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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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als ob er wenigstens auf die meisten Lehren des jüdischen Mittelalters schwöre,
aber Geiger würde sich gegen eine solche Auslegung seiner Worte entschieden
verwahren. Mit warmen Worten redet er am Schlüsse der Vorlesungen gegen
die unter seinen Glaubensgenossen, welche sich der modernen Bildung entziehen
und nur auf die alte Zeit zurückblicken wollen. Aber bei alledem blickt er doch
selbst mit einer Art von religiöser Verehrung auf das jüdische Alterthum, zeich¬
net dasselbe geistiger, milder, edler als es war, und stellt dagegen andere
Religions- und Culturgebicte wider Willen zu tief. Es wirkte hier die Vor¬
liebe des Gelehrten für die von ihm durchforschte Literatur mit der etwas
romantischen Anhänglichkeit des Familiengliedes für sein Vaterhaus zusam¬
men, ihm das Judenthum zu verklären. Wer so schön über das allgemein
menschliche Wesen der Religion redet, wie der Verfasser, bei dem muß es
auffallen, daß er doch immer noch behaupten kann, die Mission des Juden¬
tums sei noch nicht vollendet. Was ist denn in seiner religiösen Anschauung
noch specifisch jüdisch? Wenn er, dessen Geistesrichtung durchaus von der mo¬
dernen Cultur bestimmt ist, doch noch uns gegenüber eine geistige Einheit zwi¬
schen sich und dem Judenthum fühlt, wie es etwa in Polen und Lithauen
herrscht, so ist das als wollten wir uns ihm gegenüber in einer geistigen Ge¬
meinschaft mit den russischen Popen oder mit Herrn Kliefvth finden, weil nur
wie sie getauft sind. Oder aber fühlt sich ein Mann wie Geiger nicht sowohl
in einer religiösen, als in einer nationalen Verbindung mit allem, was sich jüdisch
nennt? Das hätte doch seine großen Bedenken. Wenn die Juden noch eine eigne
nationale Macht sein wollen, dann darf man es doch den europäischen Völ¬
kern nicht verdenken, wenn sie sich gegen dieselben abschließen und sie noch
immer als Fremde betrachten. Nach unsrer Ueberzeugung hat das Judenthum
der modernen Bildung gegenüber keinen Anspruch mehr auf eine Mission zu
machen.

Wie man aus dem Gesagten schließen wird, so ist der apologetische Stand¬
punkt des Verfassers allerdings em freier, und nirgends finden wir bei ihm
Gehässigkeit. Er hat ein volles Herz für die Hoheit des griechischen Alterthums,
aber wenn er dann auf die Religion der alten Griechen kommt, glaubt man
einen Apologeten aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung zu hören.
Er nimmt die Erzählungen Homers schlechtweg als griechische Neligionül'cgnffe
und hat dann freilich leichtes Spiel mit diesen. Gewiß waren die Griechen kein
intensiv religiöses Volk und ihre geistige Kraft hat sich auf ander" Gebieten
entfaltet, aber so leicht wird man doch auch hier nicht mit ihnen fertig. Und
wenn Geiger die Religionen der andern alten Völker als tief unter der israeli¬
tischen stehend darstellt, so durfte er doch nicht der altpersischen und der bud¬
dhistischen Religion vergessen, deren jede in manchem Punkte den alten Mosais-
mus an Geistigkeit und Strenge überragt. Der Einfluß der ersteren auf die


als ob er wenigstens auf die meisten Lehren des jüdischen Mittelalters schwöre,
aber Geiger würde sich gegen eine solche Auslegung seiner Worte entschieden
verwahren. Mit warmen Worten redet er am Schlüsse der Vorlesungen gegen
die unter seinen Glaubensgenossen, welche sich der modernen Bildung entziehen
und nur auf die alte Zeit zurückblicken wollen. Aber bei alledem blickt er doch
selbst mit einer Art von religiöser Verehrung auf das jüdische Alterthum, zeich¬
net dasselbe geistiger, milder, edler als es war, und stellt dagegen andere
Religions- und Culturgebicte wider Willen zu tief. Es wirkte hier die Vor¬
liebe des Gelehrten für die von ihm durchforschte Literatur mit der etwas
romantischen Anhänglichkeit des Familiengliedes für sein Vaterhaus zusam¬
men, ihm das Judenthum zu verklären. Wer so schön über das allgemein
menschliche Wesen der Religion redet, wie der Verfasser, bei dem muß es
auffallen, daß er doch immer noch behaupten kann, die Mission des Juden¬
tums sei noch nicht vollendet. Was ist denn in seiner religiösen Anschauung
noch specifisch jüdisch? Wenn er, dessen Geistesrichtung durchaus von der mo¬
dernen Cultur bestimmt ist, doch noch uns gegenüber eine geistige Einheit zwi¬
schen sich und dem Judenthum fühlt, wie es etwa in Polen und Lithauen
herrscht, so ist das als wollten wir uns ihm gegenüber in einer geistigen Ge¬
meinschaft mit den russischen Popen oder mit Herrn Kliefvth finden, weil nur
wie sie getauft sind. Oder aber fühlt sich ein Mann wie Geiger nicht sowohl
in einer religiösen, als in einer nationalen Verbindung mit allem, was sich jüdisch
nennt? Das hätte doch seine großen Bedenken. Wenn die Juden noch eine eigne
nationale Macht sein wollen, dann darf man es doch den europäischen Völ¬
kern nicht verdenken, wenn sie sich gegen dieselben abschließen und sie noch
immer als Fremde betrachten. Nach unsrer Ueberzeugung hat das Judenthum
der modernen Bildung gegenüber keinen Anspruch mehr auf eine Mission zu
machen.

Wie man aus dem Gesagten schließen wird, so ist der apologetische Stand¬
punkt des Verfassers allerdings em freier, und nirgends finden wir bei ihm
Gehässigkeit. Er hat ein volles Herz für die Hoheit des griechischen Alterthums,
aber wenn er dann auf die Religion der alten Griechen kommt, glaubt man
einen Apologeten aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung zu hören.
Er nimmt die Erzählungen Homers schlechtweg als griechische Neligionül'cgnffe
und hat dann freilich leichtes Spiel mit diesen. Gewiß waren die Griechen kein
intensiv religiöses Volk und ihre geistige Kraft hat sich auf ander» Gebieten
entfaltet, aber so leicht wird man doch auch hier nicht mit ihnen fertig. Und
wenn Geiger die Religionen der andern alten Völker als tief unter der israeli¬
tischen stehend darstellt, so durfte er doch nicht der altpersischen und der bud¬
dhistischen Religion vergessen, deren jede in manchem Punkte den alten Mosais-
mus an Geistigkeit und Strenge überragt. Der Einfluß der ersteren auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/81>, abgerufen am 25.05.2024.