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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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italienischen Kriege die Nation sich allenthalben auf ihre Rechte und Bedürf¬
nisse wieder besann, sah die nassauische Negierung darin nur eine Aufforderung
zu verschärfter Polizeihcrrschaft. Sie vermerkte es sehr übel, daß die Mit¬
glieder der parlamentarischen Opposition in Wiesbaden unter den Ersten waren,
welche in Deutschland wieder die Stimme erhoben für ausgiebige constiiutio-
nelle Freiheit und nationale Einheit. Sie sah sofort in ihnen angehende
Thrvnräuber und begann sie als Landesfcindc zu behandeln. Das von ihnen
gegründete Blatt wurde unterdrückt. Eine Negierungepresse entstand, deren
Freiheit von legalen und moralischen Bedenken in Deutschland ihres Gleichen
nicht hat. Dem Landtage begegnete man mit ausgesuchter Mißachtung. Der
Staatsminister Fürst Wittgenstein und der unter ihm die Zügel führende Re¬
gierungspräsident v. Winzingervde erschien gar nicht im Ständcsaale; ihre
Cvnunissärc gaben nur dann Auskunft und Bescheid, wenn nicht viel daran
gelegen war, und zuckten stumm die Achseln, wo die pflichtmäßigen Erkundigungen
der Volksvertreter einem gekränkten oder bedrohten Recht des Landes galten.
Unzählige Male, wie man sich denken kann, hat der Landtag in dieser trüben
Dämmerung zwischen dem Absolutismus und einem freien nationalen Leben
auch in Nassau Veranlassung gehabt, nichtverwilligte Ausgaben zu rcclamireru
aber so lange er besteht -- wurde in Limburg erzählt -- ist niemals eine dieser
unrechtmäßig ausgegebenen Summen wieder zur Kasse gekommen, mit alleiniger
Ausnahme von fünf oder sechs Gulden, die dem Lande zur Last geschrieben
waren für die Wahlreise eines Amtmanns im Interesse der Regierungspartei.
Ja, conscqucnie Verfolgung der Sache hat es im höchsten Grade wahrscheinlich
gemacht, daß die Negierung in keinem anderen Falle auch nur die ersten
Schritte gethan hat, um die Sache dem gerechten Verlangen des Landtags
nachkommend aufzuhellen. So springt man in unsern Tagen mit deutschen
Volksvertretern um!

Es ist unmöglich, daß so viel Uebermuth und Verblendung sich nicht rä¬
chen sollte. Das Herannahen der Neuwahlen hat denn auch den gegenwär¬
tigen Machthabern eine gewisse Sorge um die Zukunft eingeflößt. Während man
sich bis dahin mit dem Alleinbesii, aller äußern Machtmittel und mit den gu¬
ten geselligen Beziehungen zu den Gesandten und Generälen des benachbarten
Bundestags begnügt hatte, begann man nun allmälig die Nothwendigkeit einer
Stütze im Lande, einer wirklichen Regierungspartei zu begreifen. Auf den
guten Willen der Amtmänner und der Geistlichen -- von denen namentlich die
katholische Hälfte durch unwürdige Zugeständnisse an die Curie ein für alle Mal
gewonnen war -- glaubte man sich doch nicbt beschränken zu dürfen. M^l
ergriff daher aufs eifrigste die Gelegenheit, welche die un vorigen Herbst voll¬
zogene Bildung der großdculschen Partei darbot. Alles, was abhängig war,
wurde in den "Refvrmverein" getrieben. Der nassauische Zweig dieses Deutsch'


italienischen Kriege die Nation sich allenthalben auf ihre Rechte und Bedürf¬
nisse wieder besann, sah die nassauische Negierung darin nur eine Aufforderung
zu verschärfter Polizeihcrrschaft. Sie vermerkte es sehr übel, daß die Mit¬
glieder der parlamentarischen Opposition in Wiesbaden unter den Ersten waren,
welche in Deutschland wieder die Stimme erhoben für ausgiebige constiiutio-
nelle Freiheit und nationale Einheit. Sie sah sofort in ihnen angehende
Thrvnräuber und begann sie als Landesfcindc zu behandeln. Das von ihnen
gegründete Blatt wurde unterdrückt. Eine Negierungepresse entstand, deren
Freiheit von legalen und moralischen Bedenken in Deutschland ihres Gleichen
nicht hat. Dem Landtage begegnete man mit ausgesuchter Mißachtung. Der
Staatsminister Fürst Wittgenstein und der unter ihm die Zügel führende Re¬
gierungspräsident v. Winzingervde erschien gar nicht im Ständcsaale; ihre
Cvnunissärc gaben nur dann Auskunft und Bescheid, wenn nicht viel daran
gelegen war, und zuckten stumm die Achseln, wo die pflichtmäßigen Erkundigungen
der Volksvertreter einem gekränkten oder bedrohten Recht des Landes galten.
Unzählige Male, wie man sich denken kann, hat der Landtag in dieser trüben
Dämmerung zwischen dem Absolutismus und einem freien nationalen Leben
auch in Nassau Veranlassung gehabt, nichtverwilligte Ausgaben zu rcclamireru
aber so lange er besteht — wurde in Limburg erzählt — ist niemals eine dieser
unrechtmäßig ausgegebenen Summen wieder zur Kasse gekommen, mit alleiniger
Ausnahme von fünf oder sechs Gulden, die dem Lande zur Last geschrieben
waren für die Wahlreise eines Amtmanns im Interesse der Regierungspartei.
Ja, conscqucnie Verfolgung der Sache hat es im höchsten Grade wahrscheinlich
gemacht, daß die Negierung in keinem anderen Falle auch nur die ersten
Schritte gethan hat, um die Sache dem gerechten Verlangen des Landtags
nachkommend aufzuhellen. So springt man in unsern Tagen mit deutschen
Volksvertretern um!

