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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in Ravenna zurück. Der segnende Erlöser auf dem Crucifix von Dgnissanti,
war ein majestätischer und jugendlicher Typus, von anmuthigem Umriß und
gemüthvoller religiöser Auffassung. Der bloßen Regelmäßigkeit und Ernst¬
haftigkeit fügte Giotto den Anschein einer eigenen Inspiration hinzu. Ma¬
jestätische Ruhe, friedlicher Ernst und edle Proportionen kennzeichnen den
"Heiland in Glorie" im Ciborium von S. Peter in Rom und in ähnlichen
Darstellungen der Scrovegni-Kapelle in Padua. Das milde, sanfte und geist¬
volle Antlitz des Erlösers zu Santa Chiara von Neapel scheint jedoch am
besten die christliche Idee auszudrücken und erfüllt sowohl in Großartigkeit
des Umrisses als in richtiger Proportion und Haltung jede Forderung der
Kunst. Der klare offene Blick des regelmäßigen Auges vereint weiche Schön¬
heit und Majestät, die breite Stirn bekundet einen kräftigen Geist und
das gescheitelte, in Locken herabfallende Haar gibt dem Gesicht einen eige¬
nen Reiz.

Wenn nun Giottos Werke eine unendlich viel größere Energie, Kraft und
Gedankenfülle und ein männlicheres Ideal des Heilands verkörpern, als sein
Nachfolger Angelico je erreichte, so durchweht sie aber auch sehr viel weniger
warmes religiöses Gefühl, als die des Letzteren. Fra Giovanni, gewöhnlich
Angelico genannt, der Letzte der Giottesker, gab seinem Christusbild am
vollkommensten den Ausdruck der Resignation und Opferfreudigst. Der
weiche Charakter der Züge, die leichte Beugung des Hauptes, drückten am schön¬
sten das Gefühl der Freude aus, wie sie der empfunden hat, welcher die mensch¬
liche Gestalt annahm und unter den größten Schmerzen noch Zufriedenheit im
Herzen trug, daß ihm vergönnt war, für die Sünden der Welt zu sterben.
Die Gestalt des Gottessohns am Kreuz ist in edlerer Weise aufgerichtet und
einfacher als die Giottos, aber da die Gestalt nicht so leblos erscheint und der
Schwere des eigenen Gewichts weniger nachhängt, ist sie auch weniger kraft¬
voll wie bei jenem; sie versinnbildlicht zweifellos am besten das erhabene Opfer
und bleibt das Ideal einer menschlichen Gestalt in solcher Lage. Es ist schwer
die Werke dieser beiden Künstler zu analysiren, aber der charakteristische Unter¬
schied liegt in der Kraft und Energie des Einen, und in der sanften religiösen
Resignation des Anderen. Giotto gibt natürliche, Angelico idealisirte Formen.
Die Ausdrucksweise des Ersteren entspricht der Macht seines Genies, die des
Letzteren steht im Einklang mit seinem sanften, nachgebenden und freundlichen
Wesen. Vom künstlerischen Standpunkt aus sind bei Beiden die Proportionen
gleich schön. Giotto erschuf seinen Typus im vollen Bewußtsein junger Kraft,
die in einem hohen Grade durch das Aufblühen der Kunst und Religion er¬
regt worden war. Angelico bediente sich des von Giotto erfundenen Typus
verlieh ihm aber eine intensiv religiöse Auffassung.

Giotto gab als Erster, Angelico als Letzter dem gekreuzigten Heiland die


in Ravenna zurück. Der segnende Erlöser auf dem Crucifix von Dgnissanti,
war ein majestätischer und jugendlicher Typus, von anmuthigem Umriß und
gemüthvoller religiöser Auffassung. Der bloßen Regelmäßigkeit und Ernst¬
haftigkeit fügte Giotto den Anschein einer eigenen Inspiration hinzu. Ma¬
jestätische Ruhe, friedlicher Ernst und edle Proportionen kennzeichnen den
„Heiland in Glorie" im Ciborium von S. Peter in Rom und in ähnlichen
Darstellungen der Scrovegni-Kapelle in Padua. Das milde, sanfte und geist¬
volle Antlitz des Erlösers zu Santa Chiara von Neapel scheint jedoch am
besten die christliche Idee auszudrücken und erfüllt sowohl in Großartigkeit
des Umrisses als in richtiger Proportion und Haltung jede Forderung der
Kunst. Der klare offene Blick des regelmäßigen Auges vereint weiche Schön¬
heit und Majestät, die breite Stirn bekundet einen kräftigen Geist und
das gescheitelte, in Locken herabfallende Haar gibt dem Gesicht einen eige¬
nen Reiz.

