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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Schleswig-holsteinischen Frage aus Geschäftsrücksichten eine Zeit lang gelegentlich
auch dem gelinderen Particularismus die Thür offen. Jetzt und schon seit
einigen Monaten stehen sie der Partei des engen Anschlusses an Preußen sehr
nahe, und selbst annexionistischen Artikeln ist die Aufnahme nicht verwehrt.
Was für eine Ueberzeugung im Frühling oder im Sommer bei dem Haupt¬
redacteur und Besitzer die vorherrschende sein wird, laßt sich mit Sicherheit
nicht voraussagen. Erfolgen keine beträchtlichen Abbestellungen aus den Herzog-
thümern. so wird die Firma Hartmeyer und Co. vermuthlich auf dem neuer¬
dings eingeschlagenen Wege beharren, und so kann das Blatt für Leser im
Binnenlande als Barometer dienen, der mit ziemlicher Genauigkeit die Stim¬
mung in den wohlhabenderen und gebildeteren Schichten der Schleswig - holstei¬
nischen Bevölkerung angiebt. Mit ziemlicher Genauigkeit sagen wir; denn
einmal hält man die "Nachrichten" nicht blos wegen ihrer politischen Mit¬
theilungen, und dann giebt es in jenen Schichten Kreise, die sie überhaupt
nicht lesen. Der Ton des Blattes ist übrigens durchweg anständig, und die
erwähnten preußenfreundlichen Korrespondenzen ließen immer auf einen Autor
von ebensoviel Bildung als Gesinnung schließen.

Der "Unparteiische Korrespondent" war bisher ein conservatives
Blatt und in der Herzogthümerfrage entschieden für die Befriedigung der preu¬
ßischen Ansprüche. Jetzt in andere Hände übergegangen, soll er liberaler werden
und, wie man wissen will, zugleich augustenburgisch. In Betreff des neuen
Besitzers oder Hauptactionärs ist zu beachten, daß die Redaction schon vor
einigen Wochen einen Anlauf nehmen zu wollen schien, in kieler Zuschriften auch
die Gegner der Sache, die sie bis dahin allein vertreten, zu Worte kommen zu
lassen. Ist dies fortgesetzt worden, so dürsten die recht vermuthet haben, die
damals aus der auffälligen, wenn auch nur kurzen Schwenkung des Blattes auf
ome Verständigung zwischen Kiel und Herrn Runkel schließen zu müssen meinten.

Der "Freischütz", nur für die niedrigsten Kreise des Zeitungspublikums
geschrieben und, wie wir hoffen, in Schleswig-Holstein nur in diesen verbreitet,
giebt weniger politisches Räsonnement als Anekdoten und Hamburger Stadt¬
ereignisse. Die "Reform", demokratisch und deshalb früher sehr dänenfreund¬
lich, ist uns in den Herzogtümern nur selten und in den letzten Monaten gar
nicht zu Gesicht gekommen. Welchen Uebergang der Geschäftssinn ihres
Herausgebers aus der frühern Haltung des Blattes gefunden hat, welchen
Standpunkt dasselbe jetzt einnimmt, vermögen wir darum nicht zu sagen. Doch
ist dies auch nicht von Wichtigkeit, da dieses in der traurigen Periode der
Dänenherrschaft leider in Holstein sehr viel gehaltene Organ eines vaterlands¬
losen Kosmopolitismus kaum noch viele Schleswig-Holsteiner zu Lesern haben
wird und diese jedenfalls nur unter den Liebhabern schlechter Späße zu suchen
sein werden, mit denen die Redaction ihre Nummern zu würzen Pflegt.


Schleswig-holsteinischen Frage aus Geschäftsrücksichten eine Zeit lang gelegentlich
auch dem gelinderen Particularismus die Thür offen. Jetzt und schon seit
einigen Monaten stehen sie der Partei des engen Anschlusses an Preußen sehr
nahe, und selbst annexionistischen Artikeln ist die Aufnahme nicht verwehrt.
Was für eine Ueberzeugung im Frühling oder im Sommer bei dem Haupt¬
redacteur und Besitzer die vorherrschende sein wird, laßt sich mit Sicherheit
nicht voraussagen. Erfolgen keine beträchtlichen Abbestellungen aus den Herzog-
thümern. so wird die Firma Hartmeyer und Co. vermuthlich auf dem neuer¬
dings eingeschlagenen Wege beharren, und so kann das Blatt für Leser im
Binnenlande als Barometer dienen, der mit ziemlicher Genauigkeit die Stim¬
mung in den wohlhabenderen und gebildeteren Schichten der Schleswig - holstei¬
nischen Bevölkerung angiebt. Mit ziemlicher Genauigkeit sagen wir; denn
einmal hält man die „Nachrichten" nicht blos wegen ihrer politischen Mit¬
theilungen, und dann giebt es in jenen Schichten Kreise, die sie überhaupt
nicht lesen. Der Ton des Blattes ist übrigens durchweg anständig, und die
erwähnten preußenfreundlichen Korrespondenzen ließen immer auf einen Autor
von ebensoviel Bildung als Gesinnung schließen.

Der „Unparteiische Korrespondent" war bisher ein conservatives
Blatt und in der Herzogthümerfrage entschieden für die Befriedigung der preu¬
ßischen Ansprüche. Jetzt in andere Hände übergegangen, soll er liberaler werden
und, wie man wissen will, zugleich augustenburgisch. In Betreff des neuen
Besitzers oder Hauptactionärs ist zu beachten, daß die Redaction schon vor
einigen Wochen einen Anlauf nehmen zu wollen schien, in kieler Zuschriften auch
die Gegner der Sache, die sie bis dahin allein vertreten, zu Worte kommen zu
lassen. Ist dies fortgesetzt worden, so dürsten die recht vermuthet haben, die
damals aus der auffälligen, wenn auch nur kurzen Schwenkung des Blattes auf
ome Verständigung zwischen Kiel und Herrn Runkel schließen zu müssen meinten.

Der „Freischütz", nur für die niedrigsten Kreise des Zeitungspublikums
geschrieben und, wie wir hoffen, in Schleswig-Holstein nur in diesen verbreitet,
giebt weniger politisches Räsonnement als Anekdoten und Hamburger Stadt¬
ereignisse. Die „Reform", demokratisch und deshalb früher sehr dänenfreund¬
lich, ist uns in den Herzogtümern nur selten und in den letzten Monaten gar
nicht zu Gesicht gekommen. Welchen Uebergang der Geschäftssinn ihres
Herausgebers aus der frühern Haltung des Blattes gefunden hat, welchen
Standpunkt dasselbe jetzt einnimmt, vermögen wir darum nicht zu sagen. Doch
ist dies auch nicht von Wichtigkeit, da dieses in der traurigen Periode der
Dänenherrschaft leider in Holstein sehr viel gehaltene Organ