Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.der Abstand zwischen dem kunstsinnigen Griechen und Italiener früherer Zeiten Stellt sich aber den künstlerischen Unternehmungen der Fürsten von Seiten der Abstand zwischen dem kunstsinnigen Griechen und Italiener früherer Zeiten Stellt sich aber den künstlerischen Unternehmungen der Fürsten von Seiten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282261"/> <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42"> der Abstand zwischen dem kunstsinnigen Griechen und Italiener früherer Zeiten<lb/> und dem Deutschen des neunzehnten Jahvhundetts. Die lebendige Mitwirkung<lb/> freilich, mit welcher das griechische Volk am Kunstwerk gleichsam mitarbeitete,<lb/> die Schönheit seines eigenen Leibes ausbildend das künstlerische Ideal schon<lb/> in sich zur Natur verloipcrte, und daher im Bilde mit doppeltem Genuß sich<lb/> wiederfand, die Zeit dieses Kunstsinns im Volke, der zugleich Kunsttrieb war,<lb/> ist vorüber. Was würden auel, die heutigen Ehemänner von ihren Weibern<lb/> sagen, wenn diese, wie die Spartcuierinnen, einen Apollo oder Bacchus in<lb/> ihre Schlafkammer stellten, um von deren Anblick ganz durchdrungen schöne<lb/> Kinder zu gebären? was die Mütter, was gar die Welt von den Töchtern,<lb/> wenn sie wie die fünf ehrbaren Mädchen von Kroton zur Helena des Zeuxis<lb/> dem Maler nicht blos mit dem Kopfe, sondern auch mit dem Körper Modell<lb/> säßen? Doch ist ein solches Jneinanderwirken von Kunst und Leben mit dem<lb/> Christenthum auch zu Ende gegangen, so hat doch noch in christlichen Zeilen<lb/> das Volk die Kunst gehoben und getragen, wie eine öffentliche und alle be¬<lb/> rührende Angelegenheit. Als die Madonna des Cimabue nach der Kirche Santa<lb/> Maria Novella gebracht wurde, begleiteten sie die Bewohner der Stadt im<lb/> feierlichen Aufzug, mehr zum Cultus der Kunst, als dem der Religion, und<lb/> die Aufstellung von Michel Angclos David vor dem Palazzo dei Signori war<lb/> ein Ereigniß, nach dem die Florentiner zu rechnen pflegten.</p><lb/> <p xml:id="ID_44" next="#ID_45"> Stellt sich aber den künstlerischen Unternehmungen der Fürsten von Seiten<lb/> des Volkes eine theilnahmlose Trägheit entgegen, so ist schon dadurch die monu¬<lb/> mentale Kunst in ihrem Schaffen beschwert und gehindert. Denn sie will das<lb/> öffentliche Leben — ob es nun der Gegenwart oder der Vergangenheit angehöre<lb/> — in einen verklärenden Nahmen fassen, und das Dasein des Volkes aus der<lb/> Unruhe und Verwirrung des Tages in das heitere Gebiet der Kunst erheben.<lb/> Aber nun hat sie statt beseelter Körper eine leblose Masse vor Augen, die selber<lb/> nicht den geringsten Schwung fühlt, vom Boden sich abzulösen. Alle Be¬<lb/> geisterung muß der Künstler nur aus sich, alle Bilder und Gestalten nur<lb/> aus seiner eigenen, ganz auf sich angewiesenen Phantasie schöpfen, und was<lb/> er endlich zu Stande gebracht, darauf liegt das bleierne Auge des Beschauers<lb/> mit ertödtenden Blick. Hier schlägt nicht Leben dem Leben in einem Wechsel¬<lb/> spiel entgegen, das die Wirkung des Bildes verdoppelt, dem Künstler neue<lb/> Kraft des Schaffens giebt und die Gestalt des Beschauers unwillkührlich hebt<lb/> und veredelt; sondern den Figuren ist ein mühsamer Athem cingcblascn und<lb/> auch diesen Nest von Seele hauchen sie unter der erstarrenden Kälte einer<lb/> theilnahmlosen Betrachtung aus. Auch die Vergangenheit kann der Künstler<lb/> nur dann recht beleben, wenn ihm die Gegenwart mit frischem Verständniß und<lb/> der anregenden Bewegung natürlicher Schönheit entgegenkommt. So oft er<lb/> aber gegenwärtige Stoffe gestalten will, muß die Wirklichkeit, in der er sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
