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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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3) Der für das Nahgefecht so wichtige Kartätschschuß ist in seiner ganzen
Fülle und Einfachheit im gezogenen Geschütz nicht anwendbar. .

4) Man hat noch keinen hinreichend einfachen und anwendbaren Zünder
für das Spitzgeschoß der gezogenen Rohre erfunden, welcher das Platzen vor
dem Ziel gestattet und dieses also mit einer Fläche der einzelnen, bereits aus¬
einandergegangenen Theile trifft. Die jetzigen Zünder sprengen das Geschoß
infolge der Berührung mit dein Ziel, der Streuungskcgel beginnt im zu
treffenden Körper und hat infolge dessen einen geringern Wirkungskreis.

In Bezug auf die Zünder sind die Erfindungen einem günstigen Resultat
schon sehr nahe, in Betreff der andern Punkte werden sie auch nicht zurück¬
bleiben und es ist deshalb kaum zu zweifeln, daß wie in der Infanterie ebenso
bei der Artillerie in kürzester Zeit das gezogene Rohr das glatte ganz ver¬
drängen wird, weil das erstere überall mit Sicherheit zu verwenden ist, wäh¬
rend das letztere nur einen beschränkten Gebrauchswert!) hat.

Wir dürfen also daraus rechnen, daß in kürzester Zeit die Schußwaffen
unsrer Armeen durchgängig vortrefflich sein werden. Daraus ist aber noch
nicht zu folgern, daß deshalb die Kriege blutiger werden müssen. Schon die
Erfahrung widerspricht. Und der Krieg ist in dieser Richtung mit dem Duell
zu vergleichen, dessen Ausgang im Ganzen weit mehr von der Natur der
Kämpfenden und von der Art der vorangegangenen Beleidigung, als von der
Güte der Waffe abhängt. Je mehr es sich um das Leben handelt, um so
mehr wird das Leben eingesetzt. In den alten Zeiten, wo ewige Sklaverei die
Folge der Kriegsgefangenschaft war. fiel die Hälfte bis zwei Drittel der Käm¬
pfenden auf dem'Schlachtfelde. In der Zeit der Söldnerheere, wo jeder da
Dienste that, wo er gerade war, oder in dem Heere, in welchem der Krieg
selbst die meiste Aussicht bot. erreichten die Verluste durch den Tod die aller¬
geringsten Zahlen.

Je mehr das Heer mit seinen innersten Interessen in die Absichten des Krieges
verwebt ist. je blutiger sind die Schlachten. Die Russen verloren z. B. in der
Schlacht an der Moskwa an Todten und Verwundeten mindestens ein Drittel ihrer
gescunmten Mannschaften. Bei Großgörschen aber. 1813, zählten ihre Todten
und Verwundeten ein Sechzehntel der Gescnnmtzahl, während sie sich bei den
Preußen in derselben Schlacht aus ein Drittel berechneten. In einem Rccognos-
cirungsgefecht. wo kein Mensch weiß was er soll, sind die Verluste immer sehr
gering, in der Entscheidungsschlacht, wo es sich um die Existenz von Staaten
und dergl. handelt, erreichen sie das höchste Maß. Bei Montebello 18SL verloren
die Oestreicher ein Zweiundzwanzigstel ihrer Gefechtsstärke, bei Solferino ein Elftel.

Die Sarden hatten in dieser Schlacht einen Verlust von einem Sechstel ihrer
Zahl, die Franzosen von einem Zwanzigstel der in die Schlacht geführten Truppen.
In Italien 1869 hatten -- nebenbei bemerkt -- die Franzosen die bessere Be-


3) Der für das Nahgefecht so wichtige Kartätschschuß ist in seiner ganzen
Fülle und Einfachheit im gezogenen Geschütz nicht anwendbar. .

4) Man hat noch keinen hinreichend einfachen und anwendbaren Zünder
für das Spitzgeschoß der gezogenen Rohre erfunden, welcher das Platzen vor
dem Ziel gestattet und dieses also mit einer Fläche der einzelnen, bereits aus¬
einandergegangenen Theile trifft. Die jetzigen Zünder sprengen das Geschoß
infolge der Berührung mit dein Ziel, der Streuungskcgel beginnt im zu
treffenden Körper und hat infolge dessen einen geringern Wirkungskreis.

In Bezug auf die Zünder sind die Erfindungen einem günstigen Resultat
schon sehr nahe, in Betreff der andern Punkte werden sie auch nicht zurück¬
bleiben und es ist deshalb kaum zu zweifeln, daß wie in der Infanterie ebenso
bei der Artillerie in kürzester Zeit das gezogene Rohr das glatte ganz ver¬
drängen wird, weil das erstere überall mit Sicherheit zu verwenden ist, wäh¬
rend das letztere nur einen beschränkten Gebrauchswert!) hat.

