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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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einen ausgedehnten Boden der Verwendung verschaffen, und so wurde das Sy¬
stem bei allen Armeen eingeführt. Den kleinen Mängeln des Systems suchte
man durch eine Variation in der Eonstruction der Kugel abzuhelfen. Von
diesen Variationen ist die bedeutendste, daß man statt der Höhlung in der Kugel,
ringartige, tiefe Einkerbungen an dem untern cylindrischen Theil der Kugel
anbrachte und so bewirkte, daß durch die erste Entwickelung der Pulvergase die
entstandenen Bleischeiben aufeinander und damit auch auseinandergetrieben
wurden. Derartige Kugeln, von Lorenzen und Wilkinson erfunden, führt die
östreichische, sächsische, hannöversche und schweizerische Infanterie. Die Eng¬
länder sind mit dem Geschoß Pritchet, die Franzosen mit dem von Neßler, die
Bayern mit dem von Podewils, die Hessen mit dem von Plönnies erfundenen
Geschoß dem System Miris treu geblieben. -- Dieses System hat, wie gesagt,
den großen Vortheil das Bestehende zu conserviren, aber es hat den Nachtheil,
daß die Züge bei starkem und erhitzenden Gebrauch verbleien und daß die Kugeln
eine sehr hohe Flughahn haben. Der erstere Fehler erklärt sich selber, der an¬
dere' entsteht dadurch, daß man nur schwache Ladungen anwenden kann, (starke
lassen die Kugeln aus den Zügen springen) und infolge dessen nur durch
hohe Bogen an ein fernes Ziel gelangen. Auch die Form der Kugel und die
Lage des Schwerpunkts tragen zu diesem Uebelstande bei und haben ebenfalls
kleine Variationen in der Kugelform zur Folge gehabt. Doch gehört zur Klar¬
legung dessen ein viel genaueres Detail, als uns hier gestattet sein dürste.

Radical in der Bewaffnung seiner Infanterie verfuhr nur Preußen.
Es gab seinen Feldtruppen ein ganz neues Gewehr, das in seinen Vorzügen
und Nachtheilen schon erwähnte Zündnadelgewehr und wandelte seine alten
Bestände durch Ziehen der Rohre in Miniegewehre für die Festungsbesatzungen
um. Neben dem bereits erwähnten Nachtheil des leichten Verschießens wirft
man dem Zündnadelgewehr noch vor, daß das Schloß zu complicirt und zu
fragil, die Munition aber zu künstlich sei. Den beiden erstem Vorwürfen wider¬
spricht die Erfahrung, welche in dieser Beziehung zu Gunsten des Zündnadel¬
gewehrs gegen die andern Gewehre spricht. Die Reparatur des Zündnadel,
Schlosses kann in den meisten Fällen der Soldat zu jeder Zeit mit freier Hand
unternehmen, während es bei den andern Gewehren mindestens eines Schrauben¬
ziehers und meist eines Federhalters bedarf. Gewiß ist, daß bei dem jetzigen
Feldzuge in Schleswig in Folge der Witterung die östreichischen Gewehre ver¬
sagten, die preußischen nicht. Der Vorwurf der künstlichen Munition kann
nicht ganz abgewiesen werden, da die Zündpillen, welche die Zündhütchen ersetzen,
nicht wie diese in allen Landen, sondern nur in den eigenen Laboratorien fabricirt
werden. Dafür ist die ganze Munition aber auch in der Patrone vereinigt. Die
Nachtheile der Mimi6gewahre. die Verbleiung und die hohe Kugelbahn hat der
schon genannte Schöpfer des Gewehrs, Dreyse, dadurch zu heben und zu mildern


einen ausgedehnten Boden der Verwendung verschaffen, und so wurde das Sy¬
stem bei allen Armeen eingeführt. Den kleinen Mängeln des Systems suchte
man durch eine Variation in der Eonstruction der Kugel abzuhelfen. Von
diesen Variationen ist die bedeutendste, daß man statt der Höhlung in der Kugel,
ringartige, tiefe Einkerbungen an dem untern cylindrischen Theil der Kugel
anbrachte und so bewirkte, daß durch die erste Entwickelung der Pulvergase die
entstandenen Bleischeiben aufeinander und damit auch auseinandergetrieben
wurden. Derartige Kugeln, von Lorenzen und Wilkinson erfunden, führt die
östreichische, sächsische, hannöversche und schweizerische Infanterie. Die Eng¬
länder sind mit dem Geschoß Pritchet, die Franzosen mit dem von Neßler, die
Bayern mit dem von Podewils, die Hessen mit dem von Plönnies erfundenen
Geschoß dem System Miris treu geblieben. — Dieses System hat, wie gesagt,
den großen Vortheil das Bestehende zu conserviren, aber es hat den Nachtheil,
daß die Züge bei starkem und erhitzenden Gebrauch verbleien und daß die Kugeln
eine sehr hohe Flughahn haben. Der erstere Fehler erklärt sich selber, der an¬
dere' entsteht dadurch, daß man nur schwache Ladungen anwenden kann, (starke
lassen die Kugeln aus den Zügen springen) und infolge dessen nur durch
hohe Bogen an ein fernes Ziel gelangen. Auch die Form der Kugel und die
Lage des Schwerpunkts tragen zu diesem Uebelstande bei und haben ebenfalls
kleine Variationen in der Kugelform zur Folge gehabt. Doch gehört zur Klar¬
legung dessen ein viel genaueres Detail, als uns hier gestattet sein dürste.

Radical in der Bewaffnung seiner Infanterie verfuhr nur Preußen.
Es gab seinen Feldtruppen ein ganz neues Gewehr, das in seinen Vorzügen
und Nachtheilen schon erwähnte Zündnadelgewehr und wandelte seine alten
Bestände durch Ziehen der Rohre in Miniegewehre für die Festungsbesatzungen
um. Neben dem bereits erwähnten Nachtheil des leichten Verschießens wirft
man dem Zündnadelgewehr noch vor, daß das Schloß zu complicirt und zu
fragil, die Munition aber zu künstlich sei. Den beiden erstem Vorwürfen wider¬
spricht die Erfahrung, welche in dieser Beziehung zu Gunsten des Zündnadel¬
gewehrs gegen die andern Gewehre spricht. Die Reparatur des Zündnadel,
Schlosses kann in den meisten Fällen der Soldat zu jeder Zeit mit freier Hand
unternehmen, während es bei den andern Gewehren mindestens eines Schrauben¬
ziehers und meist eines Federhalters bedarf. Gewiß ist, daß bei dem jetzigen
Feldzuge in Schleswig in Folge der Witterung die östreichischen Gewehre ver¬
sagten, die preußischen nicht. Der Vorwurf der künstlichen Munition kann
nicht ganz abgewiesen werden, da die Zündpillen, welche die Zündhütchen ersetzen,
nicht wie diese in allen Landen, sondern nur in den eigenen Laboratorien fabricirt
werden. Dafür ist die ganze Munition aber auch in der Patrone vereinigt. Die
Nachtheile der Mimi6gewahre. die Verbleiung und die hohe Kugelbahn hat der
schon genannte Schöpfer des Gewehrs, Dreyse, dadurch zu heben und zu mildern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/42>, abgerufen am 19.05.2024.