Es ist unmöglich, daß so viel Uebermuth und Verblendung sich nicht rä¬
chen sollte. Das Herannahen der Neuwahlen hat denn auch den gegenwär¬
tigen Machthabern eine gewisse Sorge um die Zukunft eingeflößt. Während man
sich bis dahin mit dem Alleinbesii, aller äußern Machtmittel und mit den gu¬
ten geselligen Beziehungen zu den Gesandten und Generälen des benachbarten
Bundestags begnügt hatte, begann man nun allmälig die Nothwendigkeit einer
Stütze im Lande, einer wirklichen Regierungspartei zu begreifen. Auf den
guten Willen der Amtmänner und der Geistlichen — von denen namentlich die
katholische Hälfte durch unwürdige Zugeständnisse an die Curie ein für alle Mal
gewonnen war — glaubte man sich doch nicbt beschränken zu dürfen. M^l
ergriff daher aufs eifrigste die Gelegenheit, welche die un vorigen Herbst voll¬
zogene Bildung der großdculschen Partei darbot. Alles, was abhängig war,
wurde in den „Refvrmverein" getrieben. Der nassauische Zweig dieses Deutsch'


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[0450] italienischen Kriege die Nation sich allenthalben auf ihre Rechte und Bedürf¬ nisse wieder besann, sah die nassauische Negierung darin nur eine Aufforderung zu verschärfter Polizeihcrrschaft. Sie vermerkte es sehr übel, daß die Mit¬ glieder der parlamentarischen Opposition in Wiesbaden unter den Ersten waren, welche in Deutschland wieder die Stimme erhoben für ausgiebige constiiutio- nelle Freiheit und nationale Einheit. Sie sah sofort in ihnen angehende Thrvnräuber und begann sie als Landesfcindc zu behandeln. Das von ihnen gegründete Blatt wurde unterdrückt. Eine Negierungepresse entstand, deren Freiheit von legalen und moralischen Bedenken in Deutschland ihres Gleichen nicht hat. Dem Landtage begegnete man mit ausgesuchter Mißachtung. Der Staatsminister Fürst Wittgenstein und der unter ihm die Zügel führende Re¬ gierungspräsident v. Winzingervde erschien gar nicht im Ständcsaale; ihre Cvnunissärc gaben nur dann Auskunft und Bescheid, wenn nicht viel daran gelegen war, und zuckten stumm die Achseln, wo die pflichtmäßigen Erkundigungen der Volksvertreter einem gekränkten oder bedrohten Recht des Landes galten. Unzählige Male, wie man sich denken kann, hat der Landtag in dieser trüben Dämmerung zwischen dem Absolutismus und einem freien nationalen Leben auch in Nassau Veranlassung gehabt, nichtverwilligte Ausgaben zu rcclamireru aber so lange er besteht — wurde in Limburg erzählt — ist niemals eine dieser unrechtmäßig ausgegebenen Summen wieder zur Kasse gekommen, mit alleiniger Ausnahme von fünf oder sechs Gulden, die dem Lande zur Last geschrieben waren für die Wahlreise eines Amtmanns im Interesse der Regierungspartei. Ja, conscqucnie Verfolgung der Sache hat es im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht, daß die Negierung in keinem anderen Falle auch nur die ersten Schritte gethan hat, um die Sache dem gerechten Verlangen des Landtags nachkommend aufzuhellen. So springt man in unsern Tagen mit deutschen Volksvertretern um! Es ist unmöglich, daß so viel Uebermuth und Verblendung sich nicht rä¬ chen sollte. Das Herannahen der Neuwahlen hat denn auch den gegenwär¬ tigen Machthabern eine gewisse Sorge um die Zukunft eingeflößt. Während man sich bis dahin mit dem Alleinbesii, aller äußern Machtmittel und mit den gu¬ ten geselligen Beziehungen zu den Gesandten und Generälen des benachbarten Bundestags begnügt hatte, begann man nun allmälig die Nothwendigkeit einer Stütze im Lande, einer wirklichen Regierungspartei zu begreifen. Auf den guten Willen der Amtmänner und der Geistlichen — von denen namentlich die katholische Hälfte durch unwürdige Zugeständnisse an die Curie ein für alle Mal gewonnen war — glaubte man sich doch nicbt beschränken zu dürfen. M^l ergriff daher aufs eifrigste die Gelegenheit, welche die un vorigen Herbst voll¬ zogene Bildung der großdculschen Partei darbot. Alles, was abhängig war, wurde in den „Refvrmverein" getrieben. Der nassauische Zweig dieses Deutsch'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/450>, abgerufen am 27.04.2024.