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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in dem Wahlspruch "die Staatensouveränetät" auf der andern ist viel, was
bei andern Nationen Theilnahme und wohlwollende Wünsche erweckt.

Präsident Lincoln und Präsident Davis sind beide wohldcnkende und so¬
gar liebenswürdige Männer. Beide sind, unsres Wissens, Glieder rechtgläu¬
biger Kirchen, und von allen Kanzeln diesseits und jenseits der Vorpostenkette"
beider Parteien steigen jeden Sonntag Gebete für den Sieg der einen und
den Untergang der andern Partei gen Himmel. Aber Richmond hat seine
Spielhöllen, seine betrügerischen Lieferanten, seine Stellenjäger so gut wie
Washington. Seine Zeitungen sind voll von Klagen und schweren Beschul¬
digungen gegen hohe Offiziere, das Cabinet und den Congreß. "Der Fluch
dieses Kriegs ist Habgier," sagt eines dieser Blätter vom Mai 1862, "sein Be¬
ginn war das Signal zu Ränken und Kniffen von Monopolisten und Blut¬
saugern, und dieselben haben in seinem Verlauf ungeheuren Gewinn eingestrichen.
Keine Classe der bürgerlichen Gesellschaft hat sich ihren herzlosen und schranken¬
losen Erpressungen entziehen können. Ihre eigne Regierung gilt ihnen als
Hauptopfer für ihre gaunerischen Operationen." Der Fluch der Korruption
der Behörden lastet gleich schwer auf dem Norden wie auf dem Süden, und
wenn die Dieberei im letztem geringer scheint, so ist der Grund davon nur
darin zu suchen, daß es hier weniger zu stehlen gibt.

Richmond liegt sehr schön an einer Biegung des James River, welcher
ein wenig oberhalb der Stadt über ein Bett zackiger Granitfelsen und zwischen
niedlichen Eilanden hinrauscht. Ein kleiner Bach, welcher sich in den James
River ergießt, theilt die Stadt in zwei Hälften. Ein Theil der Häuser zieht sich
unten am Flusse hin und enthält die Speicher und Fabriken der Stadt, ein
anderer, welcher die bessern Wohnungen sowie die öffentlichen Gebäude umfaßt,
bedeckt die Hügel über dem Flußthal. Zwei Fünftel der Bevölkerung, die
früher etwa 40,000 Menschen betrug, jetzt aber auf wenigstens 60,000 gestiegen
ist, sind Neger, und eine große Anzahl der letzteren sind frei. Dieselben sind
meist Faulenzer und liederliches Volk, und ihre Wohnungen in den Vorstädten
siechen sehr unvorteilhaft von denen der herrschenden Race ab. Der Congreß
versammelt sich im Staatscapitol, einem Gebäude, welches griechisch sein will.
Das Kriegsministerium und die meisten andern Kanzleien befinden sich aus der
Broadstrcet und der Franklinstreet. Die Arbeiter in denselben sind großentheils
Flüchtlinge aus Maryland, und die Polizei besteht fast durchaus aus Mit¬
gliedern der aufgelösten Polizeibrigade Baltimores.

Richmond ist die letzten fünfzig Jahre hindurch eine glänzende und zugleich
eine böse Stadt gewesen. Während dieser Zeit war es der politische Mittel¬
punkt des Südens, der Wohnsitz von dessen berühmtesten Rechtsgelehrten,
Staatsmännern und Rednern, und das Centrum der südlichen Presse. Das
Interesse an politischen Dingen war nirgends so intensiv. Fast bei allen


in dem Wahlspruch „die Staatensouveränetät" auf der andern ist viel, was
bei andern Nationen Theilnahme und wohlwollende Wünsche erweckt.

Präsident Lincoln und Präsident Davis sind beide wohldcnkende und so¬
gar liebenswürdige Männer. Beide sind, unsres Wissens, Glieder rechtgläu¬
biger Kirchen, und von allen Kanzeln diesseits und jenseits der Vorpostenkette»
beider Parteien steigen jeden Sonntag Gebete für den Sieg der einen und
den Untergang der andern Partei gen Himmel. Aber Richmond hat seine
Spielhöllen, seine betrügerischen Lieferanten, seine Stellenjäger so gut wie
Washington. Seine Zeitungen sind voll von Klagen und schweren Beschul¬
digungen gegen hohe Offiziere, das Cabinet und den Congreß. „Der Fluch
dieses Kriegs ist Habgier," sagt eines dieser Blätter vom Mai 1862, „sein Be¬
ginn war das Signal zu Ränken und Kniffen von Monopolisten und Blut¬
saugern, und dieselben haben in seinem Verlauf ungeheuren Gewinn eingestrichen.
Keine Classe der bürgerlichen Gesellschaft hat sich ihren herzlosen und schranken¬
losen Erpressungen entziehen können. Ihre eigne Regierung gilt ihnen als
Hauptopfer für ihre gaunerischen Operationen." Der Fluch der Korruption
der Behörden lastet gleich schwer auf dem Norden wie auf dem Süden, und
wenn die Dieberei im letztem geringer scheint, so ist der Grund davon nur
darin zu suchen, daß es hier weniger zu stehlen gibt.

Richmond liegt sehr schön an einer Biegung des James River, welcher
ein wenig oberhalb der Stadt über ein Bett zackiger Granitfelsen und zwischen
niedlichen Eilanden hinrauscht. Ein kleiner Bach, welcher sich in den James
River ergießt, theilt die Stadt in zwei Hälften. Ein Theil der Häuser zieht sich
unten am Flusse hin und enthält die Speicher und Fabriken der Stadt, ein
anderer, welcher die bessern Wohnungen sowie die öffentlichen Gebäude umfaßt,
bedeckt die Hügel über dem Flußthal. Zwei Fünftel der Bevölkerung, die
früher etwa 40,000 Menschen betrug, jetzt aber auf wenigstens 60,000 gestiegen
ist, sind Neger, und eine große Anzahl der letzteren sind frei. Dieselben sind
meist Faulenzer und liederliches Volk, und ihre Wohnungen in den Vorstädten
siechen sehr unvorteilhaft von denen der herrschenden Race ab. Der Congreß
versammelt sich im Staatscapitol, einem Gebäude, welches griechisch sein will.
Das Kriegsministerium und die meisten andern Kanzleien befinden sich aus der
Broadstrcet und der Franklinstreet. Die Arbeiter in denselben sind großentheils
Flüchtlinge aus Maryland, und die Polizei besteht fast durchaus aus Mit¬
gliedern der aufgelösten Polizeibrigade Baltimores.

Richmond ist die letzten fünfzig Jahre hindurch eine glänzende und zugleich
eine böse Stadt gewesen. Während dieser Zeit war es der politische Mittel¬
punkt des Südens, der Wohnsitz von dessen berühmtesten Rechtsgelehrten,
Staatsmännern und Rednern, und das Centrum der südlichen Presse. Das
Interesse an politischen Dingen war nirgends so intensiv. Fast bei allen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/498>, abgerufen am 30.04.2024.