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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Präsidenten im Uebrigen einverstanden ist oder nicht. Sich grollend zurückziehen
und erklären, daß man mit dem "Verderber der Verfassung" nichts zu thun
haben wolle, ist zwar sehr tugendhaft, aber in noch höherem Grade unstaats-
männisch. Denn die Politik erlaubt schlechterdings keinen Stillstand. Herr
v. Bismarck scheint der Mann, die Sache um ein Stück vorwärts zu bringen;
so weit er dies wirklich thut, müssen wir seine Erfolge mit zu den unsrigen zu
machen suchen. Wie aber, wenn dies nicht nur zu einer Spaltung, sondern
zu einer förmlichen Sprengung des Vereins führte, oder wenn die Spaltung
in der Art erfolgte, daß die radicale Opposition, welche zugleich die heftigste
Gegnerin der preußischen Politik ist, die Leitung des Vereins in die Hände
bekäme? Auch diese Eventualitäten, so bedenklich sie sein mögen, können für die
Haltung des Vereins, wie die Dinge gegenwärtig liegen, nicht maßgebend sein.

Was zunächst die Rücksicht auf die Erhaltung des Vereins betrifft, so
darf sie selbstverständlich immer nur eine secundäre Rolle bei den politischen
Erwägungen seiner Leiter spielen. In erster Linie wird es immer auf die
erfolgreiche Wirksamkeit der Partei ankommen müssen. Diese Rücksicht muß
allen andern vorangehen. Kann der Nationalverein nichts sein als eine Rede-
übungs- und Resolutionsanstalt, dann ist sein ferneres Bestehen nicht nur unnütz,
sondern geradezu schädlich, weil er eine Menge Kräfte, die anderweitig nutzbar
gemacht werden könnten, im Banne hielte und neutralisirte. Auch die andere
Möglichkeit, die Organisation des Pereins in die Hände der Radicalen fallen
zu sehen, schreckt uns nicht. Der Verein würde eben damit ein ganz anderer
werden als er ist. Die massenhaften Austritte der gemäßigten Elemente, die
denn doch noch immer die Mehrheit bilden, würde ihn sehr bald auf ein
äußerst bescheidenes Maß reduciren, und im Uebrigen könnte man es den
Herren, die dann ans Nuder kämen, getrost überlassen, den Rest von Ein¬
fluß zu ruiniren, der ihm etwa noch bliebe. Der bessere Theil der Aus¬
geschiedenen aber würde sich, wenn nicht sofort, so doch in naher Zukunft zu
einer entschieden preußischen Partei zusammenfinden, deren Thätigkeit sich fürs
erste freilich vorwiegend auf das nord- und mitteldeutsche Gebiet beschränken
und des großartigen Nimbus entbehren würde, mit welchem der Nationalverein
sich umgeben hat. Allein diese norddeutsche preußische Partei würde eben durch
ihre enge Anlehnung ein die preußische Politik an Nüchternheit des Blickes
und Festigkeit der Zielpunkte, vor allem aber an Macht ebensoviel vor dem
Nationalverein voraus haben, als ihr an Redebegeisterung und Fahnenschmuck
abginge.

Dieser Partei gehört die Zukunft. Rom ist nicht in einem Tage erbaut
worden; das geeinigte Deutschland wird nicht wie Pallas Athene fertig im
Schmuck der Weisheit und Schönheit aus dem Haupte seines Schöpfers hervor¬
springen; langsam und allmälig werden wir heranreifen sehen, was sich die


Präsidenten im Uebrigen einverstanden ist oder nicht. Sich grollend zurückziehen
und erklären, daß man mit dem „Verderber der Verfassung" nichts zu thun
haben wolle, ist zwar sehr tugendhaft, aber in noch höherem Grade unstaats-
männisch. Denn die Politik erlaubt schlechterdings keinen Stillstand. Herr
v. Bismarck scheint der Mann, die Sache um ein Stück vorwärts zu bringen;
so weit er dies wirklich thut, müssen wir seine Erfolge mit zu den unsrigen zu
machen suchen. Wie aber, wenn dies nicht nur zu einer Spaltung, sondern
zu einer förmlichen Sprengung des Vereins führte, oder wenn die Spaltung
in der Art erfolgte, daß die radicale Opposition, welche zugleich die heftigste
Gegnerin der preußischen Politik ist, die Leitung des Vereins in die Hände
bekäme? Auch diese Eventualitäten, so bedenklich sie sein mögen, können für die
Haltung des Vereins, wie die Dinge gegenwärtig liegen, nicht maßgebend sein.

Was zunächst die Rücksicht auf die Erhaltung des Vereins betrifft, so
darf sie selbstverständlich immer nur eine secundäre Rolle bei den politischen
Erwägungen seiner Leiter spielen. In erster Linie wird es immer auf die
erfolgreiche Wirksamkeit der Partei ankommen müssen. Diese Rücksicht muß
allen andern vorangehen. Kann der Nationalverein nichts sein als eine Rede-
übungs- und Resolutionsanstalt, dann ist sein ferneres Bestehen nicht nur unnütz,
sondern geradezu schädlich, weil er eine Menge Kräfte, die anderweitig nutzbar
gemacht werden könnten, im Banne hielte und neutralisirte. Auch die andere
Möglichkeit, die Organisation des Pereins in die Hände der Radicalen fallen
zu sehen, schreckt uns nicht. Der Verein würde eben damit ein ganz anderer
werden als er ist. Die massenhaften Austritte der gemäßigten Elemente, die
denn doch noch immer die Mehrheit bilden, würde ihn sehr bald auf ein
äußerst bescheidenes Maß reduciren, und im Uebrigen könnte man es den
Herren, die dann ans Nuder kämen, getrost überlassen, den Rest von Ein¬
fluß zu ruiniren, der ihm etwa noch bliebe. Der bessere Theil der Aus¬
geschiedenen aber würde sich, wenn nicht sofort, so doch in naher Zukunft zu
einer entschieden preußischen Partei zusammenfinden, deren Thätigkeit sich fürs
erste freilich vorwiegend auf das nord- und mitteldeutsche Gebiet beschränken
und des großartigen Nimbus entbehren würde, mit welchem der Nationalverein
sich umgeben hat. Allein diese norddeutsche preußische Partei würde eben durch
ihre enge Anlehnung ein die preußische Politik an Nüchternheit des Blickes
und Festigkeit der Zielpunkte, vor allem aber an Macht ebensoviel vor dem
Nationalverein voraus haben, als ihr an Redebegeisterung und Fahnenschmuck
abginge.

Dieser Partei gehört die Zukunft. Rom ist nicht in einem Tage erbaut
worden; das geeinigte Deutschland wird nicht wie Pallas Athene fertig im
Schmuck der Weisheit und Schönheit aus dem Haupte seines Schöpfers hervor¬
springen; langsam und allmälig werden wir heranreifen sehen, was sich die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/240>, abgerufen am 18.05.2024.