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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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der schon aus dem ganzen Wege eine wahre Plage der Arrieros gewesen war.
Das Thier vermochte nicht wieder festen Fuß auf dem rollenden Grundgestein
Zu fassen. Meinem Begleiter, der mich unterstützte, rief ich in der Meinung
allein Stand halten zu können eiligst zu mich fahren zu lassen und dem Thiere
aufzuhelfen. Blitzschnell waren die Schnüre mit scharfem Messer durchschnitten,
die Last sank ab und unter, aber das Thier war noch im entscheidenden Augen¬
blicke gerettet. Ich selbst aber hatte meine Kraft überschätzt, ich verlor auf dem
Grundgerölle das Gleichgewicht und ward von der Fluth fortgerissen. Glück,
licherweise konnte ich schwimmen, so daß ich mich mit dem Kopfe über Wasser
hielt, bis ich gegen eine Palissade von Baumstämmen, Schlamm und Gestrüpp,
die sich in der Mitte des Stromes an einem Felsstück aufgethürmt hatte,
geschleudert wurde. Es gelang mir, mich auf diese Insel hinaufzuschwingen;
aber war auch das Wasser von hier bis zum nächsten Ufer nur schmal, so war
doch grade der Strudel hier am mächtigsten, so daß es dem kräftigsten Manne
eine Unmöglichkeit gewesen wäre, demselben zu widerstehen. Nicht lange in.
deß, so sah ich den "rothen Drachen" über mir auf einem Baume, dessen Stamm
flach über den Fluß hinübergebeugt war, wo er, kaum zehn Fuß über meinem
Kopfe, seine Aeste laubenförmig auseinanderbreitete. Der Drache hatte die
Lage mit einem einzigen Blicke überschaut; mit einigen kletternden Sprüngen
auf dieser schwebenden Brücke warf er mir das eine Ende eines ledernen
Lassos zu, dessen andres Ende er oben um einen Ast schlug, worauf er mich
in der Schlinge, die ich mir unter die Achselhöhlen um den Leib geworfen, so
weit in die Höhe wand, daß ich das Astwerk ergreifen, mich hinausschwingen
und wieder in Sicherheit bringen konnte. Triefend von Nässe und mit
Zerschlagenen und vor Entkräftung zitternden Gliedern betrat ich am jenseitigen
Ufer wieder festen Grund und Boden.

Ein Stück weiterhin erhielten wir bereits deutliche Anzeichen, daß auch der
Vortrab mit Mißgeschick zu kämpfen gehabt. An der Seite des Weges lagen,
wie einigen Blättern bedeckt, mehre nasse und zurückgebliebene Stückgüter.
Eine allgemeine Abspannung und Entmuthigung bemächtigte sich von nun an
Zusehends und wachsend der wankelmüthigen Gemüther. Die erste Begeisterung
war verrauscht, die ernsten Seiten der Wirklichkeit kehrten sich merklicher her.
aus; an diesem Uebergang von dem Enthusiasmus des ersten Angriffes zur
Durchführung einer That scheitert größtentheils der Charakter des Creolen.

Auch mir war übel zu Muthe. Zu andern Leiden gesellten sich jetzt noch
heftige Angriffe des klimatischen Fiebers. Geschüttelt von Frost, ermattet bis
Sum Umfinken, meinte ich, der Weg bis zum nächsten Ruhelager wolle kein Ende
nehmen. Auf Geist und Körper senkte sich eine zu Boden drückende Last; aber
unglaublich ist, was der Mensch leisten kann, wenn er ein bestimmtes Maß
Listen muß. Sobald das Fieber herbeischleicht, verwandelt sich die lachende


Erenzbotm II. 186S. 44

der schon aus dem ganzen Wege eine wahre Plage der Arrieros gewesen war.
Das Thier vermochte nicht wieder festen Fuß auf dem rollenden Grundgestein
Zu fassen. Meinem Begleiter, der mich unterstützte, rief ich in der Meinung
allein Stand halten zu können eiligst zu mich fahren zu lassen und dem Thiere
aufzuhelfen. Blitzschnell waren die Schnüre mit scharfem Messer durchschnitten,
die Last sank ab und unter, aber das Thier war noch im entscheidenden Augen¬
blicke gerettet. Ich selbst aber hatte meine Kraft überschätzt, ich verlor auf dem
Grundgerölle das Gleichgewicht und ward von der Fluth fortgerissen. Glück,
licherweise konnte ich schwimmen, so daß ich mich mit dem Kopfe über Wasser
hielt, bis ich gegen eine Palissade von Baumstämmen, Schlamm und Gestrüpp,
die sich in der Mitte des Stromes an einem Felsstück aufgethürmt hatte,
geschleudert wurde. Es gelang mir, mich auf diese Insel hinaufzuschwingen;
aber war auch das Wasser von hier bis zum nächsten Ufer nur schmal, so war
doch grade der Strudel hier am mächtigsten, so daß es dem kräftigsten Manne
eine Unmöglichkeit gewesen wäre, demselben zu widerstehen. Nicht lange in.
deß, so sah ich den „rothen Drachen" über mir auf einem Baume, dessen Stamm
flach über den Fluß hinübergebeugt war, wo er, kaum zehn Fuß über meinem
Kopfe, seine Aeste laubenförmig auseinanderbreitete. Der Drache hatte die
Lage mit einem einzigen Blicke überschaut; mit einigen kletternden Sprüngen
auf dieser schwebenden Brücke warf er mir das eine Ende eines ledernen
Lassos zu, dessen andres Ende er oben um einen Ast schlug, worauf er mich
in der Schlinge, die ich mir unter die Achselhöhlen um den Leib geworfen, so
weit in die Höhe wand, daß ich das Astwerk ergreifen, mich hinausschwingen
und wieder in Sicherheit bringen konnte. Triefend von Nässe und mit
Zerschlagenen und vor Entkräftung zitternden Gliedern betrat ich am jenseitigen
Ufer wieder festen Grund und Boden.

