Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

muthung unsres Begleiters, die Admonition hochlöblichen Stadtraths zu ehr¬
furchtsvoller Bescheidenheit sei wohl eigentlich auf sie gemünzt, nicht unstatthaft
erschien. In den Häusern äußerste Geschäftigkeit aller Welt, vom Seifensieder
an, der für die angesägte Illumination Lichte und Talgnäpfcben bereitete, bis
hinauf zu dem dichtenden Hofrath, der den "Anzeiger" mit seinen Gaben fest¬
lich zu schmücken gedachte. Abends Feuerwerk aus dem linkeschen Bade.

Heute bereits am frühen Morgen verdoppeltes Gewimmel auf den Straßen
und Plätzen. Buntes Landvolk, die Männer in zeisiggrünen Peckeschen oder
himmelblauen Gottestischröcken, die Frauen in Barthauben und Pelzmützen,
Studiosen von gestern, Nationalgarde-Offiziere mit gewaltigen Dreimastern,
stolzen Federbüschen und dicken rothwollnen Epauletten, Herren in Hoftracht,
Marschälle mit Stäben und Schärpen, gelegentlich ein gelber Buttervogel von
einem Haiducken oder Chaisenträger, dann weiß und grün gekleidete Mädchen,
Fahnenträger von Innungen eilen an uns vorüber nach dem altstädter Rathhaus,
wo sich der Festzug sammelt, der die von Peterswalde kommende Majestät ein¬
holen soll.

Gegen drei Uhr ist alles zum Abmarsch bereit, und der Zug setzt sich in
Bewegung nach dem pirnaischen Schlage. Voraus ein Detachement von dreißig
Mann Nationalgarde als Begleitung eines Musikchors mit Trompeten und
Pauken. Dann eine lange Procession von über fünfhundert Mädchen aus allen
Ständen, die sämmtlich weiß gekleidet sind, rautengrüne Leibbinden, in der
Hand Nautenzweige und am Arme Blumenkörbchen -- wie es scheint, mit noch
etwas Raute -- tragen, und vor deren erster Abtheilung zwei Knaben, der
zur Rechten mit einer weißen Fahne -- "das Zeichen der Unschuld", erläutert
uns Hasche -- der zur Linken mit einer hellrothen, "dem Symbol der Freude",
einherschreiten. Die zweite Abtheilung der Mädchen führen drei Marschälle in
schwarzer Hoftracht mit weißen Schärpen, goldnen Galanteriedegen und schwarzen'
Stäben, an denen oben mit weißen und rothen Bändern Kränze befestigt sind
-- natürlich Rautenkränze; denn wir feiern ein legitimistisches Fest, und was
für den Franzosen die Lilie, das ist für den Sachsen die Raute. Unmittelbar
hinter den Mcirschällen wandeln drei Jungfrauen mit Gedichten in Sammt
und Goldschnitt, die der Rath und die Bürgerschaft -- Stadtverordnete giebts
noch nicht -- zur Begrüßung des Königs haben anfertigen lassen. Dann die
übrigen Nautenzweigträgerinnen, und hierauf wieder drei Herren in schwarzer
Kleidung, von denen der mittelste eine große weißseidne Fahne mit rautent
grünem Rande und der Inschrift: "Den 7. Juni 1815" trägt, und welchen
zunächst die Magistratspersonen, dann die Geistlichen lutherischer und katholischer
Confession, dann die Stadt- und Gerichtsbeamten folgen. An letztere schließen
sich, in einer durch das Loos bestimmten Reihenfolge, die Zünfte an, die durch
etwa sechshundert Mitglieder vertreten sind. Sodann die Abgeordneten der


muthung unsres Begleiters, die Admonition hochlöblichen Stadtraths zu ehr¬
furchtsvoller Bescheidenheit sei wohl eigentlich auf sie gemünzt, nicht unstatthaft
erschien. In den Häusern äußerste Geschäftigkeit aller Welt, vom Seifensieder
an, der für die angesägte Illumination Lichte und Talgnäpfcben bereitete, bis
hinauf zu dem dichtenden Hofrath, der den „Anzeiger" mit seinen Gaben fest¬
lich zu schmücken gedachte. Abends Feuerwerk aus dem linkeschen Bade.

Heute bereits am frühen Morgen verdoppeltes Gewimmel auf den Straßen
und Plätzen. Buntes Landvolk, die Männer in zeisiggrünen Peckeschen oder
himmelblauen Gottestischröcken, die Frauen in Barthauben und Pelzmützen,
Studiosen von gestern, Nationalgarde-Offiziere mit gewaltigen Dreimastern,
stolzen Federbüschen und dicken rothwollnen Epauletten, Herren in Hoftracht,
Marschälle mit Stäben und Schärpen, gelegentlich ein gelber Buttervogel von
einem Haiducken oder Chaisenträger, dann weiß und grün gekleidete Mädchen,
Fahnenträger von Innungen eilen an uns vorüber nach dem altstädter Rathhaus,
wo sich der Festzug sammelt, der die von Peterswalde kommende Majestät ein¬
holen soll.

