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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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deren Künstlern nur irgend Namen hatte, wurde zu den geschichtlichen Dar¬
stellungen herzugezogen (neben der bayrischen Geschichte im Nationalmuseum
gilt es die Weltgeschichte im Athenäum in einem großen Gemäldecyklus zu
schildern) und so tan" es an einem Reichthum individueller Auffassungen und
an der Verschiedenheit eigenthümlicher Formen nicht fehlen. Allein hat man
schon bei den älteren Meistern wenig darnach gefragt, ob der Vorwurf, den
man ihnen zutheilte, für ihr Talent und ihre Kunstweise auch paßte, so ist man
ja, was die jungen Maler, die oft selber noch über das Ziel ihres Berufes im
Unklaren sind -- anlangt, über ihre Leistungsfähigkeit und den Charakter ihrer
Begabung völlig im Ungewissen. Zudem werden diese in nicht wenigen Fällen,
kaum dem akademischen Unterricht entwachsen und so noch auf der untersten
Stufe ihrer Ausbildung, schon mit großen monumentalen Aufgaben betraut:
wo es dann nicht ausbleiben kann, daß manche höchst jugendliche Versuche und Irr¬
thümer monumental verewigt werden. Allein, davon abgesehen, was kann bei
einer solchen Mannigfaltigkeit und dem" bunten Gemisch "selbständiger" Anschau¬
ungen herauskommen? Was den jungen Künstler betrifft, so mag er zu einer
Art Selbständigkeit, wenn man den Ausdruck gehörig ausspannt, gelangt sein;
dafür aber fehlt ihm Schule, künstlerische Bildung und Entwicklung. Kenntniß
der Formen, die Uebung seines Fachs. Er ist zum Meister gemacht, kaum
nachdem er Lehrling gewesen und hält sich für einen fertigen Mann, denn er
besitzt ja für seine Mündigkeit ein Zeugniß, das Stück Geschichte, das er
gemalt hat. Was die Kunst betrifft, so wird sie unter der Menge verschieden¬
artiger sich kreuzender Züge ein Angesicht von eigenem Charakter kaum noch
ausweisen können: nach allen Richtungen auseinandergetrieben, wird ihre Ge¬
stalt unförmlich und ausdruckslos, unter den tausend umgehängten Gewändern
ihr Leib entstellt, ihr innerer Lebenskeim erstickt. Also nicht blos durch die
Schwere des Stoffs, sondern auch durch diese Zersplitterung wird ihr die freie
Bewegung aus sich, das naturgemäße Wachsen fast unmöglich gemacht, und
weder kommt so ihr eigenes Wesen zum Ausdruck, noch lernt sie die Formen
bilden, in denen sie den Inhalt unserer Phantasie gestalten könnte.

Daher hauptsächlich mag es kommen, daß. so viel auch durch die beiden
Könige tur die Kunst geschehen ist. sie ihr doch nicht zu einem eigenthümlichen
und lebenskräftigen Fortgang haben verhelfen können, so wenig die Münchener
monumentale Kunst zu einer geschlossenen Anschauungsweise und Formenbehand-
lung, zu einem Stil sich zu erhebe" vermocht hat. Mit dem allmäligen Wachs¬
thum von innen heraus fehlt es ihr an naturwüchsiger Entwicklung und an
dem Charakter einer in sich zusammengehaltenen Kraft; sie verzettelt sich in
die Breite, setzt bald hier bald dort neue Richtungen an. tritt in Gegensätze
auseinander, die besondere Ausdrucksweisen und Wirkungen einseitig ausbeuten und
darüber das harmonische Ganze der Erscheinung aus den Augen verlieren und


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deren Künstlern nur irgend Namen hatte, wurde zu den geschichtlichen Dar¬
stellungen herzugezogen (neben der bayrischen Geschichte im Nationalmuseum
gilt es die Weltgeschichte im Athenäum in einem großen Gemäldecyklus zu
schildern) und so tan» es an einem Reichthum individueller Auffassungen und
an der Verschiedenheit eigenthümlicher Formen nicht fehlen. Allein hat man
schon bei den älteren Meistern wenig darnach gefragt, ob der Vorwurf, den
man ihnen zutheilte, für ihr Talent und ihre Kunstweise auch paßte, so ist man
ja, was die jungen Maler, die oft selber noch über das Ziel ihres Berufes im
Unklaren sind — anlangt, über ihre Leistungsfähigkeit und den Charakter ihrer
Begabung völlig im Ungewissen. Zudem werden diese in nicht wenigen Fällen,
kaum dem akademischen Unterricht entwachsen und so noch auf der untersten
Stufe ihrer Ausbildung, schon mit großen monumentalen Aufgaben betraut:
wo es dann nicht ausbleiben kann, daß manche höchst jugendliche Versuche und Irr¬
thümer monumental verewigt werden. Allein, davon abgesehen, was kann bei
einer solchen Mannigfaltigkeit und dem" bunten Gemisch „selbständiger" Anschau¬
ungen herauskommen? Was den jungen Künstler betrifft, so mag er zu einer
Art Selbständigkeit, wenn man den Ausdruck gehörig ausspannt, gelangt sein;
dafür aber fehlt ihm Schule, künstlerische Bildung und Entwicklung. Kenntniß
der Formen, die Uebung seines Fachs. Er ist zum Meister gemacht, kaum
nachdem er Lehrling gewesen und hält sich für einen fertigen Mann, denn er
besitzt ja für seine Mündigkeit ein Zeugniß, das Stück Geschichte, das er
gemalt hat. Was die Kunst betrifft, so wird sie unter der Menge verschieden¬
artiger sich kreuzender Züge ein Angesicht von eigenem Charakter kaum noch
ausweisen können: nach allen Richtungen auseinandergetrieben, wird ihre Ge¬
stalt unförmlich und ausdruckslos, unter den tausend umgehängten Gewändern
ihr Leib entstellt, ihr innerer Lebenskeim erstickt. Also nicht blos durch die
Schwere des Stoffs, sondern auch durch diese Zersplitterung wird ihr die freie
Bewegung aus sich, das naturgemäße Wachsen fast unmöglich gemacht, und
weder kommt so ihr eigenes Wesen zum Ausdruck, noch lernt sie die Formen
bilden, in denen sie den Inhalt unserer Phantasie gestalten könnte.

