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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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"Alle Einnahmen.und Ausgaben des Staaates müssen für
jedes Jahr im Voraus veranschlagt und aus den Staatsha ushalts-
etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz
festgestellt."

Artikel 100 ferner:

"Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, so
weit sie in den Staatshaushaltsetat aufgenommen oder durch
besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben werden."

Endlich Artikel 109:

Die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben
und alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen
Gesetze und Verordnungen, die der gegenwärtigen Verfassung
uicht zuwiderlaufen, bleiben in Kraft, bis sie durch ein Gesetz
abgeändert werden."

Hieraus folgt für den vorliegenden Fall: Jede neue Steuer kann nur in
Form und im Wege des Gesetzes durch Vereinbarung der drei gesetzgebenden
Factoren eingeführt werden (vrgl. Art 62 ebend.). Nach Vereinbarung und
Publication solches Gesetzes ist die Steuer begründet, besteht sie, und eben
das Gesetz ist der Rechtstitel für die Regierung, die Steuer im Lande zu er¬
beben. Hieran ändert der Umstand nichts, daß das Gesetz erst eine bestimmte
Zeit nach seiner Publication in Wirksamkeit treten soll. Dies hat solch ein
Steuergesetz mit einer ganzen Zahl anderer Gesetze gemein, und es zweifelt bei
letzteren kein Jurist, daß das Gesetz an sich mit dem Tage seiner gesetzmäßigen
Publication besteht und nicht mehr durch Rücktritt oder Aenderungen eines der
dabei unthätigen gesetzgebenden Factoren aufgehoben oder verändert werden
kann. Es besteht unveränderlich als ein Gesetz, welches von dem und dem
Tage ab wirksam sein soll. Ganz so besteht ein solches Steucrgesetz als Gesetz,
welches, einseitig unabänderlich, der Regierung von dem und dem Tage an
das Recht zur Erhebung der Steuer geben soll und giebt.

Unsere Verfassungsurkunde giebt den Volksvertretern nicht ein Steuerver¬
weigerungsrecht nach den Grundsätzen des wahren konstitutionellen Staatsrechts;
vielmehr besitzen die Volksvertreter nur das Recht, ganz neue Steuern und
Abgaben oder die Erhöhung der schon bestehenden zu verweigern. Schon
bestehende Steuern in der einmal gesetzlich festgestellten Höhe erhebt die Ne¬
uerung verfassungsmäßig fort, ohne daß es dabei aus das Budget ankommt.
Diese Folgerungen beruhen, wie erhellt, vornehmlich auf Art. 109, der in
seinem jetzigen ganz bestimmten Wortlaute dem Art. 100 geradezu widerspricht.
Die Ursache des Widerspruches zeigt sich in der Geschichte des Art. 109.

Der Art. 109 ist nämlich der alte §. 82 des Negicrungsentwurfs vom
20. Mai 1848. Hier sollte er in dem damaligen verfassungs- und budgetslosen


„Alle Einnahmen.und Ausgaben des Staaates müssen für
jedes Jahr im Voraus veranschlagt und aus den Staatsha ushalts-
etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz
festgestellt."

Artikel 100 ferner:

„Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, so
weit sie in den Staatshaushaltsetat aufgenommen oder durch
besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben werden."

Endlich Artikel 109:

Die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben
und alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen
Gesetze und Verordnungen, die der gegenwärtigen Verfassung
uicht zuwiderlaufen, bleiben in Kraft, bis sie durch ein Gesetz
abgeändert werden."

Hieraus folgt für den vorliegenden Fall: Jede neue Steuer kann nur in
Form und im Wege des Gesetzes durch Vereinbarung der drei gesetzgebenden
Factoren eingeführt werden (vrgl. Art 62 ebend.). Nach Vereinbarung und
Publication solches Gesetzes ist die Steuer begründet, besteht sie, und eben
das Gesetz ist der Rechtstitel für die Regierung, die Steuer im Lande zu er¬
beben. Hieran ändert der Umstand nichts, daß das Gesetz erst eine bestimmte
Zeit nach seiner Publication in Wirksamkeit treten soll. Dies hat solch ein
Steuergesetz mit einer ganzen Zahl anderer Gesetze gemein, und es zweifelt bei
letzteren kein Jurist, daß das Gesetz an sich mit dem Tage seiner gesetzmäßigen
Publication besteht und nicht mehr durch Rücktritt oder Aenderungen eines der
dabei unthätigen gesetzgebenden Factoren aufgehoben oder verändert werden
kann. Es besteht unveränderlich als ein Gesetz, welches von dem und dem
Tage ab wirksam sein soll. Ganz so besteht ein solches Steucrgesetz als Gesetz,
welches, einseitig unabänderlich, der Regierung von dem und dem Tage an
das Recht zur Erhebung der Steuer geben soll und giebt.

Unsere Verfassungsurkunde giebt den Volksvertretern nicht ein Steuerver¬
weigerungsrecht nach den Grundsätzen des wahren konstitutionellen Staatsrechts;
vielmehr besitzen die Volksvertreter nur das Recht, ganz neue Steuern und
Abgaben oder die Erhöhung der schon bestehenden zu verweigern. Schon
bestehende Steuern in der einmal gesetzlich festgestellten Höhe erhebt die Ne¬
uerung verfassungsmäßig fort, ohne daß es dabei aus das Budget ankommt.
Diese Folgerungen beruhen, wie erhellt, vornehmlich auf Art. 109, der in
seinem jetzigen ganz bestimmten Wortlaute dem Art. 100 geradezu widerspricht.
Die Ursache des Widerspruches zeigt sich in der Geschichte des Art. 109.

Der Art. 109 ist nämlich der alte §. 82 des Negicrungsentwurfs vom
20. Mai 1848. Hier sollte er in dem damaligen verfassungs- und budgetslosen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/399>, abgerufen am 17.06.2024.