Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sah war jetzt offen erklärt, und der Riß zwischen Paulus und den Uraposteln
wurde nie wieder geheilt. Keine geschichtliche Spur weist darauf hin. daß je
wieder ein freundliches Verhältniß sich zwischen ihnen bildete, und die Angabe
von ihrer späteren Aussöhnung gehört durchaus der kirchlichen Sage an. Wie
herb und leidenschaftlich ist der Ton des Paulus, wenn er in seinen Briefen
auf diese Scenen zurückkommt, wie heftig und fast geringschätzig spricht er von
den übergroßen Aposteln, den Hochgeltendcn, die man für Säulen hält; er
kümmert sich nichts darum, was sie auch früher gewesen sind. Aber auch ihm
konnte das Judenchristenthum diese Scene nicht verzeihen; noch in Schriften
dieser Partei, die hundert Jahre jünger sind, tritt uns ein unversöhnter Groll
darüber entgegen, und der Pauliner, welcher die Apostelgeschichte schrieb, sah
sich im Interesse des Apostels veranlaßt, den ganzen Streit zu verschweigen
und zu vertuschen, um nicht bei der herrschenden Partei die alten Wunden wieder
aufzureißen.

Die zweite größere Reise, welche Paulus von Antiochia aus machte, galt
zuerst wieder Kleinasien. In Syrien, Cilicien, Lykaonien, Mysien befestigte er
die alten, gründete er neue Gemeinden. In Troas aber, wo sich Morgenland
und Abendland berühren, beschließt er das .Kreuz nach Europa hinüberzuver-
pflanzen. Von drei vertrauten Genossen begleitet landet er um das Jahr 80
in Macedonien und gründet Gemeinden in Philippi, Thessalonike und andern
Städten. Weiter dringt er ins eigentliche Griechenland, er wagt sich nach
Athen, scheint jedoch hier nur geringen Erfolg gehabt zu haben. Dagegen ge¬
lang es ihm, in einem andern Mittelpunkt des Hellenenthums, in der blühenden,
üppigen Stadt Korinth eine zahlreiche Gemeinde zu gewinnen. Nach fast zwei¬
jährigem Ausenthalt daselbst wandte er sich nach Ephesus, der Hauptstadt des
proconsularischen Asiens, wo er drei Jahre blieb und viel Eingang, aber auch
viel Widerstand fand. Hier schrieb er auch ohne Zweifel den Brief an die
galatischen Gemeinden, die er auf seiner zweiten kleinasiatischen Reise gegründet
hatte, sowie den ersten an die Korinther. Auf einer abermaligen Reise nach
Macedonien schrieb er den zweiten Brief an die Korinther, kehrte dann selbst
nach dieser Stadt zurück und dachte nun von Griechenland aus noch weiter
nach Westen vorzudringen. Rom selbst, die mächtige Reichshauptstadt, wo sich
unter den zahlreichen Juden ohne Anregung eines Apostels sehr früh eine Ge¬
meinde gebildet hatte, zieht ihn an. Er schreibt seinen berühmten Brief an
diese Gemeinde, deren künftige Bedeutung erahnt, und will, nachdem er zuvor
noch einmal Jerusalem besucht, selbst in ihrer Mitte erscheinen. Bevor wir ihn
jedoch nach Jerusalem begleiten, wo sein Schicksal die tragische Wendung nahm,
sind es die genannten vier Briefe, auf welche wir einen Blick werfen müssen.




10"

sah war jetzt offen erklärt, und der Riß zwischen Paulus und den Uraposteln
wurde nie wieder geheilt. Keine geschichtliche Spur weist darauf hin. daß je
wieder ein freundliches Verhältniß sich zwischen ihnen bildete, und die Angabe
von ihrer späteren Aussöhnung gehört durchaus der kirchlichen Sage an. Wie
herb und leidenschaftlich ist der Ton des Paulus, wenn er in seinen Briefen
auf diese Scenen zurückkommt, wie heftig und fast geringschätzig spricht er von
den übergroßen Aposteln, den Hochgeltendcn, die man für Säulen hält; er
kümmert sich nichts darum, was sie auch früher gewesen sind. Aber auch ihm
konnte das Judenchristenthum diese Scene nicht verzeihen; noch in Schriften
dieser Partei, die hundert Jahre jünger sind, tritt uns ein unversöhnter Groll
darüber entgegen, und der Pauliner, welcher die Apostelgeschichte schrieb, sah
sich im Interesse des Apostels veranlaßt, den ganzen Streit zu verschweigen
und zu vertuschen, um nicht bei der herrschenden Partei die alten Wunden wieder
aufzureißen.

