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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Naturbeschreibung gehabt; der Mangel der letzteren war durch das Fehlen der
ersteren, durch die Entbehrung der Anregungen mit bedingt, welche die heutige
Naturbeschreibung der künstlerischen Darstellung verdankt. An den zahlreichen
trefflichen Naturbeschreibungen, die wir aus dem Alterthum haben, vermissen
wir durchaus den landschaftlichen Sinn. Die Aufmerksamkeit ist überall mehr
auf die einzelnen Erscheinungen als auf ihr Zusammenwirken zum Ganzen
(die Stimmung) gerichtet. Vor allem fehlt ganz und gar die Hervorhebung der
Wirkungen des Lichts und ihrer Modificationen durch das Medium der Luft,
Nicht daß bei Naturbeschreibungen der Alten klarer Sonnenschein, trüber Wolken¬
himmel, Mond- und Sternenlicht unerwähnt bleiben. Aber von dem eigen¬
thümlichen Charakter, den die Landschaft und ihre Theile durch die Beleuchtung
erhalten, ist nirgends die Rede, nirgends von den verschiedenen Wirkungen der
Nähen und Fernen; von den Abstufungen, die zwischen einem kalten Mondlicht
und der Gluth der Abendsonne liegen, von den wundervollen Farben, in die
sich im Süden Morgens und Abends der Horizont und ferne Berge tauchen,
und die vom zartesten Rosa durch alle Grade bis zum tiefsten Blau gehen.
In der ganzen antiken Literatur wird man vergebens einen Ausdruck wie "blaue
Berge" oder "dämmernde Fernen" suchen. In keiner der Inschriften am
Memnonskoloß wird der landschaftlichen Wirkung der steigenden Morgenröthe
und des Sonnenaufgangs gedacht. Ovid sah Rom zum letzten Mal im Mond¬
schein, und wie hätte ein moderner Dichter von seiner Begabung bei dem Bilde
der so beleuchteten Stadt verweilt -- er hat kaum ein flüchtiges Wort dafür,
während er über den thränenreichen Abschied von den "Seinigen übermäßig
wortreich ist."

"Daß die Luftperspective sich in der alten Malerei ebensowenig entwickelt
hat, wie die Linearpcrspective, kann nur daran liegen, daß das Bedürfniß
nicht vorhanden war. die betreffenden Erscheinungen zur Darstellung zu bringen.
Wäre dies Bedürfniß empfunden worden, so hätte die Kunst sicherlich auch die
Wege eingeschlagen, die zu seiner Befriedigung führen mußten."




Grenzboten III. 1864.38

Naturbeschreibung gehabt; der Mangel der letzteren war durch das Fehlen der
ersteren, durch die Entbehrung der Anregungen mit bedingt, welche die heutige
Naturbeschreibung der künstlerischen Darstellung verdankt. An den zahlreichen
trefflichen Naturbeschreibungen, die wir aus dem Alterthum haben, vermissen
wir durchaus den landschaftlichen Sinn. Die Aufmerksamkeit ist überall mehr
auf die einzelnen Erscheinungen als auf ihr Zusammenwirken zum Ganzen
(die Stimmung) gerichtet. Vor allem fehlt ganz und gar die Hervorhebung der
Wirkungen des Lichts und ihrer Modificationen durch das Medium der Luft,
Nicht daß bei Naturbeschreibungen der Alten klarer Sonnenschein, trüber Wolken¬
himmel, Mond- und Sternenlicht unerwähnt bleiben. Aber von dem eigen¬
thümlichen Charakter, den die Landschaft und ihre Theile durch die Beleuchtung
erhalten, ist nirgends die Rede, nirgends von den verschiedenen Wirkungen der
Nähen und Fernen; von den Abstufungen, die zwischen einem kalten Mondlicht
und der Gluth der Abendsonne liegen, von den wundervollen Farben, in die
sich im Süden Morgens und Abends der Horizont und ferne Berge tauchen,
und die vom zartesten Rosa durch alle Grade bis zum tiefsten Blau gehen.
In der ganzen antiken Literatur wird man vergebens einen Ausdruck wie „blaue
Berge" oder „dämmernde Fernen" suchen. In keiner der Inschriften am
Memnonskoloß wird der landschaftlichen Wirkung der steigenden Morgenröthe
und des Sonnenaufgangs gedacht. Ovid sah Rom zum letzten Mal im Mond¬
schein, und wie hätte ein moderner Dichter von seiner Begabung bei dem Bilde
der so beleuchteten Stadt verweilt — er hat kaum ein flüchtiges Wort dafür,
während er über den thränenreichen Abschied von den "Seinigen übermäßig
wortreich ist."

„Daß die Luftperspective sich in der alten Malerei ebensowenig entwickelt
hat, wie die Linearpcrspective, kann nur daran liegen, daß das Bedürfniß
nicht vorhanden war. die betreffenden Erscheinungen zur Darstellung zu bringen.
Wäre dies Bedürfniß empfunden worden, so hätte die Kunst sicherlich auch die
Wege eingeschlagen, die zu seiner Befriedigung führen mußten."




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[0305] Naturbeschreibung gehabt; der Mangel der letzteren war durch das Fehlen der ersteren, durch die Entbehrung der Anregungen mit bedingt, welche die heutige Naturbeschreibung der künstlerischen Darstellung verdankt. An den zahlreichen trefflichen Naturbeschreibungen, die wir aus dem Alterthum haben, vermissen wir durchaus den landschaftlichen Sinn. Die Aufmerksamkeit ist überall mehr auf die einzelnen Erscheinungen als auf ihr Zusammenwirken zum Ganzen (die Stimmung) gerichtet. Vor allem fehlt ganz und gar die Hervorhebung der Wirkungen des Lichts und ihrer Modificationen durch das Medium der Luft, Nicht daß bei Naturbeschreibungen der Alten klarer Sonnenschein, trüber Wolken¬ himmel, Mond- und Sternenlicht unerwähnt bleiben. Aber von dem eigen¬ thümlichen Charakter, den die Landschaft und ihre Theile durch die Beleuchtung erhalten, ist nirgends die Rede, nirgends von den verschiedenen Wirkungen der Nähen und Fernen; von den Abstufungen, die zwischen einem kalten Mondlicht und der Gluth der Abendsonne liegen, von den wundervollen Farben, in die sich im Süden Morgens und Abends der Horizont und ferne Berge tauchen, und die vom zartesten Rosa durch alle Grade bis zum tiefsten Blau gehen. In der ganzen antiken Literatur wird man vergebens einen Ausdruck wie „blaue Berge" oder „dämmernde Fernen" suchen. In keiner der Inschriften am Memnonskoloß wird der landschaftlichen Wirkung der steigenden Morgenröthe und des Sonnenaufgangs gedacht. Ovid sah Rom zum letzten Mal im Mond¬ schein, und wie hätte ein moderner Dichter von seiner Begabung bei dem Bilde der so beleuchteten Stadt verweilt — er hat kaum ein flüchtiges Wort dafür, während er über den thränenreichen Abschied von den "Seinigen übermäßig wortreich ist." „Daß die Luftperspective sich in der alten Malerei ebensowenig entwickelt hat, wie die Linearpcrspective, kann nur daran liegen, daß das Bedürfniß nicht vorhanden war. die betreffenden Erscheinungen zur Darstellung zu bringen. Wäre dies Bedürfniß empfunden worden, so hätte die Kunst sicherlich auch die Wege eingeschlagen, die zu seiner Befriedigung führen mußten." Grenzboten III. 1864.38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/305>, abgerufen am 20.05.2024.