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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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war um so schwieriger eilf er selbst vom Boden des alten Bundes aus argu-
mentirte und durch allegorische Deutungen und spitzfindige Theorien sein Evan¬
gelium aus dem alten Testament abzuleiten sich bemühte. Wo er dann aber
dieser Fesseln sich entschlage, wo er persönlich warm wird, da bricht überall
seine siegesgewisse Zuversicht ungehemmt durch und die Beredsamkeit, die seinem
Innersten entquillt, wirkt mehr als die künstliche Beweisführung.

War aber das Evangelium, das der Apostel predigte, nicht das rechte,
so war er selbst gar kein rechter Apostel: es war unvermeidlich, daß die Oppo¬
sition gegen ihn schließlich diese persönliche Wendung nahm. Diese Seite des
Kampfes tritt uns besonders aus den Kvrintherbriefen entgegen. Auch in
Korinth waren dieselben Judaisten eingedrungen. Und die Pctruspartei schritt
hier dazu fort, ihm geradezu den Apostelbcruf abzustreiten. Welche Autorität
konnte Paulus ansprechen, der den Herrn nie gesehen, kein Wort aus seinem
Munde gehört, in keinerlei Verbindung mit ihm gestanden hat? Mit wel¬
chen. Rechte trat er den Aposteln gegenüber, welche die ganze Zeit über, die
der Herr auf der Erde war. mit ihm gewesen sind? War es nicht seine Pflicht
vielmehr von ihnen zu lernen, sich ihnen unterzuordnen, anstatt ihnen ein neues
Evangelium entgegenzusetzen? Was konnte Paulus auf diese Einwürfe antwor¬
ten? Er berief sich auf das, was Christus durch ihn gewirkt habe, auf die
Leiden und Verfolgungen, die er um des Herrn willen durchgemacht, und er
berief sich noch ganz besonders auf die Offenbarungen und Gesichte, in welchen
er den Herrn selbst gesehen hatte. Dadurch war. wie er mit Selbstgefühl be¬
tonte, aller Unterschied zwischen ihm und den Uravvstcln ausgeglichen. Ein
Apostel Christi konnte allerdings nur sein, wen dieser selbst berufen hatte, aber
Christus hatte ihn berufen, seine Heilandsvisivnen waren das Siegel seines Apo-
stolats. Seine Ebenbürtigkeit also wollte der Apostel beweise". ' Allein eben
dies war ein Punkt, wo ihm am wenigsten eigentliche Beweise zu Gebote stan¬
den. Wenn die Gegner seine subjectiven Erscheinungen nicht gelten lassen
wollten, sah er sich entwaffnet. Er selbst freilich war von der Realität der¬
selben aufs tiefste überzeugt; aber vergebens mühte er sich ab, dasjenige ob¬
jectiv zu beweisen, was nur eine subjective Erfahrung war. Gerade in diesen
Ausführungen wird er unruhig, empfindlich, leidenschaftlich. Es ist als suchte
er vergeblich das rechte Wort, um das tiefste principielle Motiv seines Kampfes
mit den Uraposteln auszusprechen. Er war überzeugt, der rechte Fortsetzer des
Werkes Jesu zu sein. Ohne ihn je gesehen zu haben war ihm doch das
Höhere, Allgemeine, Epochemachende in der Erscheinung Jesu tiefer aufgegangen,
als den unmittelbaren Schülern. Die Konsequenzen lagen vor seinem schar¬
fen Geist unverhüllt da. Ja gerade weil er Jesus nicht gekannt hatte, war
dessen Bild in seinem Geiste losgetrennt von dem jüdisch-nationalen Gepräge
seiner Erscheinung. Aus der andern Seite stand die ganze zähe Macht der


war um so schwieriger eilf er selbst vom Boden des alten Bundes aus argu-
mentirte und durch allegorische Deutungen und spitzfindige Theorien sein Evan¬
gelium aus dem alten Testament abzuleiten sich bemühte. Wo er dann aber
dieser Fesseln sich entschlage, wo er persönlich warm wird, da bricht überall
seine siegesgewisse Zuversicht ungehemmt durch und die Beredsamkeit, die seinem
Innersten entquillt, wirkt mehr als die künstliche Beweisführung.

War aber das Evangelium, das der Apostel predigte, nicht das rechte,
so war er selbst gar kein rechter Apostel: es war unvermeidlich, daß die Oppo¬
sition gegen ihn schließlich diese persönliche Wendung nahm. Diese Seite des
Kampfes tritt uns besonders aus den Kvrintherbriefen entgegen. Auch in
Korinth waren dieselben Judaisten eingedrungen. Und die Pctruspartei schritt
hier dazu fort, ihm geradezu den Apostelbcruf abzustreiten. Welche Autorität
konnte Paulus ansprechen, der den Herrn nie gesehen, kein Wort aus seinem
Munde gehört, in keinerlei Verbindung mit ihm gestanden hat? Mit wel¬
chen. Rechte trat er den Aposteln gegenüber, welche die ganze Zeit über, die
der Herr auf der Erde war. mit ihm gewesen sind? War es nicht seine Pflicht
vielmehr von ihnen zu lernen, sich ihnen unterzuordnen, anstatt ihnen ein neues
Evangelium entgegenzusetzen? Was konnte Paulus auf diese Einwürfe antwor¬
ten? Er berief sich auf das, was Christus durch ihn gewirkt habe, auf die
Leiden und Verfolgungen, die er um des Herrn willen durchgemacht, und er
berief sich noch ganz besonders auf die Offenbarungen und Gesichte, in welchen
er den Herrn selbst gesehen hatte. Dadurch war. wie er mit Selbstgefühl be¬
tonte, aller Unterschied zwischen ihm und den Uravvstcln ausgeglichen. Ein
Apostel Christi konnte allerdings nur sein, wen dieser selbst berufen hatte, aber
Christus hatte ihn berufen, seine Heilandsvisivnen waren das Siegel seines Apo-
stolats. Seine Ebenbürtigkeit also wollte der Apostel beweise». ' Allein eben
dies war ein Punkt, wo ihm am wenigsten eigentliche Beweise zu Gebote stan¬
den. Wenn die Gegner seine subjectiven Erscheinungen nicht gelten lassen
wollten, sah er sich entwaffnet. Er selbst freilich war von der Realität der¬
selben aufs tiefste überzeugt; aber vergebens mühte er sich ab, dasjenige ob¬
jectiv zu beweisen, was nur eine subjective Erfahrung war. Gerade in diesen
Ausführungen wird er unruhig, empfindlich, leidenschaftlich. Es ist als suchte
er vergeblich das rechte Wort, um das tiefste principielle Motiv seines Kampfes
mit den Uraposteln auszusprechen. Er war überzeugt, der rechte Fortsetzer des
Werkes Jesu zu sein. Ohne ihn je gesehen zu haben war ihm doch das
Höhere, Allgemeine, Epochemachende in der Erscheinung Jesu tiefer aufgegangen,
als den unmittelbaren Schülern. Die Konsequenzen lagen vor seinem schar¬
fen Geist unverhüllt da. Ja gerade weil er Jesus nicht gekannt hatte, war
dessen Bild in seinem Geiste losgetrennt von dem jüdisch-nationalen Gepräge
seiner Erscheinung. Aus der andern Seite stand die ganze zähe Macht der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/98>, abgerufen am 17.06.2024.