Wenn nun Giottos Werke eine unendlich viel größere Energie, Kraft und
Gedankenfülle und ein männlicheres Ideal des Heilands verkörpern, als sein
Nachfolger Angelico je erreichte, so durchweht sie aber auch sehr viel weniger
warmes religiöses Gefühl, als die des Letzteren. Fra Giovanni, gewöhnlich
Angelico genannt, der Letzte der Giottesker, gab seinem Christusbild am
vollkommensten den Ausdruck der Resignation und Opferfreudigst. Der
weiche Charakter der Züge, die leichte Beugung des Hauptes, drückten am schön¬
sten das Gefühl der Freude aus, wie sie der empfunden hat, welcher die mensch¬
liche Gestalt annahm und unter den größten Schmerzen noch Zufriedenheit im
Herzen trug, daß ihm vergönnt war, für die Sünden der Welt zu sterben.
Die Gestalt des Gottessohns am Kreuz ist in edlerer Weise aufgerichtet und
einfacher als die Giottos, aber da die Gestalt nicht so leblos erscheint und der
Schwere des eigenen Gewichts weniger nachhängt, ist sie auch weniger kraft¬
voll wie bei jenem; sie versinnbildlicht zweifellos am besten das erhabene Opfer
und bleibt das Ideal einer menschlichen Gestalt in solcher Lage. Es ist schwer
die Werke dieser beiden Künstler zu analysiren, aber der charakteristische Unter¬
schied liegt in der Kraft und Energie des Einen, und in der sanften religiösen
Resignation des Anderen. Giotto gibt natürliche, Angelico idealisirte Formen.
Die Ausdrucksweise des Ersteren entspricht der Macht seines Genies, die des
Letzteren steht im Einklang mit seinem sanften, nachgebenden und freundlichen
Wesen. Vom künstlerischen Standpunkt aus sind bei Beiden die Proportionen
gleich schön. Giotto erschuf seinen Typus im vollen Bewußtsein junger Kraft,
die in einem hohen Grade durch das Aufblühen der Kunst und Religion er¬
regt worden war. Angelico bediente sich des von Giotto erfundenen Typus
verlieh ihm aber eine intensiv religiöse Auffassung.

Giotto gab als Erster, Angelico als Letzter dem gekreuzigten Heiland die


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[0069] in Ravenna zurück. Der segnende Erlöser auf dem Crucifix von Dgnissanti, war ein majestätischer und jugendlicher Typus, von anmuthigem Umriß und gemüthvoller religiöser Auffassung. Der bloßen Regelmäßigkeit und Ernst¬ haftigkeit fügte Giotto den Anschein einer eigenen Inspiration hinzu. Ma¬ jestätische Ruhe, friedlicher Ernst und edle Proportionen kennzeichnen den „Heiland in Glorie" im Ciborium von S. Peter in Rom und in ähnlichen Darstellungen der Scrovegni-Kapelle in Padua. Das milde, sanfte und geist¬ volle Antlitz des Erlösers zu Santa Chiara von Neapel scheint jedoch am besten die christliche Idee auszudrücken und erfüllt sowohl in Großartigkeit des Umrisses als in richtiger Proportion und Haltung jede Forderung der Kunst. Der klare offene Blick des regelmäßigen Auges vereint weiche Schön¬ heit und Majestät, die breite Stirn bekundet einen kräftigen Geist und das gescheitelte, in Locken herabfallende Haar gibt dem Gesicht einen eige¬ nen Reiz. Wenn nun Giottos Werke eine unendlich viel größere Energie, Kraft und Gedankenfülle und ein männlicheres Ideal des Heilands verkörpern, als sein Nachfolger Angelico je erreichte, so durchweht sie aber auch sehr viel weniger warmes religiöses Gefühl, als die des Letzteren. Fra Giovanni, gewöhnlich Angelico genannt, der Letzte der Giottesker, gab seinem Christusbild am vollkommensten den Ausdruck der Resignation und Opferfreudigst. Der weiche Charakter der Züge, die leichte Beugung des Hauptes, drückten am schön¬ sten das Gefühl der Freude aus, wie sie der empfunden hat, welcher die mensch¬ liche Gestalt annahm und unter den größten Schmerzen noch Zufriedenheit im Herzen trug, daß ihm vergönnt war, für die Sünden der Welt zu sterben. Die Gestalt des Gottessohns am Kreuz ist in edlerer Weise aufgerichtet und einfacher als die Giottos, aber da die Gestalt nicht so leblos erscheint und der Schwere des eigenen Gewichts weniger nachhängt, ist sie auch weniger kraft¬ voll wie bei jenem; sie versinnbildlicht zweifellos am besten das erhabene Opfer und bleibt das Ideal einer menschlichen Gestalt in solcher Lage. Es ist schwer die Werke dieser beiden Künstler zu analysiren, aber der charakteristische Unter¬ schied liegt in der Kraft und Energie des Einen, und in der sanften religiösen Resignation des Anderen. Giotto gibt natürliche, Angelico idealisirte Formen. Die Ausdrucksweise des Ersteren entspricht der Macht seines Genies, die des Letzteren steht im Einklang mit seinem sanften, nachgebenden und freundlichen Wesen. Vom künstlerischen Standpunkt aus sind bei Beiden die Proportionen gleich schön. Giotto erschuf seinen Typus im vollen Bewußtsein junger Kraft, die in einem hohen Grade durch das Aufblühen der Kunst und Religion er¬ regt worden war. Angelico bediente sich des von Giotto erfundenen Typus verlieh ihm aber eine intensiv religiöse Auffassung. Giotto gab als Erster, Angelico als Letzter dem gekreuzigten Heiland die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/69>, abgerufen am 29.04.2024.