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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Wahrscheinlich in Rom geboren, hat auch er in Athen studirt; nach der
Weltstadt zurückgekehrt, trat er zwar, wie er sagt, aus den entlegene." Winkeln
seiner Bücher und seiner Lehrmeister mitten unter die Menschen und auf das
lichtheUe Forum, aber im Wesentlichen führte er doch das Leben eines stillen
Stubengelehrten, und seine Interessen concentrirten sich auf die Fortsetzung
seiner Studien. Wie in Athen bei Herodes Atticus, so fand er in Rom Zu-
tritt bei Favorinus, einem der gelehrten Hofräthe Hadrians. und bei Fronto.
Zu Favorinus namentlich tritt er in das nächste Verhältniß: wohin dieser
ging, dahin folgte ihm Gellius, so ward er von dem Reiz seines Gespräches
gefesselt. Was aus Favorinus, was aus seiner anderen Meister Munde geht,
dem lauscht er bewundernd und nur selten wagt er bescheidene Einwendung. Bei
Besuchen und Mahlzeiten wie bei gemeinsamer Lectüre, auf Spaziergängen und
auf Reisen, in Buchläden und in Bibliotheken, überall, stehend, sitzend, liegend,
werden mehr oder minder gelehrte und dabei mehr oder minder, wenn auch
nicht gerade nichtige, doch kleinliche und geistlose Gespräche geführt. Ergänzt
wird der Ertrag dieses mündlichen Verkehrs von Gellius durch eine ziemlich
ausgebreitete Lectüre. Mit einem reichen Schatze von Erinnerungen. Auf.
Zeichnungen und Excerpten später nach Attika noch einmal übersiedelt, führt er
sie dort aus und stellt sie in langen Winternächten zu den uns fast vollständig
erhaltenen zwanzig Büchern "Attischer Nächte" zusammen. Zunächst seinen
Kindern zu Nutz und Frommen geschrieben, ist dies Werk für alle Zeiten eine
reiche Fundgrube des Wissens geworden. Er hat gelauscht und gelesen, gefragt
und Bücher aufgesucht, in der Schule wie auf seinem bescheidenen weiteren
Lebensgange unablässig studirt. So beschäftigt er sich denn zwar gemeiniglich
mit Literatur. Grammatik, Alterthümern. Historie, mit Geschichte der Philo¬
sophie oder anderweiten philosophischen, meist ethischen Problemen, die im
Sinne des damaligen, etwas verwaschenen Modestoicismus entschieden zu werden
Pflegen, aber auch auf Metrik und Prosodik. Stilistik und Rhetorik, Mathe-
Matik und Musik, auf Länder- und Völkerkunde, auf Naturgeschichte und Natur-
lehre. Anatomie und Physiologie, medicinische und richterliche Praxis wie auf
einzelne kirchliche und religiöse Materien richtet er sein Augenmerk bis herab
auf Fragen der gesellschaftlichen Etikette, z. B. aus das Gähnen bei einem
gelehrten Vortrage. Meist in rein zufälliger Aufeinanderfolge, nirgends nach
systematischer Anordnung, wird uns dies bunte Durcheinander vorgesetzt; es
gemahnt an das Hamburger Nationalgericht, die Aalsuppe, in der man eine
Unzahl an sich vortrefflicher Dinge mengt. "<;ni tiurlent ä'ötkroi as Sö voir
KeeouplW."

Bei weitem geringer als der Stoffwechsel ist der Formwechsel bedacht:
Die einzelnen Capitel bieten entweder eine nackte Observation oder eine Anzahl
dergleichen zu einer etwas einförmigen Schnur aufgereiht, oder der Verfasser


so
Wrenzbotm II. 186b.

Wahrscheinlich in Rom geboren, hat auch er in Athen studirt; nach der
Weltstadt zurückgekehrt, trat er zwar, wie er sagt, aus den entlegene.» Winkeln
seiner Bücher und seiner Lehrmeister mitten unter die Menschen und auf das
lichtheUe Forum, aber im Wesentlichen führte er doch das Leben eines stillen
Stubengelehrten, und seine Interessen concentrirten sich auf die Fortsetzung
seiner Studien. Wie in Athen bei Herodes Atticus, so fand er in Rom Zu-
tritt bei Favorinus, einem der gelehrten Hofräthe Hadrians. und bei Fronto.
Zu Favorinus namentlich tritt er in das nächste Verhältniß: wohin dieser
ging, dahin folgte ihm Gellius, so ward er von dem Reiz seines Gespräches
gefesselt. Was aus Favorinus, was aus seiner anderen Meister Munde geht,
dem lauscht er bewundernd und nur selten wagt er bescheidene Einwendung. Bei
Besuchen und Mahlzeiten wie bei gemeinsamer Lectüre, auf Spaziergängen und
auf Reisen, in Buchläden und in Bibliotheken, überall, stehend, sitzend, liegend,
werden mehr oder minder gelehrte und dabei mehr oder minder, wenn auch
nicht gerade nichtige, doch kleinliche und geistlose Gespräche geführt. Ergänzt
wird der Ertrag dieses mündlichen Verkehrs von Gellius durch eine ziemlich
ausgebreitete Lectüre. Mit einem reichen Schatze von Erinnerungen. Auf.
Zeichnungen und Excerpten später nach Attika noch einmal übersiedelt, führt er
sie dort aus und stellt sie in langen Winternächten zu den uns fast vollständig
erhaltenen zwanzig Büchern „Attischer Nächte" zusammen. Zunächst seinen
Kindern zu Nutz und Frommen geschrieben, ist dies Werk für alle Zeiten eine
reiche Fundgrube des Wissens geworden. Er hat gelauscht und gelesen, gefragt
und Bücher aufgesucht, in der Schule wie auf seinem bescheidenen weiteren
Lebensgange unablässig studirt. So beschäftigt er sich denn zwar gemeiniglich
mit Literatur. Grammatik, Alterthümern. Historie, mit Geschichte der Philo¬
sophie oder anderweiten philosophischen, meist ethischen Problemen, die im
Sinne des damaligen, etwas verwaschenen Modestoicismus entschieden zu werden
Pflegen, aber auch auf Metrik und Prosodik. Stilistik und Rhetorik, Mathe-
Matik und Musik, auf Länder- und Völkerkunde, auf Naturgeschichte und Natur-
lehre. Anatomie und Physiologie, medicinische und richterliche Praxis wie auf
einzelne kirchliche und religiöse Materien richtet er sein Augenmerk bis herab
auf Fragen der gesellschaftlichen Etikette, z. B. aus das Gähnen bei einem
gelehrten Vortrage. Meist in rein zufälliger Aufeinanderfolge, nirgends nach
systematischer Anordnung, wird uns dies bunte Durcheinander vorgesetzt; es
gemahnt an das Hamburger Nationalgericht, die Aalsuppe, in der man eine
Unzahl an sich vortrefflicher Dinge mengt. „<;ni tiurlent ä'ötkroi as Sö voir
KeeouplW."

Bei weitem geringer als der Stoffwechsel ist der Formwechsel bedacht:
Die einzelnen Capitel bieten entweder eine nackte Observation oder eine Anzahl
dergleichen zu einer etwas einförmigen Schnur aufgereiht, oder der Verfasser


so
Wrenzbotm II. 186b.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/325>, abgerufen am 17.06.2024.