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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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als der des Judithbuchs. Dieser überarbeiteteText ist uns nurzum Theil in griechischer
Sprache erhalten, zum Teil wird er durch einen lateinischen und einen syrischen Text
repräsentirt. Nachjenem lateinischen verfaßte ein Jude (der sog.HgbraeusMuster!)
mit vielem Geschick eine freie hebräische Bearbeitung in einem Stil, der fast so gut
biblisch ist, wie der der oben erwähnten hebräischen Judith. Aus demselben Grunde
wie diese kann sie schwerlich vor dem 10. Jahrhundert verfaßt sein. Viel später
herunterzugehen verbietet uns wohl die Benutzung der alten lateinischen Ueber-
setzung, die nach und nach ganz durch die des Hieronymus verdrängt ward.
Mit dieser Bearbeitung scheint eine andere, noch ungedruckte, fast ganz identisch
zu sein; wenigstens stimmt der einzige aus ihr veröffentlichte Vers bis auf eine
Aenderung mit jener wörtlich überein. Nach dem ursprünglichen Text ist eine
zweite syrische Uebersetzung und eine andere freie hebräische Bearbeitung
(LöblÄkus I'aAii) gemacht. Letztere ist in viel unreinerer Sprache abgefaßt als
die oben erwähnte; die geographische Unwissenheit des Bearbeiters ist boden¬
los. Eine nähere Bestimmung des Alters wage ich nicht zu geben.

Wie bei der Judith behauptet Hieronymus auch beim Tobie. aus einem
chaldäischen Text übersetzt zu haben. Ob ihm wirklich ein solcher Text vorlag,
wollen wir dahingestellt sein lassen; jedenfalls war sein Verfahren hier wehend-
!>es dasselbe, wie bei der Judith. Er arbeitete frei nach dem alten lateinischen
Text, verkürzte viel, machte mancherlei Zusätze und sonstige Aenderungen. Daß
ein so geistreicher Mann wie Hieronymus nicht ganz ungeschickt verfuhr, ist
vorauszusetzen; doch sind längst nicht alle seine Veränderungen als Verbesserungen
anzusehen, namentlich wären die erbaulichen Zusätze besser weggeblieben.
Hieronymus veränderte überall die erste Person in die dritte. Mit Recht ve-
zerch,net O. F. Fnßsche, dessen auf gründlicher Forschung beruhende Ansichten
über die Texte der Apokryphen sich uns beim nachprüfen durchgängig bestätigt
haben, diese Arbeit als leichte Waare. Erklärlich wird des Hieronymus
Verfahren durch die geringe Meinung, welche er von den Apokryphen hatte.
Leider hat Luther auch das Buch Tobie nicht nach dem Original, sondern nach
dem Text des Hieronymus übersetzt.




Erenjboten II. I86ö.69

als der des Judithbuchs. Dieser überarbeiteteText ist uns nurzum Theil in griechischer
Sprache erhalten, zum Teil wird er durch einen lateinischen und einen syrischen Text
repräsentirt. Nachjenem lateinischen verfaßte ein Jude (der sog.HgbraeusMuster!)
mit vielem Geschick eine freie hebräische Bearbeitung in einem Stil, der fast so gut
biblisch ist, wie der der oben erwähnten hebräischen Judith. Aus demselben Grunde
wie diese kann sie schwerlich vor dem 10. Jahrhundert verfaßt sein. Viel später
herunterzugehen verbietet uns wohl die Benutzung der alten lateinischen Ueber-
setzung, die nach und nach ganz durch die des Hieronymus verdrängt ward.
Mit dieser Bearbeitung scheint eine andere, noch ungedruckte, fast ganz identisch
zu sein; wenigstens stimmt der einzige aus ihr veröffentlichte Vers bis auf eine
Aenderung mit jener wörtlich überein. Nach dem ursprünglichen Text ist eine
zweite syrische Uebersetzung und eine andere freie hebräische Bearbeitung
(LöblÄkus I'aAii) gemacht. Letztere ist in viel unreinerer Sprache abgefaßt als
die oben erwähnte; die geographische Unwissenheit des Bearbeiters ist boden¬
los. Eine nähere Bestimmung des Alters wage ich nicht zu geben.

