Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Besuch war eine Lection hauptsächlich für ihn, aber in gewissem Maße auch
für uns. Er weiß jetzt, daß wir ein gutes Theil größer sind als er, wir wissen,
daß er zwar viel kleiner, auch am Verstände etwas kleiner als wir, aber weder
viel weniger gut situirt, noch weniger sauber, weniger zu allem Guten geschickt
und weniger mit der Zeit fortgeschritten ist als wir, die Bettern im Süden.
Es ist wahr, er betrug sich zuweilen nicht recht artig, aber es war patriotische
Unart, und die vergeben wir ihm. Nur wird er sich künftig friedfertiger auf¬
führen müssen, und dazu ist, da er im Grunde ein gutmüthiger Kumpan und
gar nicht aufs Raufen erpicht ist, wenn ihn die Kopenhagener nicht Hetzen, alle
Hoffnung vorhanden. Der Vetter Jude wird jetzt, nachdem Frieden gemacht
ist, die weitere Erfahrung gewinnen, daß auch wir im Allgemeinen nicht so
übel sind, als die Demagogen auf den Inseln ihm vorredeten. Er wird mit
uns verkehren, mit uns Handel treiben und ein guter rechtschaffener Nachbar
werden. Wir aber wollen ihn nicht verachten, und da die bisherige Gering¬
schätzung wesentlich auf Unkenntniß, aus Vorstellungen nach bloßem Hörensagen
beruhte, so wird es nützlich sein, dazu beizutragen, daß die durch den Krug
als Nebensache, gewonnene Bekanntschaft mit ihm allgemeiner werde.

Schon früher versuchte daher d. Bl.. seines Namens eingedenk, durch eine
Botschaft von der Nordgrenze einige ungünstige Vorurtheile, die über Jütland
und die Juden herrschen, zu beseitigen oder doch zu mildern. Heute sei es ge¬
stattet, diesen Versuch fortzusetzen. Im Folgenden benutzen wir eine uns zu
Auszügen überlassene, dem Druck entgegensehende Arbeit eines preußischen
Offiziers, der sich theils durch Augenzeugenschaft, theils durch umfassende Studien
mit dem Lande und seinen Bewohnern, wie sie heutzutage sind, vertraut ge¬
wacht hat*), um beide und namentlich die letzteren etwas genauer als früher zu
charakterisiren.

Das östliche Jütland ist bis über den Limfjord hinauf, bis in die Gegend
von Frederikshavn nichts weniger als eine Wüste, im Gegentheil ganz so gut
geeignet zu behaglicher Ansiedelung, stellenweise sogar besser als Holstein und
Schleswig. Anmuthige, mit Buchenwald bedeckte Hügel wechseln hier ab mit
fruchtbaren Feldern, zahlreiche Bäche winden sich durch grünes Wiesenland,
stattliche Bauernhöfe zeugen von dem Wohlstand ihrer Besitzer, vortreffliche
Chausseen verbinden die verschiedenen Seestädte mit einander, die an Nettigkeit
und Sauberkeit den holsteinischen und schleswigschen in nichts nachstehen. Fast
überall vorzügliche Bodencultur, beinahe allenthalben, besonders auf den Tief¬
ebenen an der See, die früher Meeresboden waren, die äußerste Fruchtbarkeit,
welche das auf Bracher wuchernde Unkraut oft bis zu einer Höhe von 6 bis 6 Fuß



") Studien über Jütland. Von E. v. Mitten.
32*

Besuch war eine Lection hauptsächlich für ihn, aber in gewissem Maße auch
für uns. Er weiß jetzt, daß wir ein gutes Theil größer sind als er, wir wissen,
daß er zwar viel kleiner, auch am Verstände etwas kleiner als wir, aber weder
viel weniger gut situirt, noch weniger sauber, weniger zu allem Guten geschickt
und weniger mit der Zeit fortgeschritten ist als wir, die Bettern im Süden.
Es ist wahr, er betrug sich zuweilen nicht recht artig, aber es war patriotische
Unart, und die vergeben wir ihm. Nur wird er sich künftig friedfertiger auf¬
führen müssen, und dazu ist, da er im Grunde ein gutmüthiger Kumpan und
gar nicht aufs Raufen erpicht ist, wenn ihn die Kopenhagener nicht Hetzen, alle
Hoffnung vorhanden. Der Vetter Jude wird jetzt, nachdem Frieden gemacht
ist, die weitere Erfahrung gewinnen, daß auch wir im Allgemeinen nicht so
übel sind, als die Demagogen auf den Inseln ihm vorredeten. Er wird mit
uns verkehren, mit uns Handel treiben und ein guter rechtschaffener Nachbar
werden. Wir aber wollen ihn nicht verachten, und da die bisherige Gering¬
schätzung wesentlich auf Unkenntniß, aus Vorstellungen nach bloßem Hörensagen
beruhte, so wird es nützlich sein, dazu beizutragen, daß die durch den Krug
als Nebensache, gewonnene Bekanntschaft mit ihm allgemeiner werde.