Daher hauptsächlich mag es kommen, daß. so viel auch durch die beiden
Könige tur die Kunst geschehen ist. sie ihr doch nicht zu einem eigenthümlichen
und lebenskräftigen Fortgang haben verhelfen können, so wenig die Münchener
monumentale Kunst zu einer geschlossenen Anschauungsweise und Formenbehand-
lung, zu einem Stil sich zu erhebe» vermocht hat. Mit dem allmäligen Wachs¬
thum von innen heraus fehlt es ihr an naturwüchsiger Entwicklung und an
dem Charakter einer in sich zusammengehaltenen Kraft; sie verzettelt sich in
die Breite, setzt bald hier bald dort neue Richtungen an. tritt in Gegensätze
auseinander, die besondere Ausdrucksweisen und Wirkungen einseitig ausbeuten und
darüber das harmonische Ganze der Erscheinung aus den Augen verlieren und


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[0025] deren Künstlern nur irgend Namen hatte, wurde zu den geschichtlichen Dar¬ stellungen herzugezogen (neben der bayrischen Geschichte im Nationalmuseum gilt es die Weltgeschichte im Athenäum in einem großen Gemäldecyklus zu schildern) und so tan» es an einem Reichthum individueller Auffassungen und an der Verschiedenheit eigenthümlicher Formen nicht fehlen. Allein hat man schon bei den älteren Meistern wenig darnach gefragt, ob der Vorwurf, den man ihnen zutheilte, für ihr Talent und ihre Kunstweise auch paßte, so ist man ja, was die jungen Maler, die oft selber noch über das Ziel ihres Berufes im Unklaren sind — anlangt, über ihre Leistungsfähigkeit und den Charakter ihrer Begabung völlig im Ungewissen. Zudem werden diese in nicht wenigen Fällen, kaum dem akademischen Unterricht entwachsen und so noch auf der untersten Stufe ihrer Ausbildung, schon mit großen monumentalen Aufgaben betraut: wo es dann nicht ausbleiben kann, daß manche höchst jugendliche Versuche und Irr¬ thümer monumental verewigt werden. Allein, davon abgesehen, was kann bei einer solchen Mannigfaltigkeit und dem" bunten Gemisch „selbständiger" Anschau¬ ungen herauskommen? Was den jungen Künstler betrifft, so mag er zu einer Art Selbständigkeit, wenn man den Ausdruck gehörig ausspannt, gelangt sein; dafür aber fehlt ihm Schule, künstlerische Bildung und Entwicklung. Kenntniß der Formen, die Uebung seines Fachs. Er ist zum Meister gemacht, kaum nachdem er Lehrling gewesen und hält sich für einen fertigen Mann, denn er besitzt ja für seine Mündigkeit ein Zeugniß, das Stück Geschichte, das er gemalt hat. Was die Kunst betrifft, so wird sie unter der Menge verschieden¬ artiger sich kreuzender Züge ein Angesicht von eigenem Charakter kaum noch ausweisen können: nach allen Richtungen auseinandergetrieben, wird ihre Ge¬ stalt unförmlich und ausdruckslos, unter den tausend umgehängten Gewändern ihr Leib entstellt, ihr innerer Lebenskeim erstickt. Also nicht blos durch die Schwere des Stoffs, sondern auch durch diese Zersplitterung wird ihr die freie Bewegung aus sich, das naturgemäße Wachsen fast unmöglich gemacht, und weder kommt so ihr eigenes Wesen zum Ausdruck, noch lernt sie die Formen bilden, in denen sie den Inhalt unserer Phantasie gestalten könnte. Daher hauptsächlich mag es kommen, daß. so viel auch durch die beiden Könige tur die Kunst geschehen ist. sie ihr doch nicht zu einem eigenthümlichen und lebenskräftigen Fortgang haben verhelfen können, so wenig die Münchener monumentale Kunst zu einer geschlossenen Anschauungsweise und Formenbehand- lung, zu einem Stil sich zu erhebe» vermocht hat. Mit dem allmäligen Wachs¬ thum von innen heraus fehlt es ihr an naturwüchsiger Entwicklung und an dem Charakter einer in sich zusammengehaltenen Kraft; sie verzettelt sich in die Breite, setzt bald hier bald dort neue Richtungen an. tritt in Gegensätze auseinander, die besondere Ausdrucksweisen und Wirkungen einseitig ausbeuten und darüber das harmonische Ganze der Erscheinung aus den Augen verlieren und 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/25>, abgerufen am 21.05.2024.