Wie bei der Judith behauptet Hieronymus auch beim Tobie. aus einem
chaldäischen Text übersetzt zu haben. Ob ihm wirklich ein solcher Text vorlag,
wollen wir dahingestellt sein lassen; jedenfalls war sein Verfahren hier wehend-
!>es dasselbe, wie bei der Judith. Er arbeitete frei nach dem alten lateinischen
Text, verkürzte viel, machte mancherlei Zusätze und sonstige Aenderungen. Daß
ein so geistreicher Mann wie Hieronymus nicht ganz ungeschickt verfuhr, ist
vorauszusetzen; doch sind längst nicht alle seine Veränderungen als Verbesserungen
anzusehen, namentlich wären die erbaulichen Zusätze besser weggeblieben.
Hieronymus veränderte überall die erste Person in die dritte. Mit Recht ve-
zerch,net O. F. Fnßsche, dessen auf gründlicher Forschung beruhende Ansichten
über die Texte der Apokryphen sich uns beim nachprüfen durchgängig bestätigt
haben, diese Arbeit als leichte Waare. Erklärlich wird des Hieronymus
Verfahren durch die geringe Meinung, welche er von den Apokryphen hatte.
Leider hat Luther auch das Buch Tobie nicht nach dem Original, sondern nach
dem Text des Hieronymus übersetzt.




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[0493] als der des Judithbuchs. Dieser überarbeiteteText ist uns nurzum Theil in griechischer Sprache erhalten, zum Teil wird er durch einen lateinischen und einen syrischen Text repräsentirt. Nachjenem lateinischen verfaßte ein Jude (der sog.HgbraeusMuster!) mit vielem Geschick eine freie hebräische Bearbeitung in einem Stil, der fast so gut biblisch ist, wie der der oben erwähnten hebräischen Judith. Aus demselben Grunde wie diese kann sie schwerlich vor dem 10. Jahrhundert verfaßt sein. Viel später herunterzugehen verbietet uns wohl die Benutzung der alten lateinischen Ueber- setzung, die nach und nach ganz durch die des Hieronymus verdrängt ward. Mit dieser Bearbeitung scheint eine andere, noch ungedruckte, fast ganz identisch zu sein; wenigstens stimmt der einzige aus ihr veröffentlichte Vers bis auf eine Aenderung mit jener wörtlich überein. Nach dem ursprünglichen Text ist eine zweite syrische Uebersetzung und eine andere freie hebräische Bearbeitung (LöblÄkus I'aAii) gemacht. Letztere ist in viel unreinerer Sprache abgefaßt als die oben erwähnte; die geographische Unwissenheit des Bearbeiters ist boden¬ los. Eine nähere Bestimmung des Alters wage ich nicht zu geben. Wie bei der Judith behauptet Hieronymus auch beim Tobie. aus einem chaldäischen Text übersetzt zu haben. Ob ihm wirklich ein solcher Text vorlag, wollen wir dahingestellt sein lassen; jedenfalls war sein Verfahren hier wehend- !>es dasselbe, wie bei der Judith. Er arbeitete frei nach dem alten lateinischen Text, verkürzte viel, machte mancherlei Zusätze und sonstige Aenderungen. Daß ein so geistreicher Mann wie Hieronymus nicht ganz ungeschickt verfuhr, ist vorauszusetzen; doch sind längst nicht alle seine Veränderungen als Verbesserungen anzusehen, namentlich wären die erbaulichen Zusätze besser weggeblieben. Hieronymus veränderte überall die erste Person in die dritte. Mit Recht ve- zerch,net O. F. Fnßsche, dessen auf gründlicher Forschung beruhende Ansichten über die Texte der Apokryphen sich uns beim nachprüfen durchgängig bestätigt haben, diese Arbeit als leichte Waare. Erklärlich wird des Hieronymus Verfahren durch die geringe Meinung, welche er von den Apokryphen hatte. Leider hat Luther auch das Buch Tobie nicht nach dem Original, sondern nach dem Text des Hieronymus übersetzt. Erenjboten II. I86ö.69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/493>, abgerufen am 17.06.2024.