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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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zu hoffen oder denselben Weg einzuschlagen, wie dort; denn dies würde gleiche
sociale Grundlagen und wenigstens sehr ähnliche Situationen und Individuali¬
täten voraussetzen, "der gewisse Fingerzeige für das Urtheil und die Action in
der betreffenden Frage werden bei solchen Vergleichen immer sich ergeben.

Bon diesem Gesichtspunkte aus wollen wir versuchen, ein Bild des Ganges
zu entrollen, den vor mehr als anderthalb Jahrhunderten die Heeresfrage in
England nahm. Dasselbe wird uns, die wir eine ähnliche Frage nun schon
sechs Jahre lang die Regierung und Volksvertretung des preußischen Staates
beschäftigen sehen, deutlich zeigen, wie sehr wir noch in den Anfängen unserer
politischen Entwicklung stehen.

Es war unter der Regierung Königs Wilhelm, jenes Wilhelm, dem die
Geschichte eher wie manchem andern groß genannten Fürsten das Prädicat des
Großen geben könnte, in den Tagen Wilhelm des Befreiers, der im Gegensatz
zu Wilhelm dem Eroberer, dem Gründer des Feudalstaates, den Ruhm hat,
die Sache der bürgerlichen und religiösen Freiheit mit großem Sinn durch¬
gefochten und die konstitutionelle Monarchie in England fest begründet zu haben.
Neun Jahre waren es, seit der große Oranier herrschte, neun Jahre eines
ruhmvollen Regiments, in denen er als Krieger wie als Staatsmann glorreich
die Sache des Protestantismus jenem stolzen Ludwig dem Vierzehnten gegenüber
geführt und das gesunkene Ansehn Englands wieder zu derselben Höhe gebracht
hatte, die es je unter dem gewaltigen Cromwell eingenommen, da schien der
Friede von Ryswik allen Kämpfen für lange Zeit ein Ende zu machen.

Die Nachricht hiervon wurde in England freudig aufgenommen. Nachdem
der Krieg Jahre lang gewüthet, durfte man hoffen, sich nun völlig den Ge¬
schäften des Friedens hingeben zu können, der Lasten entledigt, die der große Kampf
dem Lande aufgenöthigt hatte. Hatte man doch ein Landheer von nahe an
90.000 Mann zu unterhalten und dabei fortwährend in erhöhtem Maße für die
Wehrhaftigkeit zur See zu sorgen gehabt. Man durfte erwarten, das Budget
wenigstens um die Kosten des Landheeres erleichtern zu können. Zwar fehlte
es nicht an solchen, die für die Sicherheit des Reiches eine Landmacht immer
noch für nöthig hielten, zwar mußte man voraussehen, daß König Wilhelm
als Feldherr wie als Staatsmann nur sehr ungern daran gehen werde, ein
Heer zu entlassen, welches er in harter Schule sich mühsam herangebildet hatte:
trotz alledem wurde der Wunsch nach Auflösung der Armee immer allgemeiner.
Erst seit wenig Jahren erfreute sich das Land der Preßfreiheit, durch deren Ge¬
währung König Wilhelm eine neue Aera seiner Regierung eingeweiht hatte.
Die Presse bemächtigte sich jetzt dieser Tagesfrage, um das Für und Wider in
derselben mit Leidenschaft zu besprechen. Sie discutirte die seitdem ziemlich
oft discutirte Frage: ob Berufsheer oder Volksheer, sie führte aus, daß seit
den Zeiten der Griechen und Römer das Volksheer stets die Kriege der Völker


zu hoffen oder denselben Weg einzuschlagen, wie dort; denn dies würde gleiche
sociale Grundlagen und wenigstens sehr ähnliche Situationen und Individuali¬
täten voraussetzen, «der gewisse Fingerzeige für das Urtheil und die Action in
der betreffenden Frage werden bei solchen Vergleichen immer sich ergeben.

Bon diesem Gesichtspunkte aus wollen wir versuchen, ein Bild des Ganges
zu entrollen, den vor mehr als anderthalb Jahrhunderten die Heeresfrage in
England nahm. Dasselbe wird uns, die wir eine ähnliche Frage nun schon
sechs Jahre lang die Regierung und Volksvertretung des preußischen Staates
beschäftigen sehen, deutlich zeigen, wie sehr wir noch in den Anfängen unserer
politischen Entwicklung stehen.

Es war unter der Regierung Königs Wilhelm, jenes Wilhelm, dem die
Geschichte eher wie manchem andern groß genannten Fürsten das Prädicat des
Großen geben könnte, in den Tagen Wilhelm des Befreiers, der im Gegensatz
zu Wilhelm dem Eroberer, dem Gründer des Feudalstaates, den Ruhm hat,
die Sache der bürgerlichen und religiösen Freiheit mit großem Sinn durch¬
gefochten und die konstitutionelle Monarchie in England fest begründet zu haben.
Neun Jahre waren es, seit der große Oranier herrschte, neun Jahre eines
ruhmvollen Regiments, in denen er als Krieger wie als Staatsmann glorreich
die Sache des Protestantismus jenem stolzen Ludwig dem Vierzehnten gegenüber
geführt und das gesunkene Ansehn Englands wieder zu derselben Höhe gebracht
hatte, die es je unter dem gewaltigen Cromwell eingenommen, da schien der
Friede von Ryswik allen Kämpfen für lange Zeit ein Ende zu machen.

