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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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dessen innere Zollschranken weit geringer sind, als die Scheidewände der großen
Staaten des übrigen Europa. Es hat sich eine Art westeuropäischer Markt
gebildet, dessen Gebiet nur von verhältnißmäßig unerheblichen Hemmungen be¬
lästigt wird. Ja man würde vielleicht bis zu einer fast vollständigen Handels¬
freiheit fortgegangen sein, wenn nicht die Finanzbedürsnisse der Staaten gewisse
Zollsätze noch unentbehrlich erscheinen ließen. Im gegenwärtigen Augenblick
steht nun auch der Zollverein im Begriff, sich dem westeuropäischen Handels¬
gebiet einzuverleiben. Der von Preußen im Namen des Zollvereins mit Franc-
reich abgeschlossene Handelsvertrag ist nun glücklich durch alle Schmierigkeiten
hindurchgerettet, welche ihm die östreichische Politik bereitet hat. Die ver¬
schiedenen Anschlußverträge der mit ihrer Beistimmung so lange rückständig ge¬
bliebenen Vereinsstaaten haben nun endlich den bisherigen Bestand des Zoll¬
vereins und dessen Handelsvertrag mit Frankreich gesichert; mit dem 12. October
d. I. ist das letzte Hinderniß hinweggeräumt, welches dem deutsch-französischen
Handelsvertrag hartnäckig entgegenstand. Die zähesten und am meisten von
der östreichischen Politik beeinflußten Staaten haben sich schließlich der festen
Haltung der preußischen Handelspolitik ergeben müssen, und es steht nun dem
Zollverein eine ganz neue Zukunft in Aussicht.

Die Veränderungen, welche durch die neuen handelspolitischen Maßregeln
zum Theil vollzogen sind, zum Theil, wie für den Zollverein, erst eingeleitet
werden, sind von um so größerer Bedeutsamkeit, als sie auf einem Wechsel
des Systems beruhen. Die bisherigen Tarife waren unzweideutig von dem
Gedanken des Jndustrieschutzes eingegeben; die neuen Zollsätze werden durch¬
gängig als mäßige Einkommen- oder sogenannte Finanzzölle d. h. als solche
Steuern betrachtet, die nur in den Finanzbedürfnissen der Staaten ihren Grund
haben. Man befindet sich also im Uebergange vom Schutzsystem zur Handels¬
freiheit. Das alte Princip, durch welches sich Frankreich vor Englands wirth¬
schaftlicher Suprematie bewahrt und der Zollverein die deutsche Industrie ge¬
kräftigt hat. kann jetzt unter den veränderten Verhältnissen aufgegeben werden.
Die ebenbürtigen Industrien der mit einander concurrirenden Nationen können
sich gegenseitig ihre Märkte eröffnen und dürfen nicht besorgen, hierbei von
einander erdrückt zu werden. Die völlige Handelsfreiheit steht uns daher, wenn
auch erst in späterer Zukunft, überall da in Aussicht, wo bereits ein inter¬
nationales Gleichgewicht der wirthschaftlichen Kräfte erzielt ist oder noch erzielt
werden wird. Wenn man noch jetzt einige Schlagbäume, die nach der allge¬
meinen theoretischen Auffassung ganz fallen könnten, dennoch bestehen läßt, so
ist hieran theils das erwähnte Finanzbedürfniß, theils aber auch die Rücksicht
auf eine gewisse Stetigkeit des Uebergangs vom Schutzsystem zur Handels¬
freiheit maßgebend. Die plötzlichen Veränderungen, welche gleichsam in einem
Sprunge von dem einen Princip zum andern gelangen, greifen zu stark in die


dessen innere Zollschranken weit geringer sind, als die Scheidewände der großen
Staaten des übrigen Europa. Es hat sich eine Art westeuropäischer Markt
gebildet, dessen Gebiet nur von verhältnißmäßig unerheblichen Hemmungen be¬
lästigt wird. Ja man würde vielleicht bis zu einer fast vollständigen Handels¬
freiheit fortgegangen sein, wenn nicht die Finanzbedürsnisse der Staaten gewisse
Zollsätze noch unentbehrlich erscheinen ließen. Im gegenwärtigen Augenblick
steht nun auch der Zollverein im Begriff, sich dem westeuropäischen Handels¬
gebiet einzuverleiben. Der von Preußen im Namen des Zollvereins mit Franc-
reich abgeschlossene Handelsvertrag ist nun glücklich durch alle Schmierigkeiten
hindurchgerettet, welche ihm die östreichische Politik bereitet hat. Die ver¬
schiedenen Anschlußverträge der mit ihrer Beistimmung so lange rückständig ge¬
bliebenen Vereinsstaaten haben nun endlich den bisherigen Bestand des Zoll¬
vereins und dessen Handelsvertrag mit Frankreich gesichert; mit dem 12. October
d. I. ist das letzte Hinderniß hinweggeräumt, welches dem deutsch-französischen
Handelsvertrag hartnäckig entgegenstand. Die zähesten und am meisten von
der östreichischen Politik beeinflußten Staaten haben sich schließlich der festen
Haltung der preußischen Handelspolitik ergeben müssen, und es steht nun dem
Zollverein eine ganz neue Zukunft in Aussicht.

Die Veränderungen, welche durch die neuen handelspolitischen Maßregeln
zum Theil vollzogen sind, zum Theil, wie für den Zollverein, erst eingeleitet
werden, sind von um so größerer Bedeutsamkeit, als sie auf einem Wechsel
des Systems beruhen. Die bisherigen Tarife waren unzweideutig von dem
Gedanken des Jndustrieschutzes eingegeben; die neuen Zollsätze werden durch¬
gängig als mäßige Einkommen- oder sogenannte Finanzzölle d. h. als solche
Steuern betrachtet, die nur in den Finanzbedürfnissen der Staaten ihren Grund
haben. Man befindet sich also im Uebergange vom Schutzsystem zur Handels¬
freiheit. Das alte Princip, durch welches sich Frankreich vor Englands wirth¬
schaftlicher Suprematie bewahrt und der Zollverein die deutsche Industrie ge¬
kräftigt hat. kann jetzt unter den veränderten Verhältnissen aufgegeben werden.
Die ebenbürtigen Industrien der mit einander concurrirenden Nationen können
sich gegenseitig ihre Märkte eröffnen und dürfen nicht besorgen, hierbei von
einander erdrückt zu werden. Die völlige Handelsfreiheit steht uns daher, wenn
auch erst in späterer Zukunft, überall da in Aussicht, wo bereits ein inter¬
nationales Gleichgewicht der wirthschaftlichen Kräfte erzielt ist oder noch erzielt
werden wird. Wenn man noch jetzt einige Schlagbäume, die nach der allge¬
meinen theoretischen Auffassung ganz fallen könnten, dennoch bestehen läßt, so
ist hieran theils das erwähnte Finanzbedürfniß, theils aber auch die Rücksicht
auf eine gewisse Stetigkeit des Uebergangs vom Schutzsystem zur Handels¬
freiheit maßgebend. Die plötzlichen Veränderungen, welche gleichsam in einem
Sprunge von dem einen Princip zum andern gelangen, greifen zu stark in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/409>, abgerufen am 17.06.2024.