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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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ihre Rechte wieder einzusetzen. Allerdings beweist diese Neigung, wie weit zu
jener Zeit auf die Einbildungskraft der Zuschauer zu rechnen war, da man
ihnen zumuthete. die doppelte Illusion festzuhalten: in Männertracht ein zum
Knaben verkleidetes Madchen zu sehen, das denn doch nach Fleisch und Blut ein
Knabe war.

Rosalindens etwas zudringliche Art, dem Orlando ihre Neigung an¬
zuzeigen, schiebt man wohl auch dem Costüm zu, in dem das Stück sie uns
darstellt.

Weit wichtiger war es. des Helden Orlando Zärtlichkeit gegen den Knaben
Ganymed von bedenklichen Nebenvorstellungen zu befreien, welche der damalige
modische Ton und die Hofsitte nicht scheute. Es erscheint unserer heutigen An¬
schauung fremdartig und unbehaglich, wenn wir Jünglinge in warmer Be¬
geisterung von schönen Knaben reden hören, wie z. B. die beiden Königskuider
in CimbelrM. wie den Prinzen in "Was Ihr wollt", wie den jungen Orlando
in "Wie es Euch gefällt" u. a. in.

Devrient hat diese tändelnden Liebesscenen vortrefflich eingerichtet. Er
fand in dem halben Erkennen, in dem Staunen und Fragen bei des vermeint¬
lichen Knaben Anblick, in dem unerklärvarcn Zuge des Herzens, der den Or¬
lando fesselt und zwingt, auf den Scherz der Verstellung einzugehen und seine
Liebe der verkleideten Rosalinde zu gestehen, ein sehr glückliches Motiv, jeden
Anstoß zu vermeiden. Durch feines, bescheidenes Hervorheben dieser Slun-
mungen, durch Zusatz und Wegnahme weniger Worte wurde das Spiel des
Orlando unserem Bedürfniß angepaßt. Man fühlte bei allen seinen treuherzigen
Betheuerungen, daß seine ganze Sehnsucht und Phantasie bei der fernen Ro¬
salinde war, die ihm durch die Aehnlichkeit des anwesenden Knaben nur theu¬
rer wurde, über der er immer wieder den Gegenwärtigen vergaß.

So war denn das Stück auf einen harmlosen Grundton gestellt, und mit
ungetrübter Freude konnte man sich den zahlreichen Schönheiten hingeben, mit
denen Shakespeares übersprudelnde Begabung selbst diese flüchtige Arbeit erfüllt
hat. Bunte Bilder, reiche Schilderungen, phantastische Schwärmerei, derbe
Schläge einer gesunden Laune, geistreiche Witzeleien und Seitenhiebe, anmuthige
Gleichnisse und heiße Leidenschaft winden sich in einander zu einem gefällig
geordneten Strauß, der die vielen farbigen Blumen in einen künstlerisch wohl¬
thuenden Totaleindruck sammelt.

Was der Aufführung selbst Werth und Reiz gab, waren außer der Kunst
einzelner Mitglieder -- vor andern war die Rolle der Rosalinde Leistung eines
schönen Talentes -- zumeist die alten Vorzüge der tarlsruher Bühne, das
sorgfältige Einstudiren bis auf das Kleinste herab und die bescheidene Einfüh-
rung des Stückes in die Bedingungen der modernen Bühne. Die Einrichtun¬
gen shakespearischer Stücke durch Eduard Devrient haben den Vorzug, daß sie mit


ihre Rechte wieder einzusetzen. Allerdings beweist diese Neigung, wie weit zu
jener Zeit auf die Einbildungskraft der Zuschauer zu rechnen war, da man
ihnen zumuthete. die doppelte Illusion festzuhalten: in Männertracht ein zum
Knaben verkleidetes Madchen zu sehen, das denn doch nach Fleisch und Blut ein
Knabe war.

Rosalindens etwas zudringliche Art, dem Orlando ihre Neigung an¬
zuzeigen, schiebt man wohl auch dem Costüm zu, in dem das Stück sie uns
darstellt.

Weit wichtiger war es. des Helden Orlando Zärtlichkeit gegen den Knaben
Ganymed von bedenklichen Nebenvorstellungen zu befreien, welche der damalige
modische Ton und die Hofsitte nicht scheute. Es erscheint unserer heutigen An¬
schauung fremdartig und unbehaglich, wenn wir Jünglinge in warmer Be¬
geisterung von schönen Knaben reden hören, wie z. B. die beiden Königskuider
in CimbelrM. wie den Prinzen in „Was Ihr wollt", wie den jungen Orlando
in „Wie es Euch gefällt" u. a. in.

