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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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keinen bleibenden Erwerb annehmen möchte, da die Wiedereinberufung in der
nächsten Zeit zu erwarten sei; lauter Dinge, welche bei gewöhnlichen Ent¬
lassungen nicht vorzukommen Pflegen.

Und daß endlich, wenigstens bei einigen einflußreichen Persönlichkeiten, die
ganze Sache den Sinn eines Maneouvres zu Gunsten der Finanzoperationen hatte,
erklärt sich selbst. Das neue Stcueranlehcn mußte um jede" Preis zu Stande
gebracht werden. Es war der letzte Rettungsanker. Daß die Verlegenheit im
nächsten Jahre wiederkehrt, kümmert die Dirigircnden nicht, da dieselben nach
dem vielverbreiteten treffenden Witzworte eines wiener Banquiers "von der
Hand in den Mund lebe" und auf ein glückliches Ereignis; hoffen, etwa wie
ein dem Bankerotte naher Kaufmann auf das große Loos." Darum mußte so^
gar die Geistlichkeit die Sache in die Hand nehmen; der wiener Erzbischof erließ
zu dem Ende einen Hirtenbrief und von den Kanzeln herab wurde dem Volke
die eifrige Betheiligung an dem neuen Anlehen als ein gottgefälliges Werk ge¬
predigt.

Dieser Zweck ist jetzt erreicht und ebenso bat sich wenigstens zur Eröffnung
des Ncichsraths die gewünschte Zahl der Abgeordneten eingefunden. Man wird
daher auch ohne die neuesten Ereignisse in Venetien, welche an sich einen ganz
plausibler Borwand zum Einstellen der Reduction bieten, wieder zu dem alten
Systeme zurückkehren. Man wird dies um so mehr thun, da allerhand An¬
zeichen, wie unter andern die sich mehrenden Prcßproccsse, die bei Ausschrei¬
tungen übermüthiger Militärs bezeigte Nachsicht, die verschärften Pvlizeimaßregeln,
die strenge Thcatcrccnsur, verschiedene Persvnaiwechsel und mancherlei sonstige
Willkürlichkeiten darauf hindeuten, daß wir nichts weniger als einem liberalen
Ausbau der Constitution zu erwarten haben, und daß man sich einen ansehn¬
lichen Rückhalt zu schaffen nöthig halt, um bei den künftigen Operationen nach
Innen sicher zu gehen. Die Scheidung des allgemeinen und engeren Reichs¬
rathes, d. h- die Zusammenziehung der Landtage der deutsch-östreichischen Pro¬
vinzen in einen sogenannten engeren Reichsrath, wodurch die Autonomie der
einzelnen Provinzen fast völlig paralyfüt wird, hat ohnedies schon eine frappante
Familienähnlichkeit mit der Veifassungsverletzung.




Literatur.
Neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der Altertumswissenschaft.
H. Gott, Culturbilder aus Hellas und Rom. 2 Bde. Leipzig,
L. Wiedemann.

Ein eigenthümlicher Reiz liegt in der Beschäftigung, sich in das Kleinleben ver¬
schwundener Zeiten und Völker zu versetzen und von den Nationalitäten, deren Phy¬
siognomie in großen Situationen, in Krieg, Staatsverwaltung und Kunst wir zu
kennen meinen, auch einmal das Alltagsgcsicht zu betrachten. Die Aufgabe gehört
nicht zu deu leichten, denn hier mehr wie anderswo wird es uns schwer, die Dinge
nicht unter dem Gesichtswinkel unsrer Gegenwart anzuschauen, die Analogien und
Aehnlichkeiten mit unsrer Zeit und unsern Verhältnissen nicht ungebührlich aufzusuchen,


keinen bleibenden Erwerb annehmen möchte, da die Wiedereinberufung in der
nächsten Zeit zu erwarten sei; lauter Dinge, welche bei gewöhnlichen Ent¬
lassungen nicht vorzukommen Pflegen.

Und daß endlich, wenigstens bei einigen einflußreichen Persönlichkeiten, die
ganze Sache den Sinn eines Maneouvres zu Gunsten der Finanzoperationen hatte,
erklärt sich selbst. Das neue Stcueranlehcn mußte um jede» Preis zu Stande
gebracht werden. Es war der letzte Rettungsanker. Daß die Verlegenheit im
nächsten Jahre wiederkehrt, kümmert die Dirigircnden nicht, da dieselben nach
dem vielverbreiteten treffenden Witzworte eines wiener Banquiers „von der
Hand in den Mund lebe» und auf ein glückliches Ereignis; hoffen, etwa wie
ein dem Bankerotte naher Kaufmann auf das große Loos." Darum mußte so^
gar die Geistlichkeit die Sache in die Hand nehmen; der wiener Erzbischof erließ
zu dem Ende einen Hirtenbrief und von den Kanzeln herab wurde dem Volke
die eifrige Betheiligung an dem neuen Anlehen als ein gottgefälliges Werk ge¬
predigt.

