehofft, und zum dritten Mal ist es an seinem Fürsten
irre geworden. Wenn Fahnen und Standarten auf dem Döhnhofsplatz flattern,
wenn die Fanfare schmettert, wenn die armen Invaliden in langer Reihe vor
dem projectirten Denkmal Friedrich Wilhelm des Dritten aufgestellt werden,
und Hurrahrufe des Heeres über den weiten Platz schallen, dann wird die Zahl
der wehenden Fahnen doppelt so groß sein als 1813, viele neue Orden wer¬
den neben dem eisernen Kreuz auf der Brust unserer Generale glänzen, welche
^ Frieden grau geworden sind, Alles wird sehr stattlich und prächtig aussehen,
^eit schöner und reichlicher als in dem dürftigen Jahr 1813, aber dem Fürsten,
der dies große Erinnerungsfest feiert, wird Eines fehlen, was seinem Vater vor
fünfzig Jahren bei dem ersten militärischen Gruß in Breslau die Freuden-
Dränen über die Wange fließen machte.

Wer aber ein guter Preuße ist, verlebt diesen Tag in 'stillem Ernst und
denkt, wie er das erlauchte Haus der Hohenzollern für die Zukunft des Staa¬
t s rette.




in Berlin Gerüste und Tribünen zu einer großen militärischen Feier. Wir
wissen nicht, mit welchen Empfindungen der Kriegsherr Preußens das Gedächt¬
nißfest an die Erhebung des Volkes begehen wird, das Fest der großen Erhe¬
bung, welche Friedrich Wilhelm dem Dritten einen Staat wiedergab, den er durch
seine kraftlose Politik verloren hatte. Seine Generale hatten in den Jahren
vorher ein schönes schlagfertiges Heer lange und sorgfältig gedrillt, sie waren
schmachvoll geschlagen worden, sie hatten schmachvoll die Festungen dem Feinde aus¬
geliefert. In der höchsten Noth erkannte der König, daß nur die Kraft, die Liebe
und der Eifer des Volkes ihn retten könne. Freiwillige Gaben, freiwillige Männer,
nicht zuletzt die Landwehr, hoben ihn aus Demüthigung und bittrer Noth herauf.
Das preußische Volk und die> ganze Welt weiß, wie die Begeisterung der Jugend,
die Hingabe der Bürger den zögernden und unsicher» König aus dem Verderben
emporgerissen hat. Damals empfand er. wie er fortan mit seinem Volke zu leben
hatte. Er versprach fernem Volke die Verfassung, und er hielt sein Versprechen nicht.

Er regierte lange, er arbeitete ehrlich und emsig für das Beste seiner Preußen,
aber er konnte die Verkümmerung nicht abhalten, welche während fünfundzwan¬
zig Friedensjahren auf seiner Umgebung, seinem Heer, seinem Beamtenthum
und seinem Volke lag. — Erst unter seinem Nachfolger und dessen Zeitgenossen
traf die Nachwirkung einer öden, mittelmäßigen, an Wärme und Erhebung
armen Zeit wie ein schwerer Fluch. Der Sohn hatte in ihr die Fähigkeit verloren,
die Bedürfnisse der Zeit zu versieben, seinem reichen Geiste fehlte die Stetigkeit,
welche ein kräftiges Staatsleben, eine nationale Politik dem Staatsmann ver¬
leiht. Eine kurze Hoffnung, daß er aus freier Erkenntniß das für Preußen Nöthige
thun werde, wurde bitter getäuscht, in Zorn und offner Auflehnung rang das
Boll mit ihm um die Verfassung. — Und wieder vor wenig Jahren hat das
Volk zum dritten Mal gehofft, und zum dritten Mal ist es an seinem Fürsten
irre geworden. Wenn Fahnen und Standarten auf dem Döhnhofsplatz flattern,
wenn die Fanfare schmettert, wenn die armen Invaliden in langer Reihe vor
dem projectirten Denkmal Friedrich Wilhelm des Dritten aufgestellt werden,
und Hurrahrufe des Heeres über den weiten Platz schallen, dann wird die Zahl
der wehenden Fahnen doppelt so groß sein als 1813, viele neue Orden wer¬
den neben dem eisernen Kreuz auf der Brust unserer Generale glänzen, welche
^ Frieden grau geworden sind, Alles wird sehr stattlich und prächtig aussehen,
^eit schöner und reichlicher als in dem dürftigen Jahr 1813, aber dem Fürsten,
der dies große Erinnerungsfest feiert, wird Eines fehlen, was seinem Vater vor
fünfzig Jahren bei dem ersten militärischen Gruß in Breslau die Freuden-
Dränen über die Wange fließen machte.

