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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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auf der andern Seite Grimm bei seiner bevorzugten Stellung in Paris
bald in den Besitz einer Abschrift gekommen sein wird, so darf man wohl im
Allgemeinen das Jahr 1764 als das der Abfassung der Natinees, wie sie in
den von Grimm nach Berlin und Gotha geschickten Handschriften vorliegen,
betrachten. Möglicherweise find sie erst zu Anfang 1763 entstanden.

Schon einige Monate nach jenem Briefe Grimms war eine Fortsetzung,
welche zu den fünf bis dahin bekannten Nadir^s noch zwei fernere hinzufügte,
verbreitet.

Am 7. Juni 1765 schreibt Grimm an die Herzogin Luise Dorothea:


"Ich werde die Ehre haben, Ihnen sehr bald die Fortsetzung der NawistZ"
zu schicken, welche seltener, aber im selben Tone gehalten ist, wie, das was Sie
gesehen haben."

Der Grund, daß die sechste und siebente Ug,t.in"5e seltener waren, ist
Wohl in ihrem Inhalte zu suchen. Die sechste handelt vom Militär, die
siebente von dem Finanzwesen. Wenn sie auch in der Oberflächlichkeit des
Urtheils und in der Unkenntnis; der Geschichte und Verhältnisse die fünf
ersten übertreffen, so gehen sie doch in das Detail der Militärverhältnisse
und der Finanzen ein, die letzte in dem Maße, daß sie fast nur aus
einer, jedenfalls in der Form unechten, Denkschrift besteht, die an Frie¬
drich Wilhelm den Ersten bei seinem Regierungsantritt über das preußische
Steuerwesen gerichtet worden sein soll. Offenbar fanden diese beiden mehr
sachlichen und weniger pikanten NatmöLS, von denen man nicht als sicher an¬
nehmen kann, daß sie vom Verfasser der ersten fünf herrühren, in den Kreisen
der pariser vornehmen Welt nicht gleichen Anklang, und die Abschriften blieben
selten.

Erst ein Jahr nach der handschriftlichen Verbreitung scheinen die Mrtmves
in den Druck übergegangen zu sein. Der älteste bekannte Druck trägt die
Jahreszahl 1766, ist aber ohne Druckort; unmöglich wäre es indeß nicht, daß
eine in Kupfer gestochene Ausgabe ohne Jahr und Ort diesem Drucke noch voran
ginge. Seitdem sind theils unter richtiger, theils unter falscher Angabe des Druck
orth eine Reihe von Ausgaben erschienen, sämmtlich und bis auf die neueste
Zeit leichtfertige Abdrücke' von Handschriften und Drucken, ohne kritische Be¬
mühungen zur Herstellung des ursprünglichen Textes, zum Theil mit absicht¬
lichen Auslassungen oder Zusätzen, wie es dem Geschmack und mitunter der
Bosheit des jedesmaligen Herausgebers zusagte. Im Ganzen wissen wir bis zum
Jahre 1863 von mindestens zehn Drucken, sowie einer deutschen und einer spanischen
Uebersetzung des Buchs. Man sieht, daß der Herausgeber des yMsculs irMit.
"ut einigem Recht sagen konnte: "Die NÄtii^es sind bis zum heutigen Tage
nicht gänzlich unbekannt geblieben."

Wir haben aus dem Briefe Grimms vom Is. April 1765 gesehen, daß


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auf der andern Seite Grimm bei seiner bevorzugten Stellung in Paris
bald in den Besitz einer Abschrift gekommen sein wird, so darf man wohl im
Allgemeinen das Jahr 1764 als das der Abfassung der Natinees, wie sie in
den von Grimm nach Berlin und Gotha geschickten Handschriften vorliegen,
betrachten. Möglicherweise find sie erst zu Anfang 1763 entstanden.

Schon einige Monate nach jenem Briefe Grimms war eine Fortsetzung,
welche zu den fünf bis dahin bekannten Nadir^s noch zwei fernere hinzufügte,
verbreitet.

Am 7. Juni 1765 schreibt Grimm an die Herzogin Luise Dorothea:


„Ich werde die Ehre haben, Ihnen sehr bald die Fortsetzung der NawistZ«
zu schicken, welche seltener, aber im selben Tone gehalten ist, wie, das was Sie
gesehen haben."

Der Grund, daß die sechste und siebente Ug,t.in«5e seltener waren, ist
Wohl in ihrem Inhalte zu suchen. Die sechste handelt vom Militär, die
siebente von dem Finanzwesen. Wenn sie auch in der Oberflächlichkeit des
Urtheils und in der Unkenntnis; der Geschichte und Verhältnisse die fünf
ersten übertreffen, so gehen sie doch in das Detail der Militärverhältnisse
und der Finanzen ein, die letzte in dem Maße, daß sie fast nur aus
einer, jedenfalls in der Form unechten, Denkschrift besteht, die an Frie¬
drich Wilhelm den Ersten bei seinem Regierungsantritt über das preußische
Steuerwesen gerichtet worden sein soll. Offenbar fanden diese beiden mehr
sachlichen und weniger pikanten NatmöLS, von denen man nicht als sicher an¬
nehmen kann, daß sie vom Verfasser der ersten fünf herrühren, in den Kreisen
der pariser vornehmen Welt nicht gleichen Anklang, und die Abschriften blieben
selten.