Gegen drei Uhr ist alles zum Abmarsch bereit, und der Zug setzt sich in
Bewegung nach dem pirnaischen Schlage. Voraus ein Detachement von dreißig
Mann Nationalgarde als Begleitung eines Musikchors mit Trompeten und
Pauken. Dann eine lange Procession von über fünfhundert Mädchen aus allen
Ständen, die sämmtlich weiß gekleidet sind, rautengrüne Leibbinden, in der
Hand Nautenzweige und am Arme Blumenkörbchen — wie es scheint, mit noch
etwas Raute — tragen, und vor deren erster Abtheilung zwei Knaben, der
zur Rechten mit einer weißen Fahne — „das Zeichen der Unschuld", erläutert
uns Hasche — der zur Linken mit einer hellrothen, „dem Symbol der Freude",
einherschreiten. Die zweite Abtheilung der Mädchen führen drei Marschälle in
schwarzer Hoftracht mit weißen Schärpen, goldnen Galanteriedegen und schwarzen'
Stäben, an denen oben mit weißen und rothen Bändern Kränze befestigt sind
— natürlich Rautenkränze; denn wir feiern ein legitimistisches Fest, und was
für den Franzosen die Lilie, das ist für den Sachsen die Raute. Unmittelbar
hinter den Mcirschällen wandeln drei Jungfrauen mit Gedichten in Sammt
und Goldschnitt, die der Rath und die Bürgerschaft — Stadtverordnete giebts
noch nicht — zur Begrüßung des Königs haben anfertigen lassen. Dann die
übrigen Nautenzweigträgerinnen, und hierauf wieder drei Herren in schwarzer
Kleidung, von denen der mittelste eine große weißseidne Fahne mit rautent
grünem Rande und der Inschrift: „Den 7. Juni 1815" trägt, und welchen
zunächst die Magistratspersonen, dann die Geistlichen lutherischer und katholischer
Confession, dann die Stadt- und Gerichtsbeamten folgen. An letztere schließen
sich, in einer durch das Loos bestimmten Reihenfolge, die Zünfte an, die durch
etwa sechshundert Mitglieder vertreten sind. Sodann die Abgeordneten der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283225"/>
          <p xml:id="ID_1368" prev="#ID_1367"> muthung unsres Begleiters, die Admonition hochlöblichen Stadtraths zu ehr¬<lb/>
furchtsvoller Bescheidenheit sei wohl eigentlich auf sie gemünzt, nicht unstatthaft<lb/>
erschien. In den Häusern äußerste Geschäftigkeit aller Welt, vom Seifensieder<lb/>
an, der für die angesägte Illumination Lichte und Talgnäpfcben bereitete, bis<lb/>
hinauf zu dem dichtenden Hofrath, der den &#x201E;Anzeiger" mit seinen Gaben fest¬<lb/>
lich zu schmücken gedachte.  Abends Feuerwerk aus dem linkeschen Bade.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1369"> Heute bereits am frühen Morgen verdoppeltes Gewimmel auf den Straßen<lb/>
und Plätzen. Buntes Landvolk, die Männer in zeisiggrünen Peckeschen oder<lb/>
himmelblauen Gottestischröcken, die Frauen in Barthauben und Pelzmützen,<lb/>
Studiosen von gestern, Nationalgarde-Offiziere mit gewaltigen Dreimastern,<lb/>
stolzen Federbüschen und dicken rothwollnen Epauletten, Herren in Hoftracht,<lb/>
Marschälle mit Stäben und Schärpen, gelegentlich ein gelber Buttervogel von<lb/>
einem Haiducken oder Chaisenträger, dann weiß und grün gekleidete Mädchen,<lb/>
Fahnenträger von Innungen eilen an uns vorüber nach dem altstädter Rathhaus,<lb/>
wo sich der Festzug sammelt, der die von Peterswalde kommende Majestät ein¬<lb/>
holen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1370" next="#ID_1371"> Gegen drei Uhr ist alles zum Abmarsch bereit, und der Zug setzt sich in<lb/>
Bewegung nach dem pirnaischen Schlage. Voraus ein Detachement von dreißig<lb/>
Mann Nationalgarde als Begleitung eines Musikchors mit Trompeten und<lb/>
Pauken. Dann eine lange Procession von über fünfhundert Mädchen aus allen<lb/>
Ständen, die sämmtlich weiß gekleidet sind, rautengrüne Leibbinden, in der<lb/>
Hand Nautenzweige und am Arme Blumenkörbchen &#x2014; wie es scheint, mit noch<lb/>
etwas Raute &#x2014; tragen, und vor deren erster Abtheilung zwei Knaben, der<lb/>
zur Rechten mit einer weißen Fahne &#x2014; &#x201E;das Zeichen der Unschuld", erläutert<lb/>
uns Hasche &#x2014; der zur Linken mit einer hellrothen, &#x201E;dem Symbol der Freude",<lb/>
einherschreiten. Die zweite Abtheilung der Mädchen führen drei Marschälle in<lb/>
schwarzer Hoftracht mit weißen Schärpen, goldnen Galanteriedegen und schwarzen'<lb/>
