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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Spiel mit dem Glauben seines Volkes, die Entweihung") und Carikirung
seiner Heiligthümer nicht auf. Jene Vermischung der Religion mit weltlichen
Dingen, die voriges Jahr ihr häßlich arhcistisches Gepräge bloßlegte, als
Bischof Vialvbrzeski die Kirchen von Warschau geschlossen hielt, arbeitet auch hier
daran, die einzig sichre Wurzel gesunden Volkslebens auf immer zu untergraben.
Die Trauergottesdienste und die Processionen sind es hier, die trotz Fahnen
und Heiligenbildern der Religiosität des Volkes den Todesstoß geben. Sie
haben oben eine kurze Beschreibung der Trauermesse aus Nadwisianin erhalten.
Sie sind sich überall gleich. Der ärgste Exceß war im vorigen September die
Aufforderung zu einer Feier für Ryll, Jaroszynsti und Nzonca. die warschauer
Meuchelmörder, welche von Dr. Pr., einem Literaten in Pleschen, ausging.
Das Lügensystem, durch welches sich bei solchen Anlässen die Geistlichen decken,
ist ebenso bezeichnend, als die Gewandtheit, mit der sie, sobald eine derartige
Demonstration untersagt ist, sofort einen Heiligen unterzuschieben versteh", der
dann in aller Unschuld mit und UMcc) düiii^stusa, gefeiert wird. Auch
den Schritt ein Ludlims an liclieulö wissen sie zu thun. Sie erinnern sich
des berliner Studcntenwiizes von 1830: "Wegen Krankheit einiger Schuster¬
jungen kann die aus heute Abend angesägte Revolution nicht Statt finden."
Nun vergleichen Sie freundlichst die posener Zeitung: Ur. 83. 1861, den
Dziennik Poznaüstt Ur. 82: "Wegen eines rituellen Hindernisses kann der
Trauergottesdienst für unsere 1848 gefallenen Brüder bei uns am 10. o. M.
nicht abgehalten werden. Es wird daher später ein anderer Tag für die Trauer¬
feier bestimmt werden. Die Aeltesten der Schuhmacherinnung in Trzemeszno."
Und dann Ur. 95 der posener Zeitung: Der Gottesdienst war wirklich angesagt,
mußte auch "aus rituellen Gründen" unterbleiben, aber die löblichen Schuh¬
machermeister der Stadt Trzemeszno waren ohne ihr Zuthun, ohne ihr Wissen
ins Vortreffcn gestellt worden.
Bei den Processionen handelt es sich darum, Massen zusammenzuführen,
einander bekannt zu machen und sie in aufregender Rede zu haranguiren, in
der man ihnen etwa die Judith oder die Makkabäer zum Muster vorstellt.
Schön ist es, wenn Processionen sich begegnen; dann gibt es große Festei
erhaben aber wird das glorreiche Volk, wenn es sich den Juden verbrüdert,
die es 1848 würgte. Nicht blos in Heidelberg ziehn die Polen in die Syna¬
goge; auch in Miclziu (vrgl. unsern zweiten Brief). Dort, hatten die
jüdischen Einwohner bei Gelegenheit der Begegnung zwei großer Processionen
an ihrem Wohnort mit illuminirt. Das rührte die polnischen Herzen. Es

*) Zu Czeszewo in> Kreise Wcmgrowiec ist 1861 ein eichenes Kreuz mit dem Bilde
Erlösers errichtet worden, das die Inschrift traut: für Unsere ermordeten Brüder , mit
Bezeichnungen Warschau und Wilna und dem Datum der stattgehabten Hinrichtungen.

Spiel mit dem Glauben seines Volkes, die Entweihung") und Carikirung
seiner Heiligthümer nicht auf. Jene Vermischung der Religion mit weltlichen
Dingen, die voriges Jahr ihr häßlich arhcistisches Gepräge bloßlegte, als
Bischof Vialvbrzeski die Kirchen von Warschau geschlossen hielt, arbeitet auch hier
daran, die einzig sichre Wurzel gesunden Volkslebens auf immer zu untergraben.
Die Trauergottesdienste und die Processionen sind es hier, die trotz Fahnen
und Heiligenbildern der Religiosität des Volkes den Todesstoß geben. Sie
haben oben eine kurze Beschreibung der Trauermesse aus Nadwisianin erhalten.
Sie sind sich überall gleich. Der ärgste Exceß war im vorigen September die
Aufforderung zu einer Feier für Ryll, Jaroszynsti und Nzonca. die warschauer
Meuchelmörder, welche von Dr. Pr., einem Literaten in Pleschen, ausging.
Das Lügensystem, durch welches sich bei solchen Anlässen die Geistlichen decken,
ist ebenso bezeichnend, als die Gewandtheit, mit der sie, sobald eine derartige
Demonstration untersagt ist, sofort einen Heiligen unterzuschieben versteh», der
dann in aller Unschuld mit und UMcc) düiii^stusa, gefeiert wird. Auch
den Schritt ein Ludlims an liclieulö wissen sie zu thun. Sie erinnern sich
des berliner Studcntenwiizes von 1830: „Wegen Krankheit einiger Schuster¬
jungen kann die aus heute Abend angesägte Revolution nicht Statt finden."
Nun vergleichen Sie freundlichst die posener Zeitung: Ur. 83. 1861, den
Dziennik Poznaüstt Ur. 82: „Wegen eines rituellen Hindernisses kann der
Trauergottesdienst für unsere 1848 gefallenen Brüder bei uns am 10. o. M.
nicht abgehalten werden. Es wird daher später ein anderer Tag für die Trauer¬
feier bestimmt werden. Die Aeltesten der Schuhmacherinnung in Trzemeszno."
Und dann Ur. 95 der posener Zeitung: Der Gottesdienst war wirklich angesagt,
mußte auch „aus rituellen Gründen" unterbleiben, aber die löblichen Schuh¬
machermeister der Stadt Trzemeszno waren ohne ihr Zuthun, ohne ihr Wissen
ins Vortreffcn gestellt worden.
Bei den Processionen handelt es sich darum, Massen zusammenzuführen,
einander bekannt zu machen und sie in aufregender Rede zu haranguiren, in
der man ihnen etwa die Judith oder die Makkabäer zum Muster vorstellt.
Schön ist es, wenn Processionen sich begegnen; dann gibt es große Festei
erhaben aber wird das glorreiche Volk, wenn es sich den Juden verbrüdert,
die es 1848 würgte. Nicht blos in Heidelberg ziehn die Polen in die Syna¬
goge; auch in Miclziu (vrgl. unsern zweiten Brief). Dort, hatten die
jüdischen Einwohner bei Gelegenheit der Begegnung zwei großer Processionen
an ihrem Wohnort mit illuminirt. Das rührte die polnischen Herzen. Es