der Abstand zwischen dem kunstsinnigen Griechen und Italiener früherer Zeiten
und dem Deutschen des neunzehnten Jahvhundetts. Die lebendige Mitwirkung
freilich, mit welcher das griechische Volk am Kunstwerk gleichsam mitarbeitete,
die Schönheit seines eigenen Leibes ausbildend das künstlerische Ideal schon
in sich zur Natur verloipcrte, und daher im Bilde mit doppeltem Genuß sich
wiederfand, die Zeit dieses Kunstsinns im Volke, der zugleich Kunsttrieb war,
ist vorüber. Was würden auel, die heutigen Ehemänner von ihren Weibern
sagen, wenn diese, wie die Spartcuierinnen, einen Apollo oder Bacchus in
ihre Schlafkammer stellten, um von deren Anblick ganz durchdrungen schöne
Kinder zu gebären? was die Mütter, was gar die Welt von den Töchtern,
wenn sie wie die fünf ehrbaren Mädchen von Kroton zur Helena des Zeuxis
dem Maler nicht blos mit dem Kopfe, sondern auch mit dem Körper Modell
säßen? Doch ist ein solches Jneinanderwirken von Kunst und Leben mit dem
Christenthum auch zu Ende gegangen, so hat doch noch in christlichen Zeilen
das Volk die Kunst gehoben und getragen, wie eine öffentliche und alle be¬
rührende Angelegenheit. Als die Madonna des Cimabue nach der Kirche Santa
Maria Novella gebracht wurde, begleiteten sie die Bewohner der Stadt im
feierlichen Aufzug, mehr zum Cultus der Kunst, als dem der Religion, und
die Aufstellung von Michel Angclos David vor dem Palazzo dei Signori war
ein Ereigniß, nach dem die Florentiner zu rechnen pflegten.
Stellt sich aber den künstlerischen Unternehmungen der Fürsten von Seiten
des Volkes eine theilnahmlose Trägheit entgegen, so ist schon dadurch die monu¬
mentale Kunst in ihrem Schaffen beschwert und gehindert. Denn sie will das
öffentliche Leben — ob es nun der Gegenwart oder der Vergangenheit angehöre
— in einen verklärenden Nahmen fassen, und das Dasein des Volkes aus der
Unruhe und Verwirrung des Tages in das heitere Gebiet der Kunst erheben.
Aber nun hat sie statt beseelter Körper eine leblose Masse vor Augen, die selber
nicht den geringsten Schwung fühlt, vom Boden sich abzulösen. Alle Be¬
geisterung muß der Künstler nur aus sich, alle Bilder und Gestalten nur
aus seiner eigenen, ganz auf sich angewiesenen Phantasie schöpfen, und was
er endlich zu Stande gebracht, darauf liegt das bleierne Auge des Beschauers
mit ertödtenden Blick. Hier schlägt nicht Leben dem Leben in einem Wechsel¬
spiel entgegen, das die Wirkung des Bildes verdoppelt, dem Künstler neue
Kraft des Schaffens giebt und die Gestalt des Beschauers unwillkührlich hebt
und veredelt; sondern den Figuren ist ein mühsamer Athem cingcblascn und
auch diesen Nest von Seele hauchen sie unter der erstarrenden Kälte einer
theilnahmlosen Betrachtung aus. Auch die Vergangenheit kann der Künstler
nur dann recht beleben, wenn ihm die Gegenwart mit frischem Verständniß und
der anregenden Bewegung natürlicher Schönheit entgegenkommt. So oft er
aber gegenwärtige Stoffe gestalten will, muß die Wirklichkeit, in der er sich
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