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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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den Anforderungen der Zeit zurückgegeben, ja man darf zugeben, daß das
Terrain des Staates, daß die angeborene Art seiner Stämme, daß die Cultur¬
verhältnisse dieses östlichen Flachlandes überhaupt nicht nach jeder Richtung zu
einer Führerschaft unsers politischen Geistes besonders günstig angethan sind.
Aber dies alles ist unwesentlich gegen die eine Thatsache, daß in Preußen
18 Millionen Deutsche leben, welche durch starke Zucht, durch große Opfer
vieler Generationen gewöhnt sind, sich für die Idee ihres Staates zu be¬
geistern und hinzugeben. Dies ist etwas so Großes, Bleibendes, daß dagegen
alles Häßliche und Unfertige, das man leicht schelten kann, unwesentlich wird.

Gern betonen wir, daß die Preußen sich vor Allem als Deutsche fühlen
müssen, denn wenn auch die politische Macht bei ihnen ist. ein abschließendes
Preußenthum wird doch sür diesen Staat zum Verderben. Er ist vielleicht im
Stande sich selbst zu schützen, aber nicht im Stand, aus sich selbst das geistige
Leben zu produciren, dessen er zu seinem Gedeihn bedarf. So lange Preußen
ein Staat ist, war ,hin nöthig, sich durch' Herbeiziehn fremder Talente zu stärken.
In jeder Richtung des geistigen und materiellen Lebens haben eingewanderte
Deutsche an diesem Staatsbäu gearbeitet. Wie kernhaft die Kraft sei, welche
auf den Schollen der östlichen Provinzen und Westphalens herauswächst, sie
ist in keiner großen Periode dieses Staates genügend erfunden worden, ihm
Staatsmänner, Feldherrn, Lehrer und Bildner zu geben.

Die Preußen sollen den Vettern außerhalb dem Gebiet des einköpfigen
Adlers bereitwillig einräumen, daß Preußen nicht nur ihre Messen, Fabriken
und Eisenbahnen, sondern noch mehr die Tüchtigkeit ihrer Geister und den warmen
Schlag ihrer Herzen für sein Gedeihn nöthig habe.

Dagegen, darf man mit nicht geringerer Wahrheit sagen, daß die
übrigen Deutschen -- von Deutschöstreich ist hier nicht die Rede -- bereits
jetzt halbe Preuße" sind, vielleicht ohne es zu wissen, und die nicht am wenig¬
sten, welche am lautesten gegen sein Wesen sich sträuben.

Deshalb darf man auch die Abneigung, welche sich zumal in Süddeutsch¬
land gegen Preußen geräuschvoll ausspricht, nicht in ihrer Bedeutung über¬
schätzen. Dort ist man heißzornig auf eine Politik, der man das Aergste zutraut,
man hat sich dennoch unter dem Beifall und Drängen auch der süddeutschen Be¬
völkerung im Zollverein wieder an Preußen geschlossen. In den letzten sechszehn
Jahren ist mehr als einmal die Meinung gegen den Norden schnell umgeschlagen,
das wird wieder der Fall sein, sobald der grvßeStaat den Nachbarn ein freundliches
Angesicht zeigt. In Wirklichkeit bestehn die Deutschen schon seit tem Jahre
181S als Nation nur durch Preußen, die Fürsten des Rheinbundes hätten in
keinem Jahrzehend weder Russen noch Franzosen von den deutschen Grenzen


den Anforderungen der Zeit zurückgegeben, ja man darf zugeben, daß das
Terrain des Staates, daß die angeborene Art seiner Stämme, daß die Cultur¬
verhältnisse dieses östlichen Flachlandes überhaupt nicht nach jeder Richtung zu
einer Führerschaft unsers politischen Geistes besonders günstig angethan sind.
Aber dies alles ist unwesentlich gegen die eine Thatsache, daß in Preußen
18 Millionen Deutsche leben, welche durch starke Zucht, durch große Opfer
vieler Generationen gewöhnt sind, sich für die Idee ihres Staates zu be¬
geistern und hinzugeben. Dies ist etwas so Großes, Bleibendes, daß dagegen
alles Häßliche und Unfertige, das man leicht schelten kann, unwesentlich wird.

Gern betonen wir, daß die Preußen sich vor Allem als Deutsche fühlen
müssen, denn wenn auch die politische Macht bei ihnen ist. ein abschließendes
Preußenthum wird doch sür diesen Staat zum Verderben. Er ist vielleicht im
Stande sich selbst zu schützen, aber nicht im Stand, aus sich selbst das geistige
Leben zu produciren, dessen er zu seinem Gedeihn bedarf. So lange Preußen
ein Staat ist, war ,hin nöthig, sich durch' Herbeiziehn fremder Talente zu stärken.
In jeder Richtung des geistigen und materiellen Lebens haben eingewanderte
Deutsche an diesem Staatsbäu gearbeitet. Wie kernhaft die Kraft sei, welche
auf den Schollen der östlichen Provinzen und Westphalens herauswächst, sie
ist in keiner großen Periode dieses Staates genügend erfunden worden, ihm
Staatsmänner, Feldherrn, Lehrer und Bildner zu geben.

Die Preußen sollen den Vettern außerhalb dem Gebiet des einköpfigen
Adlers bereitwillig einräumen, daß Preußen nicht nur ihre Messen, Fabriken
und Eisenbahnen, sondern noch mehr die Tüchtigkeit ihrer Geister und den warmen
Schlag ihrer Herzen für sein Gedeihn nöthig habe.

Dagegen, darf man mit nicht geringerer Wahrheit sagen, daß die
übrigen Deutschen — von Deutschöstreich ist hier nicht die Rede — bereits
jetzt halbe Preuße» sind, vielleicht ohne es zu wissen, und die nicht am wenig¬
sten, welche am lautesten gegen sein Wesen sich sträuben.

Deshalb darf man auch die Abneigung, welche sich zumal in Süddeutsch¬
land gegen Preußen geräuschvoll ausspricht, nicht in ihrer Bedeutung über¬
schätzen. Dort ist man heißzornig auf eine Politik, der man das Aergste zutraut,
man hat sich dennoch unter dem Beifall und Drängen auch der süddeutschen Be¬
völkerung im Zollverein wieder an Preußen geschlossen. In den letzten sechszehn
Jahren ist mehr als einmal die Meinung gegen den Norden schnell umgeschlagen,
das wird wieder der Fall sein, sobald der grvßeStaat den Nachbarn ein freundliches
Angesicht zeigt. In Wirklichkeit bestehn die Deutschen schon seit tem Jahre
181S als Nation nur durch Preußen, die Fürsten des Rheinbundes hätten in
keinem Jahrzehend weder Russen noch Franzosen von den deutschen Grenzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/12>, abgerufen am 21.05.2024.