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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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waltungsorganismus. Erfüllte derselbe seine Functionen in befriedigender Weise,
so lag durchaus keine Ursache vor, eine Veränderung der Grundlagen des
Staates selbst, d. h. der Verfassung zu wünschen, stockte die Maschine, so waren
etwaige reformatorische Bestrebungen ausschließlich darauf gerichtet, erschlaffte
Organe wieder zu beleben, abgestorbene durch neue zu ersetzen, keineswegs aber
darauf, die Lebenskraft des Staates durch Veränderung des Verhältnisses zwi¬
schen Fürst und Volk zu erhöhen. Und selbst wo man von der Nothwendigkeit
einer derartigen Veränderung überzeugt war, ging man dennoch bei allen Re-
formen von der Umgestaltung der Verwaltung aus, in dem richtigen Gedanken,
daß die einzig feste Grundlage einer freien Verfassung eine selbständige Ver¬
waltung der untern Kreise des Staates sei.

Die nach einem glänzenden und vielversprechenden Anfange bald ins
Stocken gerathene Reform der Verwaltung drängte allmälig das Interesse für
diese Seite des Staatslebens in den Hintergrund und ließ den Gedanken auf-
keimen, daß nur eine völlige Umgestaltung der Verfassung im Stande sein
werde, den erschlafften Staatskörper zu kräftigen und den tief gesunkenen Ge-
Meingeist neu zu beleben. Der Umschwung trat schneller und plötzlicher ein,
als man gefürchtet und gehofft hatte. Preußen trat in die Reihe der Ver¬
fassungsstaaten, ehe die Verwaltung im Sinne des Selfgovernment umgestaltet
war. Kaum war aber das Verfassungsgebäude in seinen allgemeinen Umrissen
hergestellt, so machte sich auch das fast abgestorbene Interesse für die praktischen
Aufgaben der Verwaltung in den weitesten Kreisen geltend; denn der Wider¬
spruch zwischen den Principien des Verfassungsstaates und den aus dem absolut-
Monarchischen Staate herübergenommenen Verwaltungsgrundsätzen trat zu augen¬
scheinlich hervor, die Gefahr, mit der den Staat dieser in den Dingen liegende,
neben allen übrigen Parteigegensätzen fortlaufende, innere Conflict bedrohte,
War zu dringend, als daß irgendjemand die Nothwendigkeit einer Wiederher¬
stellung der gestörten Harmonie in Abrede hätte stellen können.

Ueber die Mittel freilich, das gestörte Gleichgewicht zwischen Verfassung
und Verwaltung wieder herzustellen, gingen die Ansichten weit auseinander.
Nach der einen Ansicht bildete das alte Verwaltungssystem die unantastbare
Grundlage des Staates; jedes Hinderniß, welches der freien Bewegung der
Verwaltung von der Verfassung entgegengestellt wird, ist ein Uebel, welches
beseitigt werden muß; wo ein Conflict zwischen Verwaltungsrecht und Ver¬
fassungsrecht entsteht, ist die Präsumption für das ältere, das "monarchische"
Verwaltungsrecht vorhanden: eine Ansicht, die consequenterweise dahin führt,
die Verfassung nicht aus den in ihr niedergelegten, sondern aus den Principien
eines durch die Verfassung theils aufgehobenen, theils wesentlich umgestalteten
Staatsrechts zu interpretiren. -- Dieser Ansicht diametral gegenüber steht die
andere, nach welcher die Grundsätze der Verfassung zugleich die Grundlagen


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waltungsorganismus. Erfüllte derselbe seine Functionen in befriedigender Weise,
so lag durchaus keine Ursache vor, eine Veränderung der Grundlagen des
Staates selbst, d. h. der Verfassung zu wünschen, stockte die Maschine, so waren
etwaige reformatorische Bestrebungen ausschließlich darauf gerichtet, erschlaffte
Organe wieder zu beleben, abgestorbene durch neue zu ersetzen, keineswegs aber
darauf, die Lebenskraft des Staates durch Veränderung des Verhältnisses zwi¬
schen Fürst und Volk zu erhöhen. Und selbst wo man von der Nothwendigkeit
einer derartigen Veränderung überzeugt war, ging man dennoch bei allen Re-
formen von der Umgestaltung der Verwaltung aus, in dem richtigen Gedanken,
daß die einzig feste Grundlage einer freien Verfassung eine selbständige Ver¬
waltung der untern Kreise des Staates sei.

Die nach einem glänzenden und vielversprechenden Anfange bald ins
Stocken gerathene Reform der Verwaltung drängte allmälig das Interesse für
diese Seite des Staatslebens in den Hintergrund und ließ den Gedanken auf-
keimen, daß nur eine völlige Umgestaltung der Verfassung im Stande sein
werde, den erschlafften Staatskörper zu kräftigen und den tief gesunkenen Ge-
Meingeist neu zu beleben. Der Umschwung trat schneller und plötzlicher ein,
als man gefürchtet und gehofft hatte. Preußen trat in die Reihe der Ver¬
fassungsstaaten, ehe die Verwaltung im Sinne des Selfgovernment umgestaltet
war. Kaum war aber das Verfassungsgebäude in seinen allgemeinen Umrissen
hergestellt, so machte sich auch das fast abgestorbene Interesse für die praktischen
Aufgaben der Verwaltung in den weitesten Kreisen geltend; denn der Wider¬
spruch zwischen den Principien des Verfassungsstaates und den aus dem absolut-
Monarchischen Staate herübergenommenen Verwaltungsgrundsätzen trat zu augen¬
scheinlich hervor, die Gefahr, mit der den Staat dieser in den Dingen liegende,
neben allen übrigen Parteigegensätzen fortlaufende, innere Conflict bedrohte,
War zu dringend, als daß irgendjemand die Nothwendigkeit einer Wiederher¬
stellung der gestörten Harmonie in Abrede hätte stellen können.

