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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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hatten wollen, indem sie sich zur Annahme des Handelsvertrags bequemt, wozu
jetzt schon die meisten Handelskammern entschieden rathen -- das ist eine Frage,
die auch in München im verschwiegenen Cabinet wohl wesentlich anders be¬
antwortet werden möchte, als in ruhmrediger Artikeln der Münchener, augs¬
burger und nürnberger Blätter. Dazu kommt eine zweite, noch gewichtigere
Erwägung. In diesem Augenblick sorgt das Ministerium Bismarck dafür, daß
die Propaganda des Nationalvereins so ziemlich stille steht. Aber wie, wenn
die bayerischen Wahlen vor sich gehen sollten, nachdem die liberale Mehrheit des
Abgeordnetenhauses über die Krcuzzcitungspartei triumphirt und damit das Pro¬
gramm des Nationalvereins zu dem der preußischen Regierung erhoben hätte?
Genug, Aufschub wäre eine Thorheit gewesen und Vorwände waren bald gefunden.
Den einen benutzte man officiell, den andern unter der Hand. Daß sie etwas
durchsichtig waren, schadete lange nicht so viel als eine ungünstige Wahl, und
Herr v. Lerchenfeld ergriff wohl nur seiner Gesundheit halber die Gelegenheit
zu einem Gallausbruch in der Allgemeinen Zeitung, als sich fand, daß gewisse
unversöhnliche Kritiker den Auflösungserlaß nicht wie ein Evangelium hin¬
nehmen wollten.

Zu den allgemeinen Gründen für sofortige Auflösung, die sich aus den Stim¬
mungen des Momentes herleiteten, konnte man noch einen anderen fügen, der
ebenfalls keine geringe Bedeutung hatte. Eben jetzt war die particularistisch-
großdeutsche Partei daran, sich vermöge eines Netzes von Neformvereinen zum
ersten Mal gehörig zu organisiren. Die an sich schwächer" Gegner hätten dies
Geschäft lieber aufgeschoben, um es in eine ihnen gelegenere Zeit fallen zu lassen,
und hatten bis zum Tage der Auflösung thatsächlich noch so gut wie nicht"
dafür gethan. In einem Lande von Bayerns Umfang aber ist die Organisa¬
tion einer Partei immerhin eine zeitraubende Arbeit. Die Wahlen sollten
folglich nicht blos alsbald ausgeschrieben, sie sollten auch auf möglichst nahe
Termine verlegt werden. Für die Urwähler ist daher der 20., für die Ab¬
geordnetenwahlen der 29. April bestimmt. Von einem weiteren Mittel er¬
wünschte Wahlen zu veranlassen, das der mangelhafte Zustand der Gesetzgebung
noch in die Hand der Negierung legt, der Eintheilung der Wahlbezirke, hat
dieselbe, wie es bis jetzt scheint, einen leidlich loyalen Gebrauch gemacht. Es
in westphalenscher oder reigersbergscher Weise auszubeuten, hätte allerdings
einen üblen Geruch verbreiten müssen und konnte ja auch neben so vielen anderen
Vortheilen sehr überflüssig erscheinen.

Am 1. März erschien der königliche Auflösungserlaß, in dem so deutlich,
wie der constitutionelle Anstand es irgend zuließ, eine Wiederwahl der bisherigen
Mehrheit empfohlen wurde. Vierzehn Tage später fand in Nürnberg die erste
Zusammenkunft derjenigen statt, deren Wunsch es sein mußte, soviel als mög¬
lich anders gesinnte Männer in die Kammer zu bringen. Drei Wochen nach


hatten wollen, indem sie sich zur Annahme des Handelsvertrags bequemt, wozu
jetzt schon die meisten Handelskammern entschieden rathen — das ist eine Frage,
die auch in München im verschwiegenen Cabinet wohl wesentlich anders be¬
antwortet werden möchte, als in ruhmrediger Artikeln der Münchener, augs¬
burger und nürnberger Blätter. Dazu kommt eine zweite, noch gewichtigere
Erwägung. In diesem Augenblick sorgt das Ministerium Bismarck dafür, daß
die Propaganda des Nationalvereins so ziemlich stille steht. Aber wie, wenn
die bayerischen Wahlen vor sich gehen sollten, nachdem die liberale Mehrheit des
Abgeordnetenhauses über die Krcuzzcitungspartei triumphirt und damit das Pro¬
gramm des Nationalvereins zu dem der preußischen Regierung erhoben hätte?
Genug, Aufschub wäre eine Thorheit gewesen und Vorwände waren bald gefunden.
Den einen benutzte man officiell, den andern unter der Hand. Daß sie etwas
durchsichtig waren, schadete lange nicht so viel als eine ungünstige Wahl, und
Herr v. Lerchenfeld ergriff wohl nur seiner Gesundheit halber die Gelegenheit
zu einem Gallausbruch in der Allgemeinen Zeitung, als sich fand, daß gewisse
unversöhnliche Kritiker den Auflösungserlaß nicht wie ein Evangelium hin¬
nehmen wollten.

Zu den allgemeinen Gründen für sofortige Auflösung, die sich aus den Stim¬
mungen des Momentes herleiteten, konnte man noch einen anderen fügen, der
ebenfalls keine geringe Bedeutung hatte. Eben jetzt war die particularistisch-
großdeutsche Partei daran, sich vermöge eines Netzes von Neformvereinen zum
ersten Mal gehörig zu organisiren. Die an sich schwächer» Gegner hätten dies
Geschäft lieber aufgeschoben, um es in eine ihnen gelegenere Zeit fallen zu lassen,
und hatten bis zum Tage der Auflösung thatsächlich noch so gut wie nicht«
dafür gethan. In einem Lande von Bayerns Umfang aber ist die Organisa¬
tion einer Partei immerhin eine zeitraubende Arbeit. Die Wahlen sollten
folglich nicht blos alsbald ausgeschrieben, sie sollten auch auf möglichst nahe
Termine verlegt werden. Für die Urwähler ist daher der 20., für die Ab¬
geordnetenwahlen der 29. April bestimmt. Von einem weiteren Mittel er¬
wünschte Wahlen zu veranlassen, das der mangelhafte Zustand der Gesetzgebung
noch in die Hand der Negierung legt, der Eintheilung der Wahlbezirke, hat
dieselbe, wie es bis jetzt scheint, einen leidlich loyalen Gebrauch gemacht. Es
in westphalenscher oder reigersbergscher Weise auszubeuten, hätte allerdings
einen üblen Geruch verbreiten müssen und konnte ja auch neben so vielen anderen
Vortheilen sehr überflüssig erscheinen.

Am 1. März erschien der königliche Auflösungserlaß, in dem so deutlich,
wie der constitutionelle Anstand es irgend zuließ, eine Wiederwahl der bisherigen
Mehrheit empfohlen wurde. Vierzehn Tage später fand in Nürnberg die erste
Zusammenkunft derjenigen statt, deren Wunsch es sein mußte, soviel als mög¬
lich anders gesinnte Männer in die Kammer zu bringen. Drei Wochen nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/46>, abgerufen am 19.05.2024.