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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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später Paulus weiter baute. Aber mit der Gemeinde zu Jerusalem scheinen
sie keinen Zusammenhang mehr gehabt zu haben. Hier fixirte sich unter der
Autorität der Urapostel das officielle Christenthum als eine fromme rechtgläubige
Sekte des Judenthums. Von den Juden wurde sie im Ganzen nicht belästigt,
mehr verspottet, sie wurde ganz wie eine der andren Sekten, der Pharisäer und
Sadducäer angesehen. Insbesondere scheinen sie mit den Pharisäern, die ja
selbst eifrige Messiasgläubige waren und nur Jesus nicht als Messias an¬
erkannten, und mit denen sie auch den Glauben an die Auferstehung der
Todten theilten, freundliche Beziehungen gehabt zu haben; es fehlt nicht an
Spuren, wonach sie den jüdischen Sekten näher standen als ihren heidenchrist¬
lichen Brüdern.

In der That entfernten sie sich mit ihrem Glauben wie mit ihrem Cultus
kaum vom Boden des Judenthums*). Die Kunde von dem nunmehr erschiene¬
nen, von den Todten auferstandenen und zum Gericht wiederkommenden Mes¬
sias bildete den ganzen Inhalt der apostolischen Predigt. Damit bestand zwi¬
schen ihnen und den Juden kein dogmatischer Unterschied, sondern nur der
untergeordnete, daß sie über die Person des Messias stritten. Sie betrachteten
sich als die legitime Fortsetzung, als der rechtgläubige Zweig des Judenthums,
und demgemäß war auch ihr praktisches Verhalten. Allerdings geschahen jetzt
die ersten Schritte zur Organisation der Gemeinden, soweit eine solche bei der
Erwartung der nahen Wiederkunft des Herrn nothwendig schien. Aelteste
mit einem Vorsteher traten an die Spitze, in Jerusalem hatte diese Stelle
Jakobus der Gerechte, einer der Brüder Jesu (von dem Apostel gleichen
Namens zu unterscheiden), lange Jahre inne. Die gemeinsamen Liebes¬
mahle, das Passahabendmahl, ein gemeinsamer Feiertag der Woche, später die
Taufe unterschieden die neue Gemeinde, die überdies besonders der Organi¬
sation der Armenpflege ihre Sorge zuwandte. Aber dabei erfüllten sie das
Gesetz, sie hielten den Sabbath, beobachteten die vaterländischen Bräuche,
ließen in ächter Weise das Vieh schlachten und gingen fort und fort in den
Tempel zu Jerusalem. Insbesondere wird uns Jakobus der Gerechte als ein
echt nationaler, gesetzesfrommer Jsraelit geschildert, der täglich in den Tempel
ging und von Juden und Christen hoch verehrt war. Auch dies ist bezeich¬
nend, daß der persönliche Zusammenhang mit Jesus einen besonderen Vorzug
begründete; so wurde nach dem Märtyrertod des Jakobus ein anderer Ver¬
wandter Jesu zum Vorsteher der Gemeinde gewählt, und noch bis ins zweite
Jahrhundert hinein soll die Urgemeindc nur Verwandte Jesu und jedenfalls



-) Vgl, Schwerer, das nachapostol, Zeitalter. 1, S, 89 ff.

später Paulus weiter baute. Aber mit der Gemeinde zu Jerusalem scheinen
sie keinen Zusammenhang mehr gehabt zu haben. Hier fixirte sich unter der
Autorität der Urapostel das officielle Christenthum als eine fromme rechtgläubige
Sekte des Judenthums. Von den Juden wurde sie im Ganzen nicht belästigt,
mehr verspottet, sie wurde ganz wie eine der andren Sekten, der Pharisäer und
Sadducäer angesehen. Insbesondere scheinen sie mit den Pharisäern, die ja
selbst eifrige Messiasgläubige waren und nur Jesus nicht als Messias an¬
erkannten, und mit denen sie auch den Glauben an die Auferstehung der
Todten theilten, freundliche Beziehungen gehabt zu haben; es fehlt nicht an
Spuren, wonach sie den jüdischen Sekten näher standen als ihren heidenchrist¬
lichen Brüdern.