Wer aber ein guter Preuße ist, verlebt diesen Tag in 'stillem Ernst und
denkt, wie er das erlauchte Haus der Hohenzollern für die Zukunft des Staa¬
t s rette.




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[0439] in Berlin Gerüste und Tribünen zu einer großen militärischen Feier. Wir wissen nicht, mit welchen Empfindungen der Kriegsherr Preußens das Gedächt¬ nißfest an die Erhebung des Volkes begehen wird, das Fest der großen Erhe¬ bung, welche Friedrich Wilhelm dem Dritten einen Staat wiedergab, den er durch seine kraftlose Politik verloren hatte. Seine Generale hatten in den Jahren vorher ein schönes schlagfertiges Heer lange und sorgfältig gedrillt, sie waren schmachvoll geschlagen worden, sie hatten schmachvoll die Festungen dem Feinde aus¬ geliefert. In der höchsten Noth erkannte der König, daß nur die Kraft, die Liebe und der Eifer des Volkes ihn retten könne. Freiwillige Gaben, freiwillige Männer, nicht zuletzt die Landwehr, hoben ihn aus Demüthigung und bittrer Noth herauf. Das preußische Volk und die> ganze Welt weiß, wie die Begeisterung der Jugend, die Hingabe der Bürger den zögernden und unsicher» König aus dem Verderben emporgerissen hat. Damals empfand er. wie er fortan mit seinem Volke zu leben hatte. Er versprach fernem Volke die Verfassung, und er hielt sein Versprechen nicht. Er regierte lange, er arbeitete ehrlich und emsig für das Beste seiner Preußen, aber er konnte die Verkümmerung nicht abhalten, welche während fünfundzwan¬ zig Friedensjahren auf seiner Umgebung, seinem Heer, seinem Beamtenthum und seinem Volke lag. — Erst unter seinem Nachfolger und dessen Zeitgenossen traf die Nachwirkung einer öden, mittelmäßigen, an Wärme und Erhebung armen Zeit wie ein schwerer Fluch. Der Sohn hatte in ihr die Fähigkeit verloren, die Bedürfnisse der Zeit zu versieben, seinem reichen Geiste fehlte die Stetigkeit, welche ein kräftiges Staatsleben, eine nationale Politik dem Staatsmann ver¬ leiht. Eine kurze Hoffnung, daß er aus freier Erkenntniß das für Preußen Nöthige thun werde, wurde bitter getäuscht, in Zorn und offner Auflehnung rang das Boll mit ihm um die Verfassung. — Und wieder vor wenig Jahren hat das Volk zum dritten Mal gehofft, und zum dritten Mal ist es an seinem Fürsten irre geworden. Wenn Fahnen und Standarten auf dem Döhnhofsplatz flattern, wenn die Fanfare schmettert, wenn die armen Invaliden in langer Reihe vor dem projectirten Denkmal Friedrich Wilhelm des Dritten aufgestellt werden, und Hurrahrufe des Heeres über den weiten Platz schallen, dann wird die Zahl der wehenden Fahnen doppelt so groß sein als 1813, viele neue Orden wer¬ den neben dem eisernen Kreuz auf der Brust unserer Generale glänzen, welche ^ Frieden grau geworden sind, Alles wird sehr stattlich und prächtig aussehen, ^eit schöner und reichlicher als in dem dürftigen Jahr 1813, aber dem Fürsten, der dies große Erinnerungsfest feiert, wird Eines fehlen, was seinem Vater vor fünfzig Jahren bei dem ersten militärischen Gruß in Breslau die Freuden- Dränen über die Wange fließen machte. Wer aber ein guter Preuße ist, verlebt diesen Tag in 'stillem Ernst und denkt, wie er das erlauchte Haus der Hohenzollern für die Zukunft des Staa¬ t s rette.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/439>, abgerufen am 28.04.2024.