Wir dürfen also daraus rechnen, daß in kürzester Zeit die Schußwaffen
unsrer Armeen durchgängig vortrefflich sein werden. Daraus ist aber noch
nicht zu folgern, daß deshalb die Kriege blutiger werden müssen. Schon die
Erfahrung widerspricht. Und der Krieg ist in dieser Richtung mit dem Duell
zu vergleichen, dessen Ausgang im Ganzen weit mehr von der Natur der
Kämpfenden und von der Art der vorangegangenen Beleidigung, als von der
Güte der Waffe abhängt. Je mehr es sich um das Leben handelt, um so
mehr wird das Leben eingesetzt. In den alten Zeiten, wo ewige Sklaverei die
Folge der Kriegsgefangenschaft war. fiel die Hälfte bis zwei Drittel der Käm¬
pfenden auf dem'Schlachtfelde. In der Zeit der Söldnerheere, wo jeder da
Dienste that, wo er gerade war, oder in dem Heere, in welchem der Krieg
selbst die meiste Aussicht bot. erreichten die Verluste durch den Tod die aller¬
geringsten Zahlen.

Je mehr das Heer mit seinen innersten Interessen in die Absichten des Krieges
verwebt ist. je blutiger sind die Schlachten. Die Russen verloren z. B. in der
Schlacht an der Moskwa an Todten und Verwundeten mindestens ein Drittel ihrer
gescunmten Mannschaften. Bei Großgörschen aber. 1813, zählten ihre Todten
und Verwundeten ein Sechzehntel der Gescnnmtzahl, während sie sich bei den
Preußen in derselben Schlacht aus ein Drittel berechneten. In einem Rccognos-
cirungsgefecht. wo kein Mensch weiß was er soll, sind die Verluste immer sehr
gering, in der Entscheidungsschlacht, wo es sich um die Existenz von Staaten
und dergl. handelt, erreichen sie das höchste Maß. Bei Montebello 18SL verloren
die Oestreicher ein Zweiundzwanzigstel ihrer Gefechtsstärke, bei Solferino ein Elftel.

Die Sarden hatten in dieser Schlacht einen Verlust von einem Sechstel ihrer
Zahl, die Franzosen von einem Zwanzigstel der in die Schlacht geführten Truppen.
In Italien 1869 hatten — nebenbei bemerkt — die Franzosen die bessere Be-


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[0039] 3) Der für das Nahgefecht so wichtige Kartätschschuß ist in seiner ganzen Fülle und Einfachheit im gezogenen Geschütz nicht anwendbar. . 4) Man hat noch keinen hinreichend einfachen und anwendbaren Zünder für das Spitzgeschoß der gezogenen Rohre erfunden, welcher das Platzen vor dem Ziel gestattet und dieses also mit einer Fläche der einzelnen, bereits aus¬ einandergegangenen Theile trifft. Die jetzigen Zünder sprengen das Geschoß infolge der Berührung mit dein Ziel, der Streuungskcgel beginnt im zu treffenden Körper und hat infolge dessen einen geringern Wirkungskreis. In Bezug auf die Zünder sind die Erfindungen einem günstigen Resultat schon sehr nahe, in Betreff der andern Punkte werden sie auch nicht zurück¬ bleiben und es ist deshalb kaum zu zweifeln, daß wie in der Infanterie ebenso bei der Artillerie in kürzester Zeit das gezogene Rohr das glatte ganz ver¬ drängen wird, weil das erstere überall mit Sicherheit zu verwenden ist, wäh¬ rend das letztere nur einen beschränkten Gebrauchswert!) hat. Wir dürfen also daraus rechnen, daß in kürzester Zeit die Schußwaffen unsrer Armeen durchgängig vortrefflich sein werden. Daraus ist aber noch nicht zu folgern, daß deshalb die Kriege blutiger werden müssen. Schon die Erfahrung widerspricht. Und der Krieg ist in dieser Richtung mit dem Duell zu vergleichen, dessen Ausgang im Ganzen weit mehr von der Natur der Kämpfenden und von der Art der vorangegangenen Beleidigung, als von der Güte der Waffe abhängt. Je mehr es sich um das Leben handelt, um so mehr wird das Leben eingesetzt. In den alten Zeiten, wo ewige Sklaverei die Folge der Kriegsgefangenschaft war. fiel die Hälfte bis zwei Drittel der Käm¬ pfenden auf dem'Schlachtfelde. In der Zeit der Söldnerheere, wo jeder da Dienste that, wo er gerade war, oder in dem Heere, in welchem der Krieg selbst die meiste Aussicht bot. erreichten die Verluste durch den Tod die aller¬ geringsten Zahlen. Je mehr das Heer mit seinen innersten Interessen in die Absichten des Krieges verwebt ist. je blutiger sind die Schlachten. Die Russen verloren z. B. in der Schlacht an der Moskwa an Todten und Verwundeten mindestens ein Drittel ihrer gescunmten Mannschaften. Bei Großgörschen aber. 1813, zählten ihre Todten und Verwundeten ein Sechzehntel der Gescnnmtzahl, während sie sich bei den Preußen in derselben Schlacht aus ein Drittel berechneten. In einem Rccognos- cirungsgefecht. wo kein Mensch weiß was er soll, sind die Verluste immer sehr gering, in der Entscheidungsschlacht, wo es sich um die Existenz von Staaten und dergl. handelt, erreichen sie das höchste Maß. Bei Montebello 18SL verloren die Oestreicher ein Zweiundzwanzigstel ihrer Gefechtsstärke, bei Solferino ein Elftel. Die Sarden hatten in dieser Schlacht einen Verlust von einem Sechstel ihrer Zahl, die Franzosen von einem Zwanzigstel der in die Schlacht geführten Truppen. In Italien 1869 hatten — nebenbei bemerkt — die Franzosen die bessere Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/39>, abgerufen am 19.05.2024.