Die Nachricht hiervon wurde in England freudig aufgenommen. Nachdem
der Krieg Jahre lang gewüthet, durfte man hoffen, sich nun völlig den Ge¬
schäften des Friedens hingeben zu können, der Lasten entledigt, die der große Kampf
dem Lande aufgenöthigt hatte. Hatte man doch ein Landheer von nahe an
90.000 Mann zu unterhalten und dabei fortwährend in erhöhtem Maße für die
Wehrhaftigkeit zur See zu sorgen gehabt. Man durfte erwarten, das Budget
wenigstens um die Kosten des Landheeres erleichtern zu können. Zwar fehlte
es nicht an solchen, die für die Sicherheit des Reiches eine Landmacht immer
noch für nöthig hielten, zwar mußte man voraussehen, daß König Wilhelm
als Feldherr wie als Staatsmann nur sehr ungern daran gehen werde, ein
Heer zu entlassen, welches er in harter Schule sich mühsam herangebildet hatte:
trotz alledem wurde der Wunsch nach Auflösung der Armee immer allgemeiner.
Erst seit wenig Jahren erfreute sich das Land der Preßfreiheit, durch deren Ge¬
währung König Wilhelm eine neue Aera seiner Regierung eingeweiht hatte.
Die Presse bemächtigte sich jetzt dieser Tagesfrage, um das Für und Wider in
derselben mit Leidenschaft zu besprechen. Sie discutirte die seitdem ziemlich
oft discutirte Frage: ob Berufsheer oder Volksheer, sie führte aus, daß seit
den Zeiten der Griechen und Römer das Volksheer stets die Kriege der Völker


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[0312] zu hoffen oder denselben Weg einzuschlagen, wie dort; denn dies würde gleiche sociale Grundlagen und wenigstens sehr ähnliche Situationen und Individuali¬ täten voraussetzen, «der gewisse Fingerzeige für das Urtheil und die Action in der betreffenden Frage werden bei solchen Vergleichen immer sich ergeben. Bon diesem Gesichtspunkte aus wollen wir versuchen, ein Bild des Ganges zu entrollen, den vor mehr als anderthalb Jahrhunderten die Heeresfrage in England nahm. Dasselbe wird uns, die wir eine ähnliche Frage nun schon sechs Jahre lang die Regierung und Volksvertretung des preußischen Staates beschäftigen sehen, deutlich zeigen, wie sehr wir noch in den Anfängen unserer politischen Entwicklung stehen. Es war unter der Regierung Königs Wilhelm, jenes Wilhelm, dem die Geschichte eher wie manchem andern groß genannten Fürsten das Prädicat des Großen geben könnte, in den Tagen Wilhelm des Befreiers, der im Gegensatz zu Wilhelm dem Eroberer, dem Gründer des Feudalstaates, den Ruhm hat, die Sache der bürgerlichen und religiösen Freiheit mit großem Sinn durch¬ gefochten und die konstitutionelle Monarchie in England fest begründet zu haben. Neun Jahre waren es, seit der große Oranier herrschte, neun Jahre eines ruhmvollen Regiments, in denen er als Krieger wie als Staatsmann glorreich die Sache des Protestantismus jenem stolzen Ludwig dem Vierzehnten gegenüber geführt und das gesunkene Ansehn Englands wieder zu derselben Höhe gebracht hatte, die es je unter dem gewaltigen Cromwell eingenommen, da schien der Friede von Ryswik allen Kämpfen für lange Zeit ein Ende zu machen. Die Nachricht hiervon wurde in England freudig aufgenommen. Nachdem der Krieg Jahre lang gewüthet, durfte man hoffen, sich nun völlig den Ge¬ schäften des Friedens hingeben zu können, der Lasten entledigt, die der große Kampf dem Lande aufgenöthigt hatte. Hatte man doch ein Landheer von nahe an 90.000 Mann zu unterhalten und dabei fortwährend in erhöhtem Maße für die Wehrhaftigkeit zur See zu sorgen gehabt. Man durfte erwarten, das Budget wenigstens um die Kosten des Landheeres erleichtern zu können. Zwar fehlte es nicht an solchen, die für die Sicherheit des Reiches eine Landmacht immer noch für nöthig hielten, zwar mußte man voraussehen, daß König Wilhelm als Feldherr wie als Staatsmann nur sehr ungern daran gehen werde, ein Heer zu entlassen, welches er in harter Schule sich mühsam herangebildet hatte: trotz alledem wurde der Wunsch nach Auflösung der Armee immer allgemeiner. Erst seit wenig Jahren erfreute sich das Land der Preßfreiheit, durch deren Ge¬ währung König Wilhelm eine neue Aera seiner Regierung eingeweiht hatte. Die Presse bemächtigte sich jetzt dieser Tagesfrage, um das Für und Wider in derselben mit Leidenschaft zu besprechen. Sie discutirte die seitdem ziemlich oft discutirte Frage: ob Berufsheer oder Volksheer, sie führte aus, daß seit den Zeiten der Griechen und Römer das Volksheer stets die Kriege der Völker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/312>, abgerufen am 17.06.2024.