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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Statthalterschaft übergeben war, trug andrerseits wieder dazu bei, den Ueber¬
muth der Gegner zu reizen. Und mochte auch der Markgraf noch so eifrig
und geschickt die Dinge angreifen, es war auf die Dauer eitles Bemühn.
Denn es fehlte ihm der nothwendige Rückhalt am Kaiser selbst, dessen Rolle
im Reich so gut wie ausgespielt war. Selten, darf man sagen, ist ein Fürst
mit redlicherem Willen an ein größeres Tagewerk gegangen; selten ist und hat
sich keiner bitterer getauscht als Sigismund. So glänzend seine Anfänge gewesen
waren, sein ganzes Auftreten litt an der Unzuverlässigst des Dilettanten,
und überdies kämpfte er jetzt schon lange mit zerbrochenen Schwert.

Die imposante Stellung, die er als Schirmvogt und Haupt jenes Conciles
zu Konstanz einnahm, das zu einem Parlamente der Christenheit wurde; das
hohe Pathos, welches allen seinen Negicrungsacten jener ersten Zeit den Stempel
alter Kaiserherrlichkeit verlieh, spannte die Erwartungen der Nation ins Un-
gemessene. Aber sein anfängliches Glück verblendete ihn. Es riß ihn zu der
Ueberschwänglichkcit fort, den Machtumfang des weiland christlich-germanischen
Reiches wieder zu usurpiren. Die Rundreise, die er zu diesem Zwecke unter¬
nahm, mißglückte und kostete ihm obendrein seine alte Stellung dem Concile
gegenüber, durch dessen Papst, Martin den Fünften, der Glanz seiner Majestät
verdunkelt, sein Einfluß auf die Kirche beseitigt wurde. Dies alles konnte er
weder verhüten noch hinterher wieder gut machen, nachdem er bei Hussens Pro¬
ceß der persönlichen Versuchung erlegen war, die an ihn herantrat. Das Concil
wollte nicht mehr erstreben und schien nicht mehr erstreben >u dürfen, als die
Reform der Kirchenverfassung; die Frage des Dogmas wies es ab und darum
zunächst verdammte es den Urheber. Sigismund aber, der die gottgegebene
Natur seiner Macht unabhängig und unberührbar von menschlicher Sündhaf¬
tigkeit glaubte und in der Anerkennung dieser Auffassung die Gewähr des neuen
Regimentes suchte, das er auf sich genommen, ihn traf der sittliche Rigorismus
des böhmischen Magisters wie ein Attentat; die Abwehr war, daß er ihn fallen
ließ und dem Scheiterhaufen überlieferte.

Hier liegt der Wendepunkt seiner und der deutschen Geschichte. Es war
eine unheimliche Gleichzeitigkeit gewesen, daß in den Tagen von Sigismundö
erster Wahl die Nachricht von der tanncnberger Schlacht ins Reich gedrungen
war. Was der Rabenschrei bedeutet hatte, offenbarte sich nun: der Ausbruch
der böhmischen Revolution verwandelte die Gestalt der Dinge von Grund aus.
Denn diese -hussitische Empörung war wie für die Kirche so für das Reich ein
völlig unerhörtes Erlebniß. Jeder Tag erneute die Erfahrung, daß das Zu-
sammenwirken der politischen, der religiösen, socialen und nationalen Bewegung,
wie es hier zum ersten Male hervortrat, alle bestehenden Bildungen mit dem
Untergang bedrohte. Und an Sigismunds Name" haftete nicht blos der Fluch
der That, welche die grollenden Geister entfesselt hatte, sondern seit Wenzels


Statthalterschaft übergeben war, trug andrerseits wieder dazu bei, den Ueber¬
muth der Gegner zu reizen. Und mochte auch der Markgraf noch so eifrig
und geschickt die Dinge angreifen, es war auf die Dauer eitles Bemühn.
Denn es fehlte ihm der nothwendige Rückhalt am Kaiser selbst, dessen Rolle
im Reich so gut wie ausgespielt war. Selten, darf man sagen, ist ein Fürst
mit redlicherem Willen an ein größeres Tagewerk gegangen; selten ist und hat
sich keiner bitterer getauscht als Sigismund. So glänzend seine Anfänge gewesen
waren, sein ganzes Auftreten litt an der Unzuverlässigst des Dilettanten,
und überdies kämpfte er jetzt schon lange mit zerbrochenen Schwert.

Die imposante Stellung, die er als Schirmvogt und Haupt jenes Conciles
zu Konstanz einnahm, das zu einem Parlamente der Christenheit wurde; das
hohe Pathos, welches allen seinen Negicrungsacten jener ersten Zeit den Stempel
alter Kaiserherrlichkeit verlieh, spannte die Erwartungen der Nation ins Un-
gemessene. Aber sein anfängliches Glück verblendete ihn. Es riß ihn zu der
Ueberschwänglichkcit fort, den Machtumfang des weiland christlich-germanischen
Reiches wieder zu usurpiren. Die Rundreise, die er zu diesem Zwecke unter¬
nahm, mißglückte und kostete ihm obendrein seine alte Stellung dem Concile
gegenüber, durch dessen Papst, Martin den Fünften, der Glanz seiner Majestät
verdunkelt, sein Einfluß auf die Kirche beseitigt wurde. Dies alles konnte er
weder verhüten noch hinterher wieder gut machen, nachdem er bei Hussens Pro¬
ceß der persönlichen Versuchung erlegen war, die an ihn herantrat. Das Concil
wollte nicht mehr erstreben und schien nicht mehr erstreben >u dürfen, als die
Reform der Kirchenverfassung; die Frage des Dogmas wies es ab und darum
zunächst verdammte es den Urheber. Sigismund aber, der die gottgegebene
Natur seiner Macht unabhängig und unberührbar von menschlicher Sündhaf¬
tigkeit glaubte und in der Anerkennung dieser Auffassung die Gewähr des neuen
Regimentes suchte, das er auf sich genommen, ihn traf der sittliche Rigorismus
des böhmischen Magisters wie ein Attentat; die Abwehr war, daß er ihn fallen
ließ und dem Scheiterhaufen überlieferte.

Hier liegt der Wendepunkt seiner und der deutschen Geschichte. Es war
eine unheimliche Gleichzeitigkeit gewesen, daß in den Tagen von Sigismundö
erster Wahl die Nachricht von der tanncnberger Schlacht ins Reich gedrungen
war. Was der Rabenschrei bedeutet hatte, offenbarte sich nun: der Ausbruch
der böhmischen Revolution verwandelte die Gestalt der Dinge von Grund aus.
Denn diese -hussitische Empörung war wie für die Kirche so für das Reich ein
völlig unerhörtes Erlebniß. Jeder Tag erneute die Erfahrung, daß das Zu-
sammenwirken der politischen, der religiösen, socialen und nationalen Bewegung,
wie es hier zum ersten Male hervortrat, alle bestehenden Bildungen mit dem
Untergang bedrohte. Und an Sigismunds Name» haftete nicht blos der Fluch
der That, welche die grollenden Geister entfesselt hatte, sondern seit Wenzels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/28>, abgerufen am 19.05.2024.