Ueber die Mittel freilich, das gestörte Gleichgewicht zwischen Verfassung
und Verwaltung wieder herzustellen, gingen die Ansichten weit auseinander.
Nach der einen Ansicht bildete das alte Verwaltungssystem die unantastbare
Grundlage des Staates; jedes Hinderniß, welches der freien Bewegung der
Verwaltung von der Verfassung entgegengestellt wird, ist ein Uebel, welches
beseitigt werden muß; wo ein Conflict zwischen Verwaltungsrecht und Ver¬
fassungsrecht entsteht, ist die Präsumption für das ältere, das „monarchische"
Verwaltungsrecht vorhanden: eine Ansicht, die consequenterweise dahin führt,
die Verfassung nicht aus den in ihr niedergelegten, sondern aus den Principien
eines durch die Verfassung theils aufgehobenen, theils wesentlich umgestalteten
Staatsrechts zu interpretiren. — Dieser Ansicht diametral gegenüber steht die
andere, nach welcher die Grundsätze der Verfassung zugleich die Grundlagen


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[0495] waltungsorganismus. Erfüllte derselbe seine Functionen in befriedigender Weise, so lag durchaus keine Ursache vor, eine Veränderung der Grundlagen des Staates selbst, d. h. der Verfassung zu wünschen, stockte die Maschine, so waren etwaige reformatorische Bestrebungen ausschließlich darauf gerichtet, erschlaffte Organe wieder zu beleben, abgestorbene durch neue zu ersetzen, keineswegs aber darauf, die Lebenskraft des Staates durch Veränderung des Verhältnisses zwi¬ schen Fürst und Volk zu erhöhen. Und selbst wo man von der Nothwendigkeit einer derartigen Veränderung überzeugt war, ging man dennoch bei allen Re- formen von der Umgestaltung der Verwaltung aus, in dem richtigen Gedanken, daß die einzig feste Grundlage einer freien Verfassung eine selbständige Ver¬ waltung der untern Kreise des Staates sei. Die nach einem glänzenden und vielversprechenden Anfange bald ins Stocken gerathene Reform der Verwaltung drängte allmälig das Interesse für diese Seite des Staatslebens in den Hintergrund und ließ den Gedanken auf- keimen, daß nur eine völlige Umgestaltung der Verfassung im Stande sein werde, den erschlafften Staatskörper zu kräftigen und den tief gesunkenen Ge- Meingeist neu zu beleben. Der Umschwung trat schneller und plötzlicher ein, als man gefürchtet und gehofft hatte. Preußen trat in die Reihe der Ver¬ fassungsstaaten, ehe die Verwaltung im Sinne des Selfgovernment umgestaltet war. Kaum war aber das Verfassungsgebäude in seinen allgemeinen Umrissen hergestellt, so machte sich auch das fast abgestorbene Interesse für die praktischen Aufgaben der Verwaltung in den weitesten Kreisen geltend; denn der Wider¬ spruch zwischen den Principien des Verfassungsstaates und den aus dem absolut- Monarchischen Staate herübergenommenen Verwaltungsgrundsätzen trat zu augen¬ scheinlich hervor, die Gefahr, mit der den Staat dieser in den Dingen liegende, neben allen übrigen Parteigegensätzen fortlaufende, innere Conflict bedrohte, War zu dringend, als daß irgendjemand die Nothwendigkeit einer Wiederher¬ stellung der gestörten Harmonie in Abrede hätte stellen können. Ueber die Mittel freilich, das gestörte Gleichgewicht zwischen Verfassung und Verwaltung wieder herzustellen, gingen die Ansichten weit auseinander. Nach der einen Ansicht bildete das alte Verwaltungssystem die unantastbare Grundlage des Staates; jedes Hinderniß, welches der freien Bewegung der Verwaltung von der Verfassung entgegengestellt wird, ist ein Uebel, welches beseitigt werden muß; wo ein Conflict zwischen Verwaltungsrecht und Ver¬ fassungsrecht entsteht, ist die Präsumption für das ältere, das „monarchische" Verwaltungsrecht vorhanden: eine Ansicht, die consequenterweise dahin führt, die Verfassung nicht aus den in ihr niedergelegten, sondern aus den Principien eines durch die Verfassung theils aufgehobenen, theils wesentlich umgestalteten Staatsrechts zu interpretiren. — Dieser Ansicht diametral gegenüber steht die andere, nach welcher die Grundsätze der Verfassung zugleich die Grundlagen 69*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/495>, abgerufen am 17.06.2024.