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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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stehend mitgetheilten Auszüge aus einigen Ackerstücken, die sich unter dem
Nachlaß eines vor geraumer Zeit verstorbenen Staatsmannes gefunden haben.

Einer der redlichsten und wohlmeinendsten Patrioten, deren sich das-Groß-
herzogthum Baden rühmen kann, war der constanzer Bürgermeister Karl
H üetlin. Ein Mann von Kenntnissen, von großer Geschäftsgewandtheit, von
dem höchsten Ansehen unter der Bürgerschaft, in politischen Dingen liberal
ohne excentrische Neigungen, mit einer rastlosen Rührigkeit in allen öffentlichen
Angelegenheiten thätig, aber, wenn auch nie des großen Ganzen vergessend, mit
seinen nächsten Gedanken stets dem zunächst Nothwendigen zugewandt, in seiner
kirchlichen Richtung als Katholik und persönlicher Freund Wessenbergs vor-
urtheilsfrei, jeder Abneigung gegen andere Confesfionsverwandte fremd, in
allem, was höhere geistige Interessen betraf, ein nie völlig enttäuschter Idealist.

Dieser Mann ließ am 20. Februar 1834, zu derselben Zeit, als in Wien
die deutschen Minister zu einer neuen Vergewaltigung der Rechte der deutschen
Nation zusammengekommen waren, das folgende, etwas phrasenhafte Schreiben
an den "Magistrat der k. k. böhmischen Haupt-und Residenzstadt Prag" ergehen:

"Vier Jahrhunderte und die weltumgestaltenden Erfolge der Kirchenrefor¬
mation Luthers haben über Johann Huß und Hieronymus von Prag gerechter
gerichtet als das Concilium zu Constanz und der wortbrüchige Sigismund in
den Jahren 1413 und 1416. Die Flammen der Verketzerungswuth haben in
unsäglichen Qualen-die Leiber dieser beiden Männer verzehrt, und vieljährige
Stürme des Krieges und Ströme von Blut haben bald darauf die Nationen
gegeißelt; aber die Nachwelt und die Geschichte, leidenschaftslos und gerecht,
verehrt diese starken Geister als erste Vertheidiger der Gewissensfreiheit
und Vorkämpfer der großen kirchlichen Reformation.

Kriegshelden, Staatsmänner, Gelehrte und Künstler aller Arten: Napoleon,
Luther, Canning, Schiller, Goethe, Gutenberg und Dürer haben ihre Denkmale,
welche der Nachwelt wichtige Momente ihres Lebens und Wirkens bezeichnen
oder den Ort, wo ihre Asche ruht; -- aber kein Denkstein bezeichnet bis heute
die Stelle, wo Huß und Hieronymus von Prag für ihren Glauben den schreck¬
lichsten Tod im Feuer fanden.

Aufmerksame Forschung setzte uns in den Stand, mit Zuverlässigkeit diesen
so merkwürdigen Ort in der Gemarkung unserer Stadt bestimmen zu können.

Der unterzeichnete Bürgermeister von Constanz und mehre Bürger dieser
Stadt, die in der katholischen Kirche, zu der sie ohne Ausnalfme gehören, kein
Hinderniß finden können, haben sich daher vereinigt, um in Deutschland und
Frankreich, vorzüglich aber in England (wo Hussens Lehrer Wilkes lebte) und
in Böhmen, dem Heimathslande des Huß und Hieronymus, mittelst Subscrip-
tion Beiträge zu Errichtung eines großartigen Denkmals zu sammeln, welches
die Stelle bezeichnen soll, wo beide starben.


stehend mitgetheilten Auszüge aus einigen Ackerstücken, die sich unter dem
Nachlaß eines vor geraumer Zeit verstorbenen Staatsmannes gefunden haben.

Einer der redlichsten und wohlmeinendsten Patrioten, deren sich das-Groß-
herzogthum Baden rühmen kann, war der constanzer Bürgermeister Karl
H üetlin. Ein Mann von Kenntnissen, von großer Geschäftsgewandtheit, von
dem höchsten Ansehen unter der Bürgerschaft, in politischen Dingen liberal
ohne excentrische Neigungen, mit einer rastlosen Rührigkeit in allen öffentlichen
Angelegenheiten thätig, aber, wenn auch nie des großen Ganzen vergessend, mit
seinen nächsten Gedanken stets dem zunächst Nothwendigen zugewandt, in seiner
kirchlichen Richtung als Katholik und persönlicher Freund Wessenbergs vor-
urtheilsfrei, jeder Abneigung gegen andere Confesfionsverwandte fremd, in
allem, was höhere geistige Interessen betraf, ein nie völlig enttäuschter Idealist.

Dieser Mann ließ am 20. Februar 1834, zu derselben Zeit, als in Wien
die deutschen Minister zu einer neuen Vergewaltigung der Rechte der deutschen
Nation zusammengekommen waren, das folgende, etwas phrasenhafte Schreiben
an den „Magistrat der k. k. böhmischen Haupt-und Residenzstadt Prag" ergehen:

„Vier Jahrhunderte und die weltumgestaltenden Erfolge der Kirchenrefor¬
mation Luthers haben über Johann Huß und Hieronymus von Prag gerechter
gerichtet als das Concilium zu Constanz und der wortbrüchige Sigismund in
den Jahren 1413 und 1416. Die Flammen der Verketzerungswuth haben in
unsäglichen Qualen-die Leiber dieser beiden Männer verzehrt, und vieljährige
Stürme des Krieges und Ströme von Blut haben bald darauf die Nationen
gegeißelt; aber die Nachwelt und die Geschichte, leidenschaftslos und gerecht,
verehrt diese starken Geister als erste Vertheidiger der Gewissensfreiheit
und Vorkämpfer der großen kirchlichen Reformation.

Kriegshelden, Staatsmänner, Gelehrte und Künstler aller Arten: Napoleon,
Luther, Canning, Schiller, Goethe, Gutenberg und Dürer haben ihre Denkmale,
welche der Nachwelt wichtige Momente ihres Lebens und Wirkens bezeichnen
oder den Ort, wo ihre Asche ruht; — aber kein Denkstein bezeichnet bis heute
die Stelle, wo Huß und Hieronymus von Prag für ihren Glauben den schreck¬
lichsten Tod im Feuer fanden.

Aufmerksame Forschung setzte uns in den Stand, mit Zuverlässigkeit diesen
so merkwürdigen Ort in der Gemarkung unserer Stadt bestimmen zu können.

Der unterzeichnete Bürgermeister von Constanz und mehre Bürger dieser
Stadt, die in der katholischen Kirche, zu der sie ohne Ausnalfme gehören, kein
Hinderniß finden können, haben sich daher vereinigt, um in Deutschland und
Frankreich, vorzüglich aber in England (wo Hussens Lehrer Wilkes lebte) und
in Böhmen, dem Heimathslande des Huß und Hieronymus, mittelst Subscrip-
tion Beiträge zu Errichtung eines großartigen Denkmals zu sammeln, welches
die Stelle bezeichnen soll, wo beide starben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/202>, abgerufen am 17.06.2024.