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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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heilen sie verlassen hatte. Konnte man auch nicht darauf rechnen, daß es,
mochte man sich halten, wie man wollte, gelingen würde, eine wesentliche
Aenderung in den Punkten herbeizuführen, in denen die vier Mächte einig
waren, so war es doch von Wichtigkeit, zu verhindern, daß die weitergehenden
Gedanken Palmerstons und besonders Ponsonbys. wenn sie auch keine Aus¬
sichten hatten, den Beifall der Verbündeten zu erlangen, in der türkischen
Regierung als aufregendes Ferment wirkten. Es war dies wichtig, weil jedes
directe Vorgehen der Pforte gegen den Pascha neue Verwickelungen erzeugen
konnte, die, wie die Stellung der Mächte einmal war, gewiß nicht einen der
französischen Auffassung günstigen Umschwung hervorgerufen haben würden.
Frankreich hatte eine Niederlage erlitten, insofern seine offen ausgesprochenen
positiven Pläne völlig vereitelt waren. Die Politik, selbständige auf das
Protectorat Frankreichs angewiesene Staaten aus den Trümmern des osmanischen
Reiches zu bilden, war mit Erfolg zurückgewiesen worden. So lange aber
Mehemed Ali im erblichen Besitze Aegyptens blieb, konnte Frankreich immer
noch daran denken, später seine alte Politik wiederaufzunehmen. Die Vernich¬
tung des Pascha hätte Frankreichs Politik in ihren Grundlagen getroffen. Mit
Gewalt konnte Guizot seinen völligen Fall nicht hindern, worüber er sich selber
leine Illusionen gemacht zu haben scheint. Für ihn kam es also darauf an,
die Mächte auf dem Punkte festzuhalten, in Betreff dessen ihre Einigkeit bereits
constatirt war.

Bei dieser Lage der Dinge und bei dem Standpunkt, den Frankreich ein¬
mal eingenommen hatte, mar ein ruhiges Zuwarten die beste Politik; man
durfte weder sein Mißbehagen an der unfreiwilligen Jsolirung kundthun, noch
durch herausfordernde Schritte dem principiellen Feinde des Pascha. Palmerston,
so wie dem principiellen Gegner des Julikönigthums, dem Kaiser Nikolaus,
Gelegenheit geben, ihren Einfluß auf Preußen und Oestreich geltend zumachen.
Diesen Weg hielt Guizot auch unverrückt ein. Von allen Illusionen der fran¬
zösischen Politik hatte er sich indessen auch jetzt noch nicht frei gemacht. Er
maß nämlich der Friedensliebe der beiden deutschen Mächte ein zu großes Ge¬
wicht bei. wenn er glaubte, sie auch jetzt noch zum Hebel zu Erlangung einiger
Concessionen für Mehemed Ali benutzen zu können. Die Bedingungen des Trac-
tates vom Is. Juli waren unabänderlich. Oestreich und Preußen waren bereit.
Frankreich die Folgen seiner Niederlage nicht länger empfinden zu lassen, keines¬
wegs aber sie völlig rückgängig zu machen. Sie vermochten dies auch gar
nicht, ohne sich von England zu trennen, wodurch die kaum gelöste Frage von
Neuem verwickelt und ein Spiel der unberechenbarsten Combination geworden
wäre. Indessen war es bei der passiven Rolle des Schmollens, die Frankreich
sich auferlegt hatte, ziemlich gleichgiltig, ob die französischen Staatsmänner sich
einigen unbegründeten Hoffnungen Hingaben oder nicht. Genug, daß sie ent-


heilen sie verlassen hatte. Konnte man auch nicht darauf rechnen, daß es,
mochte man sich halten, wie man wollte, gelingen würde, eine wesentliche
Aenderung in den Punkten herbeizuführen, in denen die vier Mächte einig
waren, so war es doch von Wichtigkeit, zu verhindern, daß die weitergehenden
Gedanken Palmerstons und besonders Ponsonbys. wenn sie auch keine Aus¬
sichten hatten, den Beifall der Verbündeten zu erlangen, in der türkischen
Regierung als aufregendes Ferment wirkten. Es war dies wichtig, weil jedes
directe Vorgehen der Pforte gegen den Pascha neue Verwickelungen erzeugen
konnte, die, wie die Stellung der Mächte einmal war, gewiß nicht einen der
französischen Auffassung günstigen Umschwung hervorgerufen haben würden.
Frankreich hatte eine Niederlage erlitten, insofern seine offen ausgesprochenen
positiven Pläne völlig vereitelt waren. Die Politik, selbständige auf das
Protectorat Frankreichs angewiesene Staaten aus den Trümmern des osmanischen
Reiches zu bilden, war mit Erfolg zurückgewiesen worden. So lange aber
Mehemed Ali im erblichen Besitze Aegyptens blieb, konnte Frankreich immer
noch daran denken, später seine alte Politik wiederaufzunehmen. Die Vernich¬
tung des Pascha hätte Frankreichs Politik in ihren Grundlagen getroffen. Mit
Gewalt konnte Guizot seinen völligen Fall nicht hindern, worüber er sich selber
leine Illusionen gemacht zu haben scheint. Für ihn kam es also darauf an,
die Mächte auf dem Punkte festzuhalten, in Betreff dessen ihre Einigkeit bereits
constatirt war.

Bei dieser Lage der Dinge und bei dem Standpunkt, den Frankreich ein¬
mal eingenommen hatte, mar ein ruhiges Zuwarten die beste Politik; man
durfte weder sein Mißbehagen an der unfreiwilligen Jsolirung kundthun, noch
durch herausfordernde Schritte dem principiellen Feinde des Pascha. Palmerston,
so wie dem principiellen Gegner des Julikönigthums, dem Kaiser Nikolaus,
Gelegenheit geben, ihren Einfluß auf Preußen und Oestreich geltend zumachen.
Diesen Weg hielt Guizot auch unverrückt ein. Von allen Illusionen der fran¬
zösischen Politik hatte er sich indessen auch jetzt noch nicht frei gemacht. Er
maß nämlich der Friedensliebe der beiden deutschen Mächte ein zu großes Ge¬
wicht bei. wenn er glaubte, sie auch jetzt noch zum Hebel zu Erlangung einiger
Concessionen für Mehemed Ali benutzen zu können. Die Bedingungen des Trac-
tates vom Is. Juli waren unabänderlich. Oestreich und Preußen waren bereit.
Frankreich die Folgen seiner Niederlage nicht länger empfinden zu lassen, keines¬
wegs aber sie völlig rückgängig zu machen. Sie vermochten dies auch gar
nicht, ohne sich von England zu trennen, wodurch die kaum gelöste Frage von
Neuem verwickelt und ein Spiel der unberechenbarsten Combination geworden
wäre. Indessen war es bei der passiven Rolle des Schmollens, die Frankreich
sich auferlegt hatte, ziemlich gleichgiltig, ob die französischen Staatsmänner sich
einigen unbegründeten Hoffnungen Hingaben oder nicht. Genug, daß sie ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/78>, abgerufen am 20.05.2024.