Ein Stück weiterhin erhielten wir bereits deutliche Anzeichen, daß auch der
Vortrab mit Mißgeschick zu kämpfen gehabt. An der Seite des Weges lagen,
wie einigen Blättern bedeckt, mehre nasse und zurückgebliebene Stückgüter.
Eine allgemeine Abspannung und Entmuthigung bemächtigte sich von nun an
Zusehends und wachsend der wankelmüthigen Gemüther. Die erste Begeisterung
war verrauscht, die ernsten Seiten der Wirklichkeit kehrten sich merklicher her.
aus; an diesem Uebergang von dem Enthusiasmus des ersten Angriffes zur
Durchführung einer That scheitert größtentheils der Charakter des Creolen.

Auch mir war übel zu Muthe. Zu andern Leiden gesellten sich jetzt noch
heftige Angriffe des klimatischen Fiebers. Geschüttelt von Frost, ermattet bis
Sum Umfinken, meinte ich, der Weg bis zum nächsten Ruhelager wolle kein Ende
nehmen. Auf Geist und Körper senkte sich eine zu Boden drückende Last; aber
unglaublich ist, was der Mensch leisten kann, wenn er ein bestimmtes Maß
Listen muß. Sobald das Fieber herbeischleicht, verwandelt sich die lachende


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[0367] der schon aus dem ganzen Wege eine wahre Plage der Arrieros gewesen war. Das Thier vermochte nicht wieder festen Fuß auf dem rollenden Grundgestein Zu fassen. Meinem Begleiter, der mich unterstützte, rief ich in der Meinung allein Stand halten zu können eiligst zu mich fahren zu lassen und dem Thiere aufzuhelfen. Blitzschnell waren die Schnüre mit scharfem Messer durchschnitten, die Last sank ab und unter, aber das Thier war noch im entscheidenden Augen¬ blicke gerettet. Ich selbst aber hatte meine Kraft überschätzt, ich verlor auf dem Grundgerölle das Gleichgewicht und ward von der Fluth fortgerissen. Glück, licherweise konnte ich schwimmen, so daß ich mich mit dem Kopfe über Wasser hielt, bis ich gegen eine Palissade von Baumstämmen, Schlamm und Gestrüpp, die sich in der Mitte des Stromes an einem Felsstück aufgethürmt hatte, geschleudert wurde. Es gelang mir, mich auf diese Insel hinaufzuschwingen; aber war auch das Wasser von hier bis zum nächsten Ufer nur schmal, so war doch grade der Strudel hier am mächtigsten, so daß es dem kräftigsten Manne eine Unmöglichkeit gewesen wäre, demselben zu widerstehen. Nicht lange in. deß, so sah ich den „rothen Drachen" über mir auf einem Baume, dessen Stamm flach über den Fluß hinübergebeugt war, wo er, kaum zehn Fuß über meinem Kopfe, seine Aeste laubenförmig auseinanderbreitete. Der Drache hatte die Lage mit einem einzigen Blicke überschaut; mit einigen kletternden Sprüngen auf dieser schwebenden Brücke warf er mir das eine Ende eines ledernen Lassos zu, dessen andres Ende er oben um einen Ast schlug, worauf er mich in der Schlinge, die ich mir unter die Achselhöhlen um den Leib geworfen, so weit in die Höhe wand, daß ich das Astwerk ergreifen, mich hinausschwingen und wieder in Sicherheit bringen konnte. Triefend von Nässe und mit Zerschlagenen und vor Entkräftung zitternden Gliedern betrat ich am jenseitigen Ufer wieder festen Grund und Boden. Ein Stück weiterhin erhielten wir bereits deutliche Anzeichen, daß auch der Vortrab mit Mißgeschick zu kämpfen gehabt. An der Seite des Weges lagen, wie einigen Blättern bedeckt, mehre nasse und zurückgebliebene Stückgüter. Eine allgemeine Abspannung und Entmuthigung bemächtigte sich von nun an Zusehends und wachsend der wankelmüthigen Gemüther. Die erste Begeisterung war verrauscht, die ernsten Seiten der Wirklichkeit kehrten sich merklicher her. aus; an diesem Uebergang von dem Enthusiasmus des ersten Angriffes zur Durchführung einer That scheitert größtentheils der Charakter des Creolen. Auch mir war übel zu Muthe. Zu andern Leiden gesellten sich jetzt noch heftige Angriffe des klimatischen Fiebers. Geschüttelt von Frost, ermattet bis Sum Umfinken, meinte ich, der Weg bis zum nächsten Ruhelager wolle kein Ende nehmen. Auf Geist und Körper senkte sich eine zu Boden drückende Last; aber unglaublich ist, was der Mensch leisten kann, wenn er ein bestimmtes Maß Listen muß. Sobald das Fieber herbeischleicht, verwandelt sich die lachende Erenzbotm II. 186S. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/367>, abgerufen am 10.06.2024.