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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Zu allen Zeiten ist mit größerer und geringerer Planmäßigkeit dahin ge¬
arbeitet worden, die göttliche Komödie zum Gemeingut zu machen. Dem großen
Geschick der Italiener für solche Aufgaben ist manches Treffliche gelungen, und
sie erkennen gar herzlich die außerordentliche Hilfe an, die wir Deutsche ihnen
dabei geleistet. "Haltet Euch dazu" -- so ermahnt Balbo seine Landsleute --
"eine gute Volksausgabe zu schaffen; denn wenn wir es nicht thun, wird über
kurz oder lang einer dieser wunderlichen gewissenhaften Deutschen uns zuvor¬
kommen, die allmälig alle unsre Gelehvtenarbeit an sich reißen!" Eine schöne
Schmeichelei, und nicht unbillig< Denn wenn auch in der speciellen Aufgabe
eines populären Dantecommentars kein Deutscher so leicht den Italienern den
Rang ablaufen wird; das Material dazu hat vor allem deutscher Gelehrten¬
fleiß geliefert. Was ist bei uns in den 25 Jahren nicht geschehen, die seit
jener! Ermahnung Balbos verflossen sind. An Dante haben wir aufs neue
bewiesen, daß alles Beste uns national ist. Aber wir betrachten die, göttliche
Komödie noch zu sehr als Material vermittelnder Arbeit entweder der Wissen¬
schaft oder der bildenden Kunst; und für unsre Historienmalerei hat sie fast
Gleichstellung mit der Bibel erlangt. So schön es auch ist. dieses einzige
Werk aus zweiter Hand zu empfangen, wir sollten uns mehr entschließen, es
frischen Muthes aus erster zu nehmen, d. h. das Buch als poetisches Kunst¬
werk in seiner eigenen Gattung zu erfassen. Es ist richtig, für das Volk in
der Masse kann Dante nicht populär werden; auch das Ualienische Volk hat
von ihm nur die dunkle Ahnung einer fabelhaften Größe. Ihn verstehen und
ganz genießen zu lernen ist ein gutes Stück Lebensarbeit; aber es sind ver¬
schiedene Grade der Aneignung möglich. Die Gemeinde der Gebildeten im
guten Wortsinne sollte ihm weit näher kommen, als es bis heute der Fall ist.
Es fehlt uns nicht an tüchtigen Uebersetzungen, und wer sich der Mühe, einen
praktischen Kommentar zu Hilfe zu nehmen, mit einiger Hingebung unterzieht,
für den ist das Geheimniß des erhabenen Genusses sehr einfach; es heißt: lesen
und wiederlesen! --

"Wenn es geschieht, daß das heilige Gedicht, an welches Himmel und
Erde die Hand gelegt haben, und das mich bleich gemacht hat viele Jahre, die
Grausamkeit der Zeit überwindet, die mich selber ausschließt aus der schönen
Hürde, wo ich wie ein Lämmlein schlief, abhold den Wölfen, die sie verheeren:
mit andrer Stimme und in neuem Vließ werde ich dann zurückkehren und an
dem Ort meiner Taufe den Lorbeer empfangen."

Dieser Tag des Edlen, den Dante mit Stolz vorausschaute, ist heute
gekommen. Eben jetzt ist vor Santa Croce in Florenz die Hülle gefallen
vom Standbilde des verbannten Mannes, der nun nach so viel hundert
Jahren ehern heimkehrt. Und zugleich soll in allen größeren Städten Italiens
das Nämliche geschehn. Wie vor fünf Jahren bei uns in Deutschland die


Zu allen Zeiten ist mit größerer und geringerer Planmäßigkeit dahin ge¬
arbeitet worden, die göttliche Komödie zum Gemeingut zu machen. Dem großen
Geschick der Italiener für solche Aufgaben ist manches Treffliche gelungen, und
sie erkennen gar herzlich die außerordentliche Hilfe an, die wir Deutsche ihnen
dabei geleistet. „Haltet Euch dazu" — so ermahnt Balbo seine Landsleute —
„eine gute Volksausgabe zu schaffen; denn wenn wir es nicht thun, wird über
kurz oder lang einer dieser wunderlichen gewissenhaften Deutschen uns zuvor¬
kommen, die allmälig alle unsre Gelehvtenarbeit an sich reißen!" Eine schöne
Schmeichelei, und nicht unbillig< Denn wenn auch in der speciellen Aufgabe
eines populären Dantecommentars kein Deutscher so leicht den Italienern den
Rang ablaufen wird; das Material dazu hat vor allem deutscher Gelehrten¬
fleiß geliefert. Was ist bei uns in den 25 Jahren nicht geschehen, die seit
jener! Ermahnung Balbos verflossen sind. An Dante haben wir aufs neue
bewiesen, daß alles Beste uns national ist. Aber wir betrachten die, göttliche
Komödie noch zu sehr als Material vermittelnder Arbeit entweder der Wissen¬
schaft oder der bildenden Kunst; und für unsre Historienmalerei hat sie fast
Gleichstellung mit der Bibel erlangt. So schön es auch ist. dieses einzige
Werk aus zweiter Hand zu empfangen, wir sollten uns mehr entschließen, es
frischen Muthes aus erster zu nehmen, d. h. das Buch als poetisches Kunst¬
werk in seiner eigenen Gattung zu erfassen. Es ist richtig, für das Volk in
der Masse kann Dante nicht populär werden; auch das Ualienische Volk hat
von ihm nur die dunkle Ahnung einer fabelhaften Größe. Ihn verstehen und
ganz genießen zu lernen ist ein gutes Stück Lebensarbeit; aber es sind ver¬
schiedene Grade der Aneignung möglich. Die Gemeinde der Gebildeten im
guten Wortsinne sollte ihm weit näher kommen, als es bis heute der Fall ist.
Es fehlt uns nicht an tüchtigen Uebersetzungen, und wer sich der Mühe, einen
praktischen Kommentar zu Hilfe zu nehmen, mit einiger Hingebung unterzieht,
für den ist das Geheimniß des erhabenen Genusses sehr einfach; es heißt: lesen
und wiederlesen! —

„Wenn es geschieht, daß das heilige Gedicht, an welches Himmel und
Erde die Hand gelegt haben, und das mich bleich gemacht hat viele Jahre, die
Grausamkeit der Zeit überwindet, die mich selber ausschließt aus der schönen
Hürde, wo ich wie ein Lämmlein schlief, abhold den Wölfen, die sie verheeren:
mit andrer Stimme und in neuem Vließ werde ich dann zurückkehren und an
dem Ort meiner Taufe den Lorbeer empfangen."

Dieser Tag des Edlen, den Dante mit Stolz vorausschaute, ist heute
gekommen. Eben jetzt ist vor Santa Croce in Florenz die Hülle gefallen
vom Standbilde des verbannten Mannes, der nun nach so viel hundert
Jahren ehern heimkehrt. Und zugleich soll in allen größeren Städten Italiens
das Nämliche geschehn. Wie vor fünf Jahren bei uns in Deutschland die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/310>, abgerufen am 17.06.2024.