*) Zu Czeszewo in> Kreise Wcmgrowiec ist 1861 ein eichenes Kreuz mit dem Bilde
Erlösers errichtet worden, das die Inschrift traut: für Unsere ermordeten Brüder , mit
Bezeichnungen Warschau und Wilna und dem Datum der stattgehabten Hinrichtungen.
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[0464] Spiel mit dem Glauben seines Volkes, die Entweihung") und Carikirung seiner Heiligthümer nicht auf. Jene Vermischung der Religion mit weltlichen Dingen, die voriges Jahr ihr häßlich arhcistisches Gepräge bloßlegte, als Bischof Vialvbrzeski die Kirchen von Warschau geschlossen hielt, arbeitet auch hier daran, die einzig sichre Wurzel gesunden Volkslebens auf immer zu untergraben. Die Trauergottesdienste und die Processionen sind es hier, die trotz Fahnen und Heiligenbildern der Religiosität des Volkes den Todesstoß geben. Sie haben oben eine kurze Beschreibung der Trauermesse aus Nadwisianin erhalten. Sie sind sich überall gleich. Der ärgste Exceß war im vorigen September die Aufforderung zu einer Feier für Ryll, Jaroszynsti und Nzonca. die warschauer Meuchelmörder, welche von Dr. Pr., einem Literaten in Pleschen, ausging. Das Lügensystem, durch welches sich bei solchen Anlässen die Geistlichen decken, ist ebenso bezeichnend, als die Gewandtheit, mit der sie, sobald eine derartige Demonstration untersagt ist, sofort einen Heiligen unterzuschieben versteh», der dann in aller Unschuld mit und UMcc) düiii^stusa, gefeiert wird. Auch den Schritt ein Ludlims an liclieulö wissen sie zu thun. Sie erinnern sich des berliner Studcntenwiizes von 1830: „Wegen Krankheit einiger Schuster¬ jungen kann die aus heute Abend angesägte Revolution nicht Statt finden." Nun vergleichen Sie freundlichst die posener Zeitung: Ur. 83. 1861, den Dziennik Poznaüstt Ur. 82: „Wegen eines rituellen Hindernisses kann der Trauergottesdienst für unsere 1848 gefallenen Brüder bei uns am 10. o. M. nicht abgehalten werden. Es wird daher später ein anderer Tag für die Trauer¬ feier bestimmt werden. Die Aeltesten der Schuhmacherinnung in Trzemeszno." Und dann Ur. 95 der posener Zeitung: Der Gottesdienst war wirklich angesagt, mußte auch „aus rituellen Gründen" unterbleiben, aber die löblichen Schuh¬ machermeister der Stadt Trzemeszno waren ohne ihr Zuthun, ohne ihr Wissen ins Vortreffcn gestellt worden. Bei den Processionen handelt es sich darum, Massen zusammenzuführen, einander bekannt zu machen und sie in aufregender Rede zu haranguiren, in der man ihnen etwa die Judith oder die Makkabäer zum Muster vorstellt. Schön ist es, wenn Processionen sich begegnen; dann gibt es große Festei erhaben aber wird das glorreiche Volk, wenn es sich den Juden verbrüdert, die es 1848 würgte. Nicht blos in Heidelberg ziehn die Polen in die Syna¬ goge; auch in Miclziu (vrgl. unsern zweiten Brief). Dort, hatten die jüdischen Einwohner bei Gelegenheit der Begegnung zwei großer Processionen an ihrem Wohnort mit illuminirt. Das rührte die polnischen Herzen. Es *) Zu Czeszewo in> Kreise Wcmgrowiec ist 1861 ein eichenes Kreuz mit dem Bilde Erlösers errichtet worden, das die Inschrift traut: für Unsere ermordeten Brüder , mit Bezeichnungen Warschau und Wilna und dem Datum der stattgehabten Hinrichtungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/464>, abgerufen am 28.05.2024.