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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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rika erinnert in diesen Beziehungen an die Kämpfe Napoleons in Rußland
1812, wo die Franzosen zwar überall siegten und Städte einnahmen, aber
dennoch das Land nicht eroberten. Die Kriegsgeschichte lehrt uns, daß in Fäl¬
len, wo ein ganzes Volk als Feind bekriegt wird, so daß eigentlich jeder ein¬
zelne Mann erobert oder geschlagen werden muß, nur die volle Beherrschung
des Landes zum Ziele führt, nicht aber der Gewinn einzelner Schlachten.
Beim Kampfe gegen die Spanier konnte sich Napoleon nur durch Occupation
der großen Städte und Festungen im Lande halten. Nordamerika entbehrt
aber auf seinem Kriegsschauplatz solcher Schwerpunkte der Landschaft in hohem
Grade. Die Kriegführung der Römer mit ihren großartigen Straßenanlagen,
Netzen von Lagern und dem systematischen Vorschreiten ihrer Herrschaft, könnte
hier als Maaßstab zur Beurtheilung der Richtigkeit des Verfahrens der Nord¬
staaten dienen, wenn der Norden schon beim Beginne des Krieges die Ueber¬
zeugung gehabt hätte, daß der Süden nur durch Eroberung zu bezwingen sei.
Man wähnte aber statt dessen auch nach den Erfahrungen vom Jahre 1861,
daß es nur einer Tracht Schläge bedürfe, um den Jungen zur Raison zu brin¬
gen, und zu dieser Operation hielt man sich als das stärkere Stammvolk be¬
rechtigt und befähigt. In dieser pädagogischen Auffassung der Sachlage irrte
man sich gewaltig und sah erst nach harten Erfahrungen ein, daß es an der
Zeit sei, den Abtrünnigen entweder als gleichberechtigt neben sich zu dulden oder
aber in die Zwangsjacke zu stecken.

Das Richtige wäre also offenbar gewesen, möglichst systematisch vorzu-
gehn. auf den beiden großen Operationslinien, im Osten von Washington nach
Richmond, im Westen von Cairo nach New-Orleans am Mississippi, Festung
nach Festung zu bauen, sich immer mehr zu basiren und keinen Schritt vor¬
wärts zu thun, der nicht mindestens einmal zurück gethan war. -- Wie aber
die allgemeine Stimme, welche den Norden mehr lenkte als die Vernunft der
Sache, solche systematische Kriegführung beurtheilte, spricht niemand klarer aus
wie Pope, als er an die Spitze der Potomacarmee berufen, der Welt das
Programm seiner künftigen, natürlich nur kurzen Thätigkeit verkündete. Er
sagte in seinem ersten Armeebefehl: "Ich habe beständig vom Einnehmen und
Behaupten starker Positionen gehört, -- von Rückzugslinien, Operationsbasis
und Depots für Hilfstruppen, laßt uns solche Ideen über Bord werfen." Und
ferner: "Laßt uns vielmehr die wahrscheinliche Rückzugslinie unsers Feindes
studiren. die unsere wird für sich selber sorgen."

Wirkliche d. h. in ihrem Metier durchgebildete Generale fehlten den Nord¬
amerikanern. Der Süden hatte wenigstens solche, deren frühere Studien ihrem
jetzigen Berufe zu Gute kamen, der Norden hatte außer Mac Clellan Keinen,
der dieses Vorzugs genoß, dieser war aber und ist heute noch nicht Soldat, son¬
dern nur Verwalter. Die Folge davon war, daß auch in diesem Jahre die


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rika erinnert in diesen Beziehungen an die Kämpfe Napoleons in Rußland
1812, wo die Franzosen zwar überall siegten und Städte einnahmen, aber
dennoch das Land nicht eroberten. Die Kriegsgeschichte lehrt uns, daß in Fäl¬
len, wo ein ganzes Volk als Feind bekriegt wird, so daß eigentlich jeder ein¬
zelne Mann erobert oder geschlagen werden muß, nur die volle Beherrschung
des Landes zum Ziele führt, nicht aber der Gewinn einzelner Schlachten.
Beim Kampfe gegen die Spanier konnte sich Napoleon nur durch Occupation
der großen Städte und Festungen im Lande halten. Nordamerika entbehrt
aber auf seinem Kriegsschauplatz solcher Schwerpunkte der Landschaft in hohem
Grade. Die Kriegführung der Römer mit ihren großartigen Straßenanlagen,
Netzen von Lagern und dem systematischen Vorschreiten ihrer Herrschaft, könnte
hier als Maaßstab zur Beurtheilung der Richtigkeit des Verfahrens der Nord¬
staaten dienen, wenn der Norden schon beim Beginne des Krieges die Ueber¬
zeugung gehabt hätte, daß der Süden nur durch Eroberung zu bezwingen sei.
Man wähnte aber statt dessen auch nach den Erfahrungen vom Jahre 1861,
daß es nur einer Tracht Schläge bedürfe, um den Jungen zur Raison zu brin¬
gen, und zu dieser Operation hielt man sich als das stärkere Stammvolk be¬
rechtigt und befähigt. In dieser pädagogischen Auffassung der Sachlage irrte
man sich gewaltig und sah erst nach harten Erfahrungen ein, daß es an der
Zeit sei, den Abtrünnigen entweder als gleichberechtigt neben sich zu dulden oder
aber in die Zwangsjacke zu stecken.

Das Richtige wäre also offenbar gewesen, möglichst systematisch vorzu-
gehn. auf den beiden großen Operationslinien, im Osten von Washington nach
Richmond, im Westen von Cairo nach New-Orleans am Mississippi, Festung
nach Festung zu bauen, sich immer mehr zu basiren und keinen Schritt vor¬
wärts zu thun, der nicht mindestens einmal zurück gethan war. — Wie aber
die allgemeine Stimme, welche den Norden mehr lenkte als die Vernunft der
Sache, solche systematische Kriegführung beurtheilte, spricht niemand klarer aus
wie Pope, als er an die Spitze der Potomacarmee berufen, der Welt das
Programm seiner künftigen, natürlich nur kurzen Thätigkeit verkündete. Er
sagte in seinem ersten Armeebefehl: „Ich habe beständig vom Einnehmen und
Behaupten starker Positionen gehört, — von Rückzugslinien, Operationsbasis
und Depots für Hilfstruppen, laßt uns solche Ideen über Bord werfen." Und
ferner: „Laßt uns vielmehr die wahrscheinliche Rückzugslinie unsers Feindes
studiren. die unsere wird für sich selber sorgen."

Wirkliche d. h. in ihrem Metier durchgebildete Generale fehlten den Nord¬
amerikanern. Der Süden hatte wenigstens solche, deren frühere Studien ihrem
jetzigen Berufe zu Gute kamen, der Norden hatte außer Mac Clellan Keinen,
der dieses Vorzugs genoß, dieser war aber und ist heute noch nicht Soldat, son¬
dern nur Verwalter. Die Folge davon war, daß auch in diesem Jahre die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/67>, abgerufen am 16.05.2024.