In der That entfernten sie sich mit ihrem Glauben wie mit ihrem Cultus
kaum vom Boden des Judenthums*). Die Kunde von dem nunmehr erschiene¬
nen, von den Todten auferstandenen und zum Gericht wiederkommenden Mes¬
sias bildete den ganzen Inhalt der apostolischen Predigt. Damit bestand zwi¬
schen ihnen und den Juden kein dogmatischer Unterschied, sondern nur der
untergeordnete, daß sie über die Person des Messias stritten. Sie betrachteten
sich als die legitime Fortsetzung, als der rechtgläubige Zweig des Judenthums,
und demgemäß war auch ihr praktisches Verhalten. Allerdings geschahen jetzt
die ersten Schritte zur Organisation der Gemeinden, soweit eine solche bei der
Erwartung der nahen Wiederkunft des Herrn nothwendig schien. Aelteste
mit einem Vorsteher traten an die Spitze, in Jerusalem hatte diese Stelle
Jakobus der Gerechte, einer der Brüder Jesu (von dem Apostel gleichen
Namens zu unterscheiden), lange Jahre inne. Die gemeinsamen Liebes¬
mahle, das Passahabendmahl, ein gemeinsamer Feiertag der Woche, später die
Taufe unterschieden die neue Gemeinde, die überdies besonders der Organi¬
sation der Armenpflege ihre Sorge zuwandte. Aber dabei erfüllten sie das
Gesetz, sie hielten den Sabbath, beobachteten die vaterländischen Bräuche,
ließen in ächter Weise das Vieh schlachten und gingen fort und fort in den
Tempel zu Jerusalem. Insbesondere wird uns Jakobus der Gerechte als ein
echt nationaler, gesetzesfrommer Jsraelit geschildert, der täglich in den Tempel
ging und von Juden und Christen hoch verehrt war. Auch dies ist bezeich¬
nend, daß der persönliche Zusammenhang mit Jesus einen besonderen Vorzug
begründete; so wurde nach dem Märtyrertod des Jakobus ein anderer Ver¬
wandter Jesu zum Vorsteher der Gemeinde gewählt, und noch bis ins zweite
Jahrhundert hinein soll die Urgemeindc nur Verwandte Jesu und jedenfalls



-) Vgl, Schwerer, das nachapostol, Zeitalter. 1, S, 89 ff.
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[0516] später Paulus weiter baute. Aber mit der Gemeinde zu Jerusalem scheinen sie keinen Zusammenhang mehr gehabt zu haben. Hier fixirte sich unter der Autorität der Urapostel das officielle Christenthum als eine fromme rechtgläubige Sekte des Judenthums. Von den Juden wurde sie im Ganzen nicht belästigt, mehr verspottet, sie wurde ganz wie eine der andren Sekten, der Pharisäer und Sadducäer angesehen. Insbesondere scheinen sie mit den Pharisäern, die ja selbst eifrige Messiasgläubige waren und nur Jesus nicht als Messias an¬ erkannten, und mit denen sie auch den Glauben an die Auferstehung der Todten theilten, freundliche Beziehungen gehabt zu haben; es fehlt nicht an Spuren, wonach sie den jüdischen Sekten näher standen als ihren heidenchrist¬ lichen Brüdern. In der That entfernten sie sich mit ihrem Glauben wie mit ihrem Cultus kaum vom Boden des Judenthums*). Die Kunde von dem nunmehr erschiene¬ nen, von den Todten auferstandenen und zum Gericht wiederkommenden Mes¬ sias bildete den ganzen Inhalt der apostolischen Predigt. Damit bestand zwi¬ schen ihnen und den Juden kein dogmatischer Unterschied, sondern nur der untergeordnete, daß sie über die Person des Messias stritten. Sie betrachteten sich als die legitime Fortsetzung, als der rechtgläubige Zweig des Judenthums, und demgemäß war auch ihr praktisches Verhalten. Allerdings geschahen jetzt die ersten Schritte zur Organisation der Gemeinden, soweit eine solche bei der Erwartung der nahen Wiederkunft des Herrn nothwendig schien. Aelteste mit einem Vorsteher traten an die Spitze, in Jerusalem hatte diese Stelle Jakobus der Gerechte, einer der Brüder Jesu (von dem Apostel gleichen Namens zu unterscheiden), lange Jahre inne. Die gemeinsamen Liebes¬ mahle, das Passahabendmahl, ein gemeinsamer Feiertag der Woche, später die Taufe unterschieden die neue Gemeinde, die überdies besonders der Organi¬ sation der Armenpflege ihre Sorge zuwandte. Aber dabei erfüllten sie das Gesetz, sie hielten den Sabbath, beobachteten die vaterländischen Bräuche, ließen in ächter Weise das Vieh schlachten und gingen fort und fort in den Tempel zu Jerusalem. Insbesondere wird uns Jakobus der Gerechte als ein echt nationaler, gesetzesfrommer Jsraelit geschildert, der täglich in den Tempel ging und von Juden und Christen hoch verehrt war. Auch dies ist bezeich¬ nend, daß der persönliche Zusammenhang mit Jesus einen besonderen Vorzug begründete; so wurde nach dem Märtyrertod des Jakobus ein anderer Ver¬ wandter Jesu zum Vorsteher der Gemeinde gewählt, und noch bis ins zweite Jahrhundert hinein soll die Urgemeindc nur Verwandte Jesu und jedenfalls -) Vgl, Schwerer, das nachapostol, Zeitalter. 1, S, 89 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/516>, abgerufen am 14.06.2024.