Erst ein Jahr nach der handschriftlichen Verbreitung scheinen die Mrtmves
in den Druck übergegangen zu sein. Der älteste bekannte Druck trägt die
Jahreszahl 1766, ist aber ohne Druckort; unmöglich wäre es indeß nicht, daß
eine in Kupfer gestochene Ausgabe ohne Jahr und Ort diesem Drucke noch voran
ginge. Seitdem sind theils unter richtiger, theils unter falscher Angabe des Druck
orth eine Reihe von Ausgaben erschienen, sämmtlich und bis auf die neueste
Zeit leichtfertige Abdrücke' von Handschriften und Drucken, ohne kritische Be¬
mühungen zur Herstellung des ursprünglichen Textes, zum Theil mit absicht¬
lichen Auslassungen oder Zusätzen, wie es dem Geschmack und mitunter der
Bosheit des jedesmaligen Herausgebers zusagte. Im Ganzen wissen wir bis zum
Jahre 1863 von mindestens zehn Drucken, sowie einer deutschen und einer spanischen
Uebersetzung des Buchs. Man sieht, daß der Herausgeber des yMsculs irMit.
»ut einigem Recht sagen konnte: „Die NÄtii^es sind bis zum heutigen Tage
nicht gänzlich unbekannt geblieben."

Wir haben aus dem Briefe Grimms vom Is. April 1765 gesehen, daß


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[0519] auf der andern Seite Grimm bei seiner bevorzugten Stellung in Paris bald in den Besitz einer Abschrift gekommen sein wird, so darf man wohl im Allgemeinen das Jahr 1764 als das der Abfassung der Natinees, wie sie in den von Grimm nach Berlin und Gotha geschickten Handschriften vorliegen, betrachten. Möglicherweise find sie erst zu Anfang 1763 entstanden. Schon einige Monate nach jenem Briefe Grimms war eine Fortsetzung, welche zu den fünf bis dahin bekannten Nadir^s noch zwei fernere hinzufügte, verbreitet. Am 7. Juni 1765 schreibt Grimm an die Herzogin Luise Dorothea: „Ich werde die Ehre haben, Ihnen sehr bald die Fortsetzung der NawistZ« zu schicken, welche seltener, aber im selben Tone gehalten ist, wie, das was Sie gesehen haben." Der Grund, daß die sechste und siebente Ug,t.in«5e seltener waren, ist Wohl in ihrem Inhalte zu suchen. Die sechste handelt vom Militär, die siebente von dem Finanzwesen. Wenn sie auch in der Oberflächlichkeit des Urtheils und in der Unkenntnis; der Geschichte und Verhältnisse die fünf ersten übertreffen, so gehen sie doch in das Detail der Militärverhältnisse und der Finanzen ein, die letzte in dem Maße, daß sie fast nur aus einer, jedenfalls in der Form unechten, Denkschrift besteht, die an Frie¬ drich Wilhelm den Ersten bei seinem Regierungsantritt über das preußische Steuerwesen gerichtet worden sein soll. Offenbar fanden diese beiden mehr sachlichen und weniger pikanten NatmöLS, von denen man nicht als sicher an¬ nehmen kann, daß sie vom Verfasser der ersten fünf herrühren, in den Kreisen der pariser vornehmen Welt nicht gleichen Anklang, und die Abschriften blieben selten. Erst ein Jahr nach der handschriftlichen Verbreitung scheinen die Mrtmves in den Druck übergegangen zu sein. Der älteste bekannte Druck trägt die Jahreszahl 1766, ist aber ohne Druckort; unmöglich wäre es indeß nicht, daß eine in Kupfer gestochene Ausgabe ohne Jahr und Ort diesem Drucke noch voran ginge. Seitdem sind theils unter richtiger, theils unter falscher Angabe des Druck orth eine Reihe von Ausgaben erschienen, sämmtlich und bis auf die neueste Zeit leichtfertige Abdrücke' von Handschriften und Drucken, ohne kritische Be¬ mühungen zur Herstellung des ursprünglichen Textes, zum Theil mit absicht¬ lichen Auslassungen oder Zusätzen, wie es dem Geschmack und mitunter der Bosheit des jedesmaligen Herausgebers zusagte. Im Ganzen wissen wir bis zum Jahre 1863 von mindestens zehn Drucken, sowie einer deutschen und einer spanischen Uebersetzung des Buchs. Man sieht, daß der Herausgeber des yMsculs irMit. »ut einigem Recht sagen konnte: „Die NÄtii^es sind bis zum heutigen Tage nicht gänzlich unbekannt geblieben." Wir haben aus dem Briefe Grimms vom Is. April 1765 gesehen, daß 65 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/519>, abgerufen am 13.05.2024.