Dieser Zweck ist jetzt erreicht und ebenso bat sich wenigstens zur Eröffnung
des Ncichsraths die gewünschte Zahl der Abgeordneten eingefunden. Man wird
daher auch ohne die neuesten Ereignisse in Venetien, welche an sich einen ganz
plausibler Borwand zum Einstellen der Reduction bieten, wieder zu dem alten
Systeme zurückkehren. Man wird dies um so mehr thun, da allerhand An¬
zeichen, wie unter andern die sich mehrenden Prcßproccsse, die bei Ausschrei¬
tungen übermüthiger Militärs bezeigte Nachsicht, die verschärften Pvlizeimaßregeln,
die strenge Thcatcrccnsur, verschiedene Persvnaiwechsel und mancherlei sonstige
Willkürlichkeiten darauf hindeuten, daß wir nichts weniger als einem liberalen
Ausbau der Constitution zu erwarten haben, und daß man sich einen ansehn¬
lichen Rückhalt zu schaffen nöthig halt, um bei den künftigen Operationen nach
Innen sicher zu gehen. Die Scheidung des allgemeinen und engeren Reichs¬
rathes, d. h- die Zusammenziehung der Landtage der deutsch-östreichischen Pro¬
vinzen in einen sogenannten engeren Reichsrath, wodurch die Autonomie der
einzelnen Provinzen fast völlig paralyfüt wird, hat ohnedies schon eine frappante
Familienähnlichkeit mit der Veifassungsverletzung.




Literatur.
Neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der Altertumswissenschaft.
H. Gott, Culturbilder aus Hellas und Rom. 2 Bde. Leipzig,
L. Wiedemann.

Ein eigenthümlicher Reiz liegt in der Beschäftigung, sich in das Kleinleben ver¬
schwundener Zeiten und Völker zu versetzen und von den Nationalitäten, deren Phy¬
siognomie in großen Situationen, in Krieg, Staatsverwaltung und Kunst wir zu
kennen meinen, auch einmal das Alltagsgcsicht zu betrachten. Die Aufgabe gehört
nicht zu deu leichten, denn hier mehr wie anderswo wird es uns schwer, die Dinge
nicht unter dem Gesichtswinkel unsrer Gegenwart anzuschauen, die Analogien und
Aehnlichkeiten mit unsrer Zeit und unsern Verhältnissen nicht ungebührlich aufzusuchen,


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[0518] keinen bleibenden Erwerb annehmen möchte, da die Wiedereinberufung in der nächsten Zeit zu erwarten sei; lauter Dinge, welche bei gewöhnlichen Ent¬ lassungen nicht vorzukommen Pflegen. Und daß endlich, wenigstens bei einigen einflußreichen Persönlichkeiten, die ganze Sache den Sinn eines Maneouvres zu Gunsten der Finanzoperationen hatte, erklärt sich selbst. Das neue Stcueranlehcn mußte um jede» Preis zu Stande gebracht werden. Es war der letzte Rettungsanker. Daß die Verlegenheit im nächsten Jahre wiederkehrt, kümmert die Dirigircnden nicht, da dieselben nach dem vielverbreiteten treffenden Witzworte eines wiener Banquiers „von der Hand in den Mund lebe» und auf ein glückliches Ereignis; hoffen, etwa wie ein dem Bankerotte naher Kaufmann auf das große Loos." Darum mußte so^ gar die Geistlichkeit die Sache in die Hand nehmen; der wiener Erzbischof erließ zu dem Ende einen Hirtenbrief und von den Kanzeln herab wurde dem Volke die eifrige Betheiligung an dem neuen Anlehen als ein gottgefälliges Werk ge¬ predigt. Dieser Zweck ist jetzt erreicht und ebenso bat sich wenigstens zur Eröffnung des Ncichsraths die gewünschte Zahl der Abgeordneten eingefunden. Man wird daher auch ohne die neuesten Ereignisse in Venetien, welche an sich einen ganz plausibler Borwand zum Einstellen der Reduction bieten, wieder zu dem alten Systeme zurückkehren. Man wird dies um so mehr thun, da allerhand An¬ zeichen, wie unter andern die sich mehrenden Prcßproccsse, die bei Ausschrei¬ tungen übermüthiger Militärs bezeigte Nachsicht, die verschärften Pvlizeimaßregeln, die strenge Thcatcrccnsur, verschiedene Persvnaiwechsel und mancherlei sonstige Willkürlichkeiten darauf hindeuten, daß wir nichts weniger als einem liberalen Ausbau der Constitution zu erwarten haben, und daß man sich einen ansehn¬ lichen Rückhalt zu schaffen nöthig halt, um bei den künftigen Operationen nach Innen sicher zu gehen. Die Scheidung des allgemeinen und engeren Reichs¬ rathes, d. h- die Zusammenziehung der Landtage der deutsch-östreichischen Pro¬ vinzen in einen sogenannten engeren Reichsrath, wodurch die Autonomie der einzelnen Provinzen fast völlig paralyfüt wird, hat ohnedies schon eine frappante Familienähnlichkeit mit der Veifassungsverletzung. Literatur. Neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der Altertumswissenschaft. H. Gott, Culturbilder aus Hellas und Rom. 2 Bde. Leipzig, L. Wiedemann. Ein eigenthümlicher Reiz liegt in der Beschäftigung, sich in das Kleinleben ver¬ schwundener Zeiten und Völker zu versetzen und von den Nationalitäten, deren Phy¬ siognomie in großen Situationen, in Krieg, Staatsverwaltung und Kunst wir zu kennen meinen, auch einmal das Alltagsgcsicht zu betrachten. Die Aufgabe gehört nicht zu deu leichten, denn hier mehr wie anderswo wird es uns schwer, die Dinge nicht unter dem Gesichtswinkel unsrer Gegenwart anzuschauen, die Analogien und Aehnlichkeiten mit unsrer Zeit und unsern Verhältnissen nicht ungebührlich aufzusuchen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/518>, abgerufen am 18.05.2024.