Schon früher versuchte daher d. Bl.. seines Namens eingedenk, durch eine
Botschaft von der Nordgrenze einige ungünstige Vorurtheile, die über Jütland
und die Juden herrschen, zu beseitigen oder doch zu mildern. Heute sei es ge¬
stattet, diesen Versuch fortzusetzen. Im Folgenden benutzen wir eine uns zu
Auszügen überlassene, dem Druck entgegensehende Arbeit eines preußischen
Offiziers, der sich theils durch Augenzeugenschaft, theils durch umfassende Studien
mit dem Lande und seinen Bewohnern, wie sie heutzutage sind, vertraut ge¬
wacht hat*), um beide und namentlich die letzteren etwas genauer als früher zu
charakterisiren.

Das östliche Jütland ist bis über den Limfjord hinauf, bis in die Gegend
von Frederikshavn nichts weniger als eine Wüste, im Gegentheil ganz so gut
geeignet zu behaglicher Ansiedelung, stellenweise sogar besser als Holstein und
Schleswig. Anmuthige, mit Buchenwald bedeckte Hügel wechseln hier ab mit
fruchtbaren Feldern, zahlreiche Bäche winden sich durch grünes Wiesenland,
stattliche Bauernhöfe zeugen von dem Wohlstand ihrer Besitzer, vortreffliche
Chausseen verbinden die verschiedenen Seestädte mit einander, die an Nettigkeit
und Sauberkeit den holsteinischen und schleswigschen in nichts nachstehen. Fast
überall vorzügliche Bodencultur, beinahe allenthalben, besonders auf den Tief¬
ebenen an der See, die früher Meeresboden waren, die äußerste Fruchtbarkeit,
welche das auf Bracher wuchernde Unkraut oft bis zu einer Höhe von 6 bis 6 Fuß