Die zweite größere Reise, welche Paulus von Antiochia aus machte, galt
zuerst wieder Kleinasien. In Syrien, Cilicien, Lykaonien, Mysien befestigte er
die alten, gründete er neue Gemeinden. In Troas aber, wo sich Morgenland
und Abendland berühren, beschließt er das .Kreuz nach Europa hinüberzuver-
pflanzen. Von drei vertrauten Genossen begleitet landet er um das Jahr 80
in Macedonien und gründet Gemeinden in Philippi, Thessalonike und andern
Städten. Weiter dringt er ins eigentliche Griechenland, er wagt sich nach
Athen, scheint jedoch hier nur geringen Erfolg gehabt zu haben. Dagegen ge¬
lang es ihm, in einem andern Mittelpunkt des Hellenenthums, in der blühenden,
üppigen Stadt Korinth eine zahlreiche Gemeinde zu gewinnen. Nach fast zwei¬
jährigem Ausenthalt daselbst wandte er sich nach Ephesus, der Hauptstadt des
proconsularischen Asiens, wo er drei Jahre blieb und viel Eingang, aber auch
viel Widerstand fand. Hier schrieb er auch ohne Zweifel den Brief an die
galatischen Gemeinden, die er auf seiner zweiten kleinasiatischen Reise gegründet
hatte, sowie den ersten an die Korinther. Auf einer abermaligen Reise nach
Macedonien schrieb er den zweiten Brief an die Korinther, kehrte dann selbst
nach dieser Stadt zurück und dachte nun von Griechenland aus noch weiter
nach Westen vorzudringen. Rom selbst, die mächtige Reichshauptstadt, wo sich
unter den zahlreichen Juden ohne Anregung eines Apostels sehr früh eine Ge¬
meinde gebildet hatte, zieht ihn an. Er schreibt seinen berühmten Brief an
diese Gemeinde, deren künftige Bedeutung erahnt, und will, nachdem er zuvor
noch einmal Jerusalem besucht, selbst in ihrer Mitte erscheinen. Bevor wir ihn
jedoch nach Jerusalem begleiten, wo sein Schicksal die tragische Wendung nahm,
sind es die genannten vier Briefe, auf welche wir einen Blick werfen müssen.




