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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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fast ein Drittel seiner Mannschaft verlor. Vergebens wurden im dichtesten
Kugelhagel zu verschiedenen Malen aus dem Kopf an Kopf zusammengedrängten
Haufen der Unsern kleine Colonnen gebildet, welche dann, die Chargirten
voran, die Brustwehr hinanstürmten. Kaum wurde ein Kopf oben sichtbar,
so waren Bajonnet und Kugel darauf gerichtet, und indem die Stürzenden in
ihrem Fall die Dahinterstehenden mit sich hinabrissen, entstand eine neue Stockung.
Auf diese Weise wurden die meisten Offiziere getödtet oder verwundet. Ich selbst
bekam, an der Böschung der Schanze emporklimmend, zunächst nur einen Streif¬
schuß am Kopfe, welcher mir für einige Zeit die Besinnung nahm, so daß ich
zu Boden stürzte.

Als ich wieder zu mir kam, stellte ich mich im sicheren Gefühle, dem
Schicksal jetzt meine Schuld bezahlt zu haben, an die Spitze der kleinen Ab¬
theilung, welche eine Umgehung der Schanze versuchen sollte. Dieselbe scheiterte
vollständig an den vielen kleinen Marschgräben, mit denen das dortige Terrain
durchschnitten ist, und nur Wenige kehrten von dieser Expedition zurück. Um
doch auch etwas zu thun zu haben, hatten die Pionniere sich daran gemacht, die
Schanze zu unterminiren. Die herausgearbeiteten Pfähle und Palissaden wurden,
von kräftigen Händen angefaßt, in die Schanze hinübergeschleudert. Der Feind
ging auf dieses niedliche Ballspiel ein, und besinnungslos stürzte Premierlieute¬
nant Graf Luckner hin. Dem tapfern Abtheilungsführer, Hauptmann Lotgau,
drang eine Rakete ins Ohr. Nachdem er den Dänen noch zugerufen: "Ihr
Hunde, ich komme Euch wohl mal wieder", wurde er abgeführt. Ais somit
die meisten Offiziere gefallen oder kampfunfähig geworden waren, erlahmte der
Angriff sichtlich. Vorwärts konnten wir nicht kommen, und zum Zurückgehen
hatten wir keine Ordre. Wir blieben daher aus russische Weise stehen, nach¬
gerade vollständig gleichgiltig geworden gegen das Hinstürzen der Getroffenen.
Im Begriff, mir eine Cigarre anzuzünden, erhielt ich einen zweiten Schuß,
der mir durch den rechten Arm und den Unterleib ging, und damit hatte ich
genug bekommen. Ich wurde im selben Augenblick zurückgebracht, als das
fünfzehnte Bataillon zur Ablösung erschien. Auf dem Verbandplatz sah ich
links vor mir am Fuße des Deiches die lange Reihe der Todten, von dem
Scheine einiger Fackeln unheimlich beleuchtet. Das Gewehrfeuer war schwächer
geworden, nur die Kanonen donnerten mit unverminderter Heftigkeit fort. Da
explodirt auf dem Eiderdeiche ein Munitionswagen. Ein lautes Hurrah aus
der ganzen feindlichen Linie, dann überall hüben und drüben Todesstille! Wie
auf Verabredung zogen sich die erschöpften Kämpfer zurück, und das blutige
Finale des ersten Schleswig-holsteinischen Kriegs war aufgeführt.

Nachdem mir der durchschossene Arm, so gut es ging, geschient und die
große Oeffnung am Leibe mit Charpie zugestopft worden, gings auf einem er¬
träglichen Bauernwagen zurück nach Drage. Hier war indeß meines Bleibens


fast ein Drittel seiner Mannschaft verlor. Vergebens wurden im dichtesten
Kugelhagel zu verschiedenen Malen aus dem Kopf an Kopf zusammengedrängten
Haufen der Unsern kleine Colonnen gebildet, welche dann, die Chargirten
voran, die Brustwehr hinanstürmten. Kaum wurde ein Kopf oben sichtbar,
so waren Bajonnet und Kugel darauf gerichtet, und indem die Stürzenden in
ihrem Fall die Dahinterstehenden mit sich hinabrissen, entstand eine neue Stockung.
Auf diese Weise wurden die meisten Offiziere getödtet oder verwundet. Ich selbst
bekam, an der Böschung der Schanze emporklimmend, zunächst nur einen Streif¬
schuß am Kopfe, welcher mir für einige Zeit die Besinnung nahm, so daß ich
zu Boden stürzte.

Als ich wieder zu mir kam, stellte ich mich im sicheren Gefühle, dem
Schicksal jetzt meine Schuld bezahlt zu haben, an die Spitze der kleinen Ab¬
theilung, welche eine Umgehung der Schanze versuchen sollte. Dieselbe scheiterte
vollständig an den vielen kleinen Marschgräben, mit denen das dortige Terrain
durchschnitten ist, und nur Wenige kehrten von dieser Expedition zurück. Um
doch auch etwas zu thun zu haben, hatten die Pionniere sich daran gemacht, die
Schanze zu unterminiren. Die herausgearbeiteten Pfähle und Palissaden wurden,
von kräftigen Händen angefaßt, in die Schanze hinübergeschleudert. Der Feind
ging auf dieses niedliche Ballspiel ein, und besinnungslos stürzte Premierlieute¬
nant Graf Luckner hin. Dem tapfern Abtheilungsführer, Hauptmann Lotgau,
drang eine Rakete ins Ohr. Nachdem er den Dänen noch zugerufen: „Ihr
Hunde, ich komme Euch wohl mal wieder", wurde er abgeführt. Ais somit
die meisten Offiziere gefallen oder kampfunfähig geworden waren, erlahmte der
Angriff sichtlich. Vorwärts konnten wir nicht kommen, und zum Zurückgehen
hatten wir keine Ordre. Wir blieben daher aus russische Weise stehen, nach¬
gerade vollständig gleichgiltig geworden gegen das Hinstürzen der Getroffenen.
Im Begriff, mir eine Cigarre anzuzünden, erhielt ich einen zweiten Schuß,
der mir durch den rechten Arm und den Unterleib ging, und damit hatte ich
genug bekommen. Ich wurde im selben Augenblick zurückgebracht, als das
fünfzehnte Bataillon zur Ablösung erschien. Auf dem Verbandplatz sah ich
links vor mir am Fuße des Deiches die lange Reihe der Todten, von dem
Scheine einiger Fackeln unheimlich beleuchtet. Das Gewehrfeuer war schwächer
geworden, nur die Kanonen donnerten mit unverminderter Heftigkeit fort. Da
explodirt auf dem Eiderdeiche ein Munitionswagen. Ein lautes Hurrah aus
der ganzen feindlichen Linie, dann überall hüben und drüben Todesstille! Wie
auf Verabredung zogen sich die erschöpften Kämpfer zurück, und das blutige
Finale des ersten Schleswig-holsteinischen Kriegs war aufgeführt.

Nachdem mir der durchschossene Arm, so gut es ging, geschient und die
große Oeffnung am Leibe mit Charpie zugestopft worden, gings auf einem er¬
träglichen Bauernwagen zurück nach Drage. Hier war indeß meines Bleibens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/200>, abgerufen am 17.06.2024.