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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Als diese die Füchsin sahen, flatterten sie auf; sie aber rief: "Bleibt ruhig,
Kinder, die alten Streiche hab' ich gelassen und bin jetzt auf der Pilgerfahrt."
"Da will ich auch mitgehen," sagte der Enterich. "So komm und steig auf
meinen Rücken, da wo die Andern sind, kannst auch Du sitzen!"

Nachdem sie so ein gut Stück Weg gemacht hatten, kamen sie zu einer
Höhle. Da sprach die Füchsin! "Da drin wollen wir uns einander Beichte
hören, denn wir müssen über Flüsse und Meere hinüber, und Gott weiß, ob
wir so glücklich sind, bei der Gräberstätte anzukommen. Also komm' Du her.
Meister Hahn, damit ich Dich zuerst verhöre." -- "Was hab' ich gethan, Frau
Marja?" -- "Was Du gethan hast?" fragte die Füchsin, "weißt Du nicht,
daß Du schon um Mitternacht zu krähen anfängst und die Leute aus dem besten
Schlaf aufweckst, daß Du dann rasch nachher noch einmal kräh'se und die Kara-
vanen irre in der Zeit machst, so daß sie zu früh aufbrechen und den Räu¬
bern in die Hände fallen; das sind schwere Sünden, die verlangen schwere
Bußen." Da packte sie den Hahn bei dem Kragen und fraß ihn auf. Nach¬
dem sie fertig war, trat sie vor die Höhle und rief: "Jetzt komm Du, kleiner
Täuber, damit ich Dich beichte." "Was hab' ich denn Böses gethan, Frau
Marja?" "Was Du Böses gethan hast?" erwiderte die Füchsin; "wenn die
Leute ihre Saaten aussähen, um Frucht davon zu ernten, gehst Du da nicht
hin und scharrst sie aus und frißt sie? Das ist eine schwere Sünde, die for¬
dert schwere Buße!" -- Drauf fraß sie auch den Tauber. Und als sie damit
fertig war, trat sie vor die Höhle und rief: "Nun komm Du herein, Herr
Enterich, damit ich Dich beichte." "Was hab ich denn Böses gethan. Frau
Marja?" "Was Du Böses gethan? Hast Du nicht dem König die Krone ge-
stohlen und trägst sie auf Deinem Kopfe?" -- "Nein. Frau Marja. das ist
nicht wahr, wart' ein Bischen, ich will Zeugen holen." -- "Gut. so geh!"

Da ging der Enterich und setzte sich auf einen Holzbirnbaum. Unter dem
kam ein Jäger vorbei und zielte nach tem Enterich mit der Flinte, um ihn zu
schießen. "schieße mich nicht." rief dieser, "was hast Du an mir? Komm lie-
ber mit, ich will Dir einen Ort zeigen, wo ein Füchslein versteckt ist." Der
Jäger war es zufrieden, und sie gingen zusammen hin. Als sie nun zu der
Thür der Höhle gekommen waren, da rief der Enterich: "Komm heraus, Frau
Marja, ich hab' die Zeugen gebracht;" "sind es denn so viele? und wollen
sie nicht hereinkommen?" "Das geht nicht, also komm Du nur heraus!"

Der Jäger aber zielte nach der Thür der Höhle, und wie nun die Füch¬
sin heraussah, drückte er ab und schoß sie todt, aber bevor sie verendete, rief
sie zum Entrich: "Schwarze Unglückstage über Dich und die Zeugen, die Du
mir gebracht hast!"




Als diese die Füchsin sahen, flatterten sie auf; sie aber rief: „Bleibt ruhig,
Kinder, die alten Streiche hab' ich gelassen und bin jetzt auf der Pilgerfahrt."
„Da will ich auch mitgehen," sagte der Enterich. „So komm und steig auf
meinen Rücken, da wo die Andern sind, kannst auch Du sitzen!"

Nachdem sie so ein gut Stück Weg gemacht hatten, kamen sie zu einer
Höhle. Da sprach die Füchsin! „Da drin wollen wir uns einander Beichte
hören, denn wir müssen über Flüsse und Meere hinüber, und Gott weiß, ob
wir so glücklich sind, bei der Gräberstätte anzukommen. Also komm' Du her.
Meister Hahn, damit ich Dich zuerst verhöre." — „Was hab' ich gethan, Frau
Marja?" — „Was Du gethan hast?" fragte die Füchsin, „weißt Du nicht,
daß Du schon um Mitternacht zu krähen anfängst und die Leute aus dem besten
Schlaf aufweckst, daß Du dann rasch nachher noch einmal kräh'se und die Kara-
vanen irre in der Zeit machst, so daß sie zu früh aufbrechen und den Räu¬
bern in die Hände fallen; das sind schwere Sünden, die verlangen schwere
Bußen." Da packte sie den Hahn bei dem Kragen und fraß ihn auf. Nach¬
dem sie fertig war, trat sie vor die Höhle und rief: „Jetzt komm Du, kleiner
Täuber, damit ich Dich beichte." „Was hab' ich denn Böses gethan, Frau
Marja?" „Was Du Böses gethan hast?" erwiderte die Füchsin; „wenn die
Leute ihre Saaten aussähen, um Frucht davon zu ernten, gehst Du da nicht
hin und scharrst sie aus und frißt sie? Das ist eine schwere Sünde, die for¬
dert schwere Buße!" — Drauf fraß sie auch den Tauber. Und als sie damit
fertig war, trat sie vor die Höhle und rief: „Nun komm Du herein, Herr
Enterich, damit ich Dich beichte." „Was hab ich denn Böses gethan. Frau
Marja?" „Was Du Böses gethan? Hast Du nicht dem König die Krone ge-
stohlen und trägst sie auf Deinem Kopfe?" — „Nein. Frau Marja. das ist
nicht wahr, wart' ein Bischen, ich will Zeugen holen." — „Gut. so geh!"

Da ging der Enterich und setzte sich auf einen Holzbirnbaum. Unter dem
kam ein Jäger vorbei und zielte nach tem Enterich mit der Flinte, um ihn zu
schießen. „schieße mich nicht." rief dieser, „was hast Du an mir? Komm lie-
ber mit, ich will Dir einen Ort zeigen, wo ein Füchslein versteckt ist." Der
Jäger war es zufrieden, und sie gingen zusammen hin. Als sie nun zu der
Thür der Höhle gekommen waren, da rief der Enterich: „Komm heraus, Frau
Marja, ich hab' die Zeugen gebracht;" „sind es denn so viele? und wollen
sie nicht hereinkommen?" „Das geht nicht, also komm Du nur heraus!"

Der Jäger aber zielte nach der Thür der Höhle, und wie nun die Füch¬
sin heraussah, drückte er ab und schoß sie todt, aber bevor sie verendete, rief
sie zum Entrich: „Schwarze Unglückstage über Dich und die Zeugen, die Du
mir gebracht hast!"




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/80>, abgerufen am 27.04.2024.