Devrient hat diese tändelnden Liebesscenen vortrefflich eingerichtet. Er
fand in dem halben Erkennen, in dem Staunen und Fragen bei des vermeint¬
lichen Knaben Anblick, in dem unerklärvarcn Zuge des Herzens, der den Or¬
lando fesselt und zwingt, auf den Scherz der Verstellung einzugehen und seine
Liebe der verkleideten Rosalinde zu gestehen, ein sehr glückliches Motiv, jeden
Anstoß zu vermeiden. Durch feines, bescheidenes Hervorheben dieser Slun-
mungen, durch Zusatz und Wegnahme weniger Worte wurde das Spiel des
Orlando unserem Bedürfniß angepaßt. Man fühlte bei allen seinen treuherzigen
Betheuerungen, daß seine ganze Sehnsucht und Phantasie bei der fernen Ro¬
salinde war, die ihm durch die Aehnlichkeit des anwesenden Knaben nur theu¬
rer wurde, über der er immer wieder den Gegenwärtigen vergaß.

So war denn das Stück auf einen harmlosen Grundton gestellt, und mit
ungetrübter Freude konnte man sich den zahlreichen Schönheiten hingeben, mit
denen Shakespeares übersprudelnde Begabung selbst diese flüchtige Arbeit erfüllt
hat. Bunte Bilder, reiche Schilderungen, phantastische Schwärmerei, derbe
Schläge einer gesunden Laune, geistreiche Witzeleien und Seitenhiebe, anmuthige
Gleichnisse und heiße Leidenschaft winden sich in einander zu einem gefällig
geordneten Strauß, der die vielen farbigen Blumen in einen künstlerisch wohl¬
thuenden Totaleindruck sammelt.

Was der Aufführung selbst Werth und Reiz gab, waren außer der Kunst
einzelner Mitglieder — vor andern war die Rolle der Rosalinde Leistung eines
schönen Talentes — zumeist die alten Vorzüge der tarlsruher Bühne, das
sorgfältige Einstudiren bis auf das Kleinste herab und die bescheidene Einfüh-
rung des Stückes in die Bedingungen der modernen Bühne. Die Einrichtun¬
gen shakespearischer Stücke durch Eduard Devrient haben den Vorzug, daß sie mit


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[0265] ihre Rechte wieder einzusetzen. Allerdings beweist diese Neigung, wie weit zu jener Zeit auf die Einbildungskraft der Zuschauer zu rechnen war, da man ihnen zumuthete. die doppelte Illusion festzuhalten: in Männertracht ein zum Knaben verkleidetes Madchen zu sehen, das denn doch nach Fleisch und Blut ein Knabe war. Rosalindens etwas zudringliche Art, dem Orlando ihre Neigung an¬ zuzeigen, schiebt man wohl auch dem Costüm zu, in dem das Stück sie uns darstellt. Weit wichtiger war es. des Helden Orlando Zärtlichkeit gegen den Knaben Ganymed von bedenklichen Nebenvorstellungen zu befreien, welche der damalige modische Ton und die Hofsitte nicht scheute. Es erscheint unserer heutigen An¬ schauung fremdartig und unbehaglich, wenn wir Jünglinge in warmer Be¬ geisterung von schönen Knaben reden hören, wie z. B. die beiden Königskuider in CimbelrM. wie den Prinzen in „Was Ihr wollt", wie den jungen Orlando in „Wie es Euch gefällt" u. a. in. Devrient hat diese tändelnden Liebesscenen vortrefflich eingerichtet. Er fand in dem halben Erkennen, in dem Staunen und Fragen bei des vermeint¬ lichen Knaben Anblick, in dem unerklärvarcn Zuge des Herzens, der den Or¬ lando fesselt und zwingt, auf den Scherz der Verstellung einzugehen und seine Liebe der verkleideten Rosalinde zu gestehen, ein sehr glückliches Motiv, jeden Anstoß zu vermeiden. Durch feines, bescheidenes Hervorheben dieser Slun- mungen, durch Zusatz und Wegnahme weniger Worte wurde das Spiel des Orlando unserem Bedürfniß angepaßt. Man fühlte bei allen seinen treuherzigen Betheuerungen, daß seine ganze Sehnsucht und Phantasie bei der fernen Ro¬ salinde war, die ihm durch die Aehnlichkeit des anwesenden Knaben nur theu¬ rer wurde, über der er immer wieder den Gegenwärtigen vergaß. So war denn das Stück auf einen harmlosen Grundton gestellt, und mit ungetrübter Freude konnte man sich den zahlreichen Schönheiten hingeben, mit denen Shakespeares übersprudelnde Begabung selbst diese flüchtige Arbeit erfüllt hat. Bunte Bilder, reiche Schilderungen, phantastische Schwärmerei, derbe Schläge einer gesunden Laune, geistreiche Witzeleien und Seitenhiebe, anmuthige Gleichnisse und heiße Leidenschaft winden sich in einander zu einem gefällig geordneten Strauß, der die vielen farbigen Blumen in einen künstlerisch wohl¬ thuenden Totaleindruck sammelt. Was der Aufführung selbst Werth und Reiz gab, waren außer der Kunst einzelner Mitglieder — vor andern war die Rolle der Rosalinde Leistung eines schönen Talentes — zumeist die alten Vorzüge der tarlsruher Bühne, das sorgfältige Einstudiren bis auf das Kleinste herab und die bescheidene Einfüh- rung des Stückes in die Bedingungen der modernen Bühne. Die Einrichtun¬ gen shakespearischer Stücke durch Eduard Devrient haben den Vorzug, daß sie mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/265>, abgerufen am 16.05.2024.