10"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189703"/>
          <p xml:id="ID_279" prev="#ID_278"> sah war jetzt offen erklärt, und der Riß zwischen Paulus und den Uraposteln<lb/>
wurde nie wieder geheilt. Keine geschichtliche Spur weist darauf hin. daß je<lb/>
wieder ein freundliches Verhältniß sich zwischen ihnen bildete, und die Angabe<lb/>
von ihrer späteren Aussöhnung gehört durchaus der kirchlichen Sage an. Wie<lb/>
herb und leidenschaftlich ist der Ton des Paulus, wenn er in seinen Briefen<lb/>
auf diese Scenen zurückkommt, wie heftig und fast geringschätzig spricht er von<lb/>
den übergroßen Aposteln, den Hochgeltendcn, die man für Säulen hält; er<lb/>
kümmert sich nichts darum, was sie auch früher gewesen sind. Aber auch ihm<lb/>
konnte das Judenchristenthum diese Scene nicht verzeihen; noch in Schriften<lb/>
dieser Partei, die hundert Jahre jünger sind, tritt uns ein unversöhnter Groll<lb/>
darüber entgegen, und der Pauliner, welcher die Apostelgeschichte schrieb, sah<lb/>
sich im Interesse des Apostels veranlaßt, den ganzen Streit zu verschweigen<lb/>
und zu vertuschen, um nicht bei der herrschenden Partei die alten Wunden wieder<lb/>
aufzureißen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_280"> Die zweite größere Reise, welche Paulus von Antiochia aus machte, galt<lb/>
zuerst wieder Kleinasien. In Syrien, Cilicien, Lykaonien, Mysien befestigte er<lb/>
die alten, gründete er neue Gemeinden. In Troas aber, wo sich Morgenland<lb/>
und Abendland berühren, beschließt er das .Kreuz nach Europa hinüberzuver-<lb/>
pflanzen. Von drei vertrauten Genossen begleitet landet er um das Jahr 80<lb/>
in Macedonien und gründet Gemeinden in Philippi, Thessalonike und andern<lb/>
Städten. Weiter dringt er ins eigentliche Griechenland, er wagt sich nach<lb/>
Athen, scheint jedoch hier nur geringen Erfolg gehabt zu haben. Dagegen ge¬<lb/>
lang es ihm, in einem andern Mittelpunkt des Hellenenthums, in der blühenden,<lb/>
üppigen Stadt Korinth eine zahlreiche Gemeinde zu gewinnen. Nach fast zwei¬<lb/>
jährigem Ausenthalt daselbst wandte er sich nach Ephesus, der Hauptstadt des<lb/>
proconsularischen Asiens, wo er drei Jahre blieb und viel Eingang, aber auch<lb/>
viel Widerstand fand. Hier schrieb er auch ohne Zweifel den Brief an die<lb/>
galatischen Gemeinden, die er auf seiner zweiten kleinasiatischen Reise gegründet<lb/>
hatte, sowie den ersten an die Korinther. Auf einer abermaligen Reise nach<lb/>
Macedonien schrieb er den zweiten Brief an die Korinther, kehrte dann selbst<lb/>
nach dieser Stadt zurück und dachte nun von Griechenland aus noch weiter<lb/>
nach Westen vorzudringen. Rom selbst, die mächtige Reichshauptstadt, wo sich<lb/>
unter den zahlreichen Juden ohne Anregung eines Apostels sehr früh eine Ge¬<lb/>
meinde gebildet hatte, zieht ihn an. Er schreibt seinen berühmten Brief an<lb/>
diese Gemeinde, deren künftige Bedeutung erahnt, und will, nachdem er zuvor<lb/>
noch einmal Jerusalem besucht, selbst in ihrer Mitte erscheinen. Bevor wir ihn<lb/>
jedoch nach Jerusalem begleiten, wo sein Schicksal die tragische Wendung nahm,<lb/>
sind es die genannten vier Briefe, auf welche wir einen Blick werfen müssen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 10"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] sah war jetzt offen erklärt, und der Riß zwischen Paulus und den Uraposteln wurde nie wieder geheilt. Keine geschichtliche Spur weist darauf hin. daß je wieder ein freundliches Verhältniß sich zwischen ihnen bildete, und die Angabe von ihrer späteren Aussöhnung gehört durchaus der kirchlichen Sage an. Wie herb und leidenschaftlich ist der Ton des Paulus, wenn er in seinen Briefen auf diese Scenen zurückkommt, wie heftig und fast geringschätzig spricht er von den übergroßen Aposteln, den Hochgeltendcn, die man für Säulen hält; er kümmert sich nichts darum, was sie auch früher gewesen sind. Aber auch ihm konnte das Judenchristenthum diese Scene nicht verzeihen; noch in Schriften dieser Partei, die hundert Jahre jünger sind, tritt uns ein unversöhnter Groll darüber entgegen, und der Pauliner, welcher die Apostelgeschichte schrieb, sah sich im Interesse des Apostels veranlaßt, den ganzen Streit zu verschweigen und zu vertuschen, um nicht bei der herrschenden Partei die alten Wunden wieder aufzureißen. Die zweite größere Reise, welche Paulus von Antiochia aus machte, galt zuerst wieder Kleinasien. In Syrien, Cilicien, Lykaonien, Mysien befestigte er die alten, gründete er neue Gemeinden. In Troas aber, wo sich Morgenland und Abendland berühren, beschließt er das .Kreuz nach Europa hinüberzuver- pflanzen. Von drei vertrauten Genossen begleitet landet er um das Jahr 80 in Macedonien und gründet Gemeinden in Philippi, Thessalonike und andern Städten. Weiter dringt er ins eigentliche Griechenland, er wagt sich nach Athen, scheint jedoch hier nur geringen Erfolg gehabt zu haben. Dagegen ge¬ lang es ihm, in einem andern Mittelpunkt des Hellenenthums, in der blühenden, üppigen Stadt Korinth eine zahlreiche Gemeinde zu gewinnen. Nach fast zwei¬ jährigem Ausenthalt daselbst wandte er sich nach Ephesus, der Hauptstadt des proconsularischen Asiens, wo er drei Jahre blieb und viel Eingang, aber auch viel Widerstand fand. Hier schrieb er auch ohne Zweifel den Brief an die galatischen Gemeinden, die er auf seiner zweiten kleinasiatischen Reise gegründet hatte, sowie den ersten an die Korinther. Auf einer abermaligen Reise nach Macedonien schrieb er den zweiten Brief an die Korinther, kehrte dann selbst nach dieser Stadt zurück und dachte nun von Griechenland aus noch weiter nach Westen vorzudringen. Rom selbst, die mächtige Reichshauptstadt, wo sich unter den zahlreichen Juden ohne Anregung eines Apostels sehr früh eine Ge¬ meinde gebildet hatte, zieht ihn an. Er schreibt seinen berühmten Brief an diese Gemeinde, deren künftige Bedeutung erahnt, und will, nachdem er zuvor noch einmal Jerusalem besucht, selbst in ihrer Mitte erscheinen. Bevor wir ihn jedoch nach Jerusalem begleiten, wo sein Schicksal die tragische Wendung nahm, sind es die genannten vier Briefe, auf welche wir einen Blick werfen müssen. 10"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/79>, abgerufen am 18.05.2024.