Stäben, an denen oben mit weißen und rothen Bändern Kränze befestigt sind<lb/>
&#x2014; natürlich Rautenkränze; denn wir feiern ein legitimistisches Fest, und was<lb/>
für den Franzosen die Lilie, das ist für den Sachsen die Raute. Unmittelbar<lb/>
hinter den Mcirschällen wandeln drei Jungfrauen mit Gedichten in Sammt<lb/>
und Goldschnitt, die der Rath und die Bürgerschaft &#x2014; Stadtverordnete giebts<lb/>
noch nicht &#x2014; zur Begrüßung des Königs haben anfertigen lassen. Dann die<lb/>
übrigen Nautenzweigträgerinnen, und hierauf wieder drei Herren in schwarzer<lb/>
Kleidung, von denen der mittelste eine große weißseidne Fahne mit rautent<lb/>
grünem Rande und der Inschrift: &#x201E;Den 7. Juni 1815" trägt, und welchen<lb/>
zunächst die Magistratspersonen, dann die Geistlichen lutherischer und katholischer<lb/>
Confession, dann die Stadt- und Gerichtsbeamten folgen. An letztere schließen<lb/>
sich, in einer durch das Loos bestimmten Reihenfolge, die Zünfte an, die durch<lb/>
etwa sechshundert Mitglieder vertreten sind.  Sodann die Abgeordneten der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] muthung unsres Begleiters, die Admonition hochlöblichen Stadtraths zu ehr¬ furchtsvoller Bescheidenheit sei wohl eigentlich auf sie gemünzt, nicht unstatthaft erschien. In den Häusern äußerste Geschäftigkeit aller Welt, vom Seifensieder an, der für die angesägte Illumination Lichte und Talgnäpfcben bereitete, bis hinauf zu dem dichtenden Hofrath, der den „Anzeiger" mit seinen Gaben fest¬ lich zu schmücken gedachte. Abends Feuerwerk aus dem linkeschen Bade. Heute bereits am frühen Morgen verdoppeltes Gewimmel auf den Straßen und Plätzen. Buntes Landvolk, die Männer in zeisiggrünen Peckeschen oder himmelblauen Gottestischröcken, die Frauen in Barthauben und Pelzmützen, Studiosen von gestern, Nationalgarde-Offiziere mit gewaltigen Dreimastern, stolzen Federbüschen und dicken rothwollnen Epauletten, Herren in Hoftracht, Marschälle mit Stäben und Schärpen, gelegentlich ein gelber Buttervogel von einem Haiducken oder Chaisenträger, dann weiß und grün gekleidete Mädchen, Fahnenträger von Innungen eilen an uns vorüber nach dem altstädter Rathhaus, wo sich der Festzug sammelt, der die von Peterswalde kommende Majestät ein¬ holen soll. Gegen drei Uhr ist alles zum Abmarsch bereit, und der Zug setzt sich in Bewegung nach dem pirnaischen Schlage. Voraus ein Detachement von dreißig Mann Nationalgarde als Begleitung eines Musikchors mit Trompeten und Pauken. Dann eine lange Procession von über fünfhundert Mädchen aus allen Ständen, die sämmtlich weiß gekleidet sind, rautengrüne Leibbinden, in der Hand Nautenzweige und am Arme Blumenkörbchen — wie es scheint, mit noch etwas Raute — tragen, und vor deren erster Abtheilung zwei Knaben, der zur Rechten mit einer weißen Fahne — „das Zeichen der Unschuld", erläutert uns Hasche — der zur Linken mit einer hellrothen, „dem Symbol der Freude", einherschreiten. Die zweite Abtheilung der Mädchen führen drei Marschälle in schwarzer Hoftracht mit weißen Schärpen, goldnen Galanteriedegen und schwarzen' Stäben, an denen oben mit weißen und rothen Bändern Kränze befestigt sind — natürlich Rautenkränze; denn wir feiern ein legitimistisches Fest, und was für den Franzosen die Lilie, das ist für den Sachsen die Raute. Unmittelbar hinter den Mcirschällen wandeln drei Jungfrauen mit Gedichten in Sammt und Goldschnitt, die der Rath und die Bürgerschaft — Stadtverordnete giebts noch nicht — zur Begrüßung des Königs haben anfertigen lassen. Dann die übrigen Nautenzweigträgerinnen, und hierauf wieder drei Herren in schwarzer Kleidung, von denen der mittelste eine große weißseidne Fahne mit rautent grünem Rande und der Inschrift: „Den 7. Juni 1815" trägt, und welchen zunächst die Magistratspersonen, dann die Geistlichen lutherischer und katholischer Confession, dann die Stadt- und Gerichtsbeamten folgen. An letztere schließen sich, in einer durch das Loos bestimmten Reihenfolge, die Zünfte an, die durch etwa sechshundert Mitglieder vertreten sind. Sodann die Abgeordneten der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/428>, abgerufen am 17.06.2024.