") Studien über Jütland. Von E. v. Mitten.
32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283066"/>
          <p xml:id="ID_863" prev="#ID_862"> Besuch war eine Lection hauptsächlich für ihn, aber in gewissem Maße auch<lb/>
für uns. Er weiß jetzt, daß wir ein gutes Theil größer sind als er, wir wissen,<lb/>
daß er zwar viel kleiner, auch am Verstände etwas kleiner als wir, aber weder<lb/>
viel weniger gut situirt, noch weniger sauber, weniger zu allem Guten geschickt<lb/>
und weniger mit der Zeit fortgeschritten ist als wir, die Bettern im Süden.<lb/>
Es ist wahr, er betrug sich zuweilen nicht recht artig, aber es war patriotische<lb/>
Unart, und die vergeben wir ihm. Nur wird er sich künftig friedfertiger auf¬<lb/>
führen müssen, und dazu ist, da er im Grunde ein gutmüthiger Kumpan und<lb/>
gar nicht aufs Raufen erpicht ist, wenn ihn die Kopenhagener nicht Hetzen, alle<lb/>
Hoffnung vorhanden. Der Vetter Jude wird jetzt, nachdem Frieden gemacht<lb/>
ist, die weitere Erfahrung gewinnen, daß auch wir im Allgemeinen nicht so<lb/>
übel sind, als die Demagogen auf den Inseln ihm vorredeten. Er wird mit<lb/>
uns verkehren, mit uns Handel treiben und ein guter rechtschaffener Nachbar<lb/>
werden. Wir aber wollen ihn nicht verachten, und da die bisherige Gering¬<lb/>
schätzung wesentlich auf Unkenntniß, aus Vorstellungen nach bloßem Hörensagen<lb/>
beruhte, so wird es nützlich sein, dazu beizutragen, daß die durch den Krug<lb/>
als Nebensache, gewonnene Bekanntschaft mit ihm allgemeiner werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_864"> Schon früher versuchte daher d. Bl.. seines Namens eingedenk, durch eine<lb/>
Botschaft von der Nordgrenze einige ungünstige Vorurtheile, die über Jütland<lb/>
und die Juden herrschen, zu beseitigen oder doch zu mildern. Heute sei es ge¬<lb/>
stattet, diesen Versuch fortzusetzen. Im Folgenden benutzen wir eine uns zu<lb/>
Auszügen überlassene, dem Druck entgegensehende Arbeit eines preußischen<lb/>
Offiziers, der sich theils durch Augenzeugenschaft, theils durch umfassende Studien<lb/>
mit dem Lande und seinen Bewohnern, wie sie heutzutage sind, vertraut ge¬<lb/>
wacht hat*), um beide und namentlich die letzteren etwas genauer als früher zu<lb/>
charakterisiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_865" next="#ID_866"> Das östliche Jütland ist bis über den Limfjord hinauf, bis in die Gegend<lb/>
von Frederikshavn nichts weniger als eine Wüste, im Gegentheil ganz so gut<lb/>
geeignet zu behaglicher Ansiedelung, stellenweise sogar besser als Holstein und<lb/>
Schleswig. Anmuthige, mit Buchenwald bedeckte Hügel wechseln hier ab mit<lb/>
fruchtbaren Feldern, zahlreiche Bäche winden sich durch grünes Wiesenland,<lb/>
stattliche Bauernhöfe zeugen von dem Wohlstand ihrer Besitzer, vortreffliche<lb/>
Chausseen verbinden die verschiedenen Seestädte mit einander, die an Nettigkeit<lb/>
und Sauberkeit den holsteinischen und schleswigschen in nichts nachstehen. Fast<lb/>
überall vorzügliche Bodencultur, beinahe allenthalben, besonders auf den Tief¬<lb/>
ebenen an der See, die früher Meeresboden waren, die äußerste Fruchtbarkeit,<lb/>
welche das auf Bracher wuchernde Unkraut oft bis zu einer Höhe von 6 bis 6 Fuß</p><lb/>
          <note xml:id="FID_54" place="foot"> ") Studien über Jütland. Von E. v. Mitten.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] Besuch war eine Lection hauptsächlich für ihn, aber in gewissem Maße auch für uns. Er weiß jetzt, daß wir ein gutes Theil größer sind als er, wir wissen, daß er zwar viel kleiner, auch am Verstände etwas kleiner als wir, aber weder viel weniger gut situirt, noch weniger sauber, weniger zu allem Guten geschickt und weniger mit der Zeit fortgeschritten ist als wir, die Bettern im Süden. Es ist wahr, er betrug sich zuweilen nicht recht artig, aber es war patriotische Unart, und die vergeben wir ihm. Nur wird er sich künftig friedfertiger auf¬ führen müssen, und dazu ist, da er im Grunde ein gutmüthiger Kumpan und gar nicht aufs Raufen erpicht ist, wenn ihn die Kopenhagener nicht Hetzen, alle Hoffnung vorhanden. Der Vetter Jude wird jetzt, nachdem Frieden gemacht ist, die weitere Erfahrung gewinnen, daß auch wir im Allgemeinen nicht so übel sind, als die Demagogen auf den Inseln ihm vorredeten. Er wird mit uns verkehren, mit uns Handel treiben und ein guter rechtschaffener Nachbar werden. Wir aber wollen ihn nicht verachten, und da die bisherige Gering¬ schätzung wesentlich auf Unkenntniß, aus Vorstellungen nach bloßem Hörensagen beruhte, so wird es nützlich sein, dazu beizutragen, daß die durch den Krug als Nebensache, gewonnene Bekanntschaft mit ihm allgemeiner werde. Schon früher versuchte daher d. Bl.. seines Namens eingedenk, durch eine Botschaft von der Nordgrenze einige ungünstige Vorurtheile, die über Jütland und die Juden herrschen, zu beseitigen oder doch zu mildern. Heute sei es ge¬ stattet, diesen Versuch fortzusetzen. Im Folgenden benutzen wir eine uns zu Auszügen überlassene, dem Druck entgegensehende Arbeit eines preußischen Offiziers, der sich theils durch Augenzeugenschaft, theils durch umfassende Studien mit dem Lande und seinen Bewohnern, wie sie heutzutage sind, vertraut ge¬ wacht hat*), um beide und namentlich die letzteren etwas genauer als früher zu charakterisiren. Das östliche Jütland ist bis über den Limfjord hinauf, bis in die Gegend von Frederikshavn nichts weniger als eine Wüste, im Gegentheil ganz so gut geeignet zu behaglicher Ansiedelung, stellenweise sogar besser als Holstein und Schleswig. Anmuthige, mit Buchenwald bedeckte Hügel wechseln hier ab mit fruchtbaren Feldern, zahlreiche Bäche winden sich durch grünes Wiesenland, stattliche Bauernhöfe zeugen von dem Wohlstand ihrer Besitzer, vortreffliche Chausseen verbinden die verschiedenen Seestädte mit einander, die an Nettigkeit und Sauberkeit den holsteinischen und schleswigschen in nichts nachstehen. Fast überall vorzügliche Bodencultur, beinahe allenthalben, besonders auf den Tief¬ ebenen an der See, die früher Meeresboden waren, die äußerste Fruchtbarkeit, welche das auf Bracher wuchernde Unkraut oft bis zu einer Höhe von 6 bis 6 Fuß ") Studien über Jütland. Von E. v. Mitten. 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/269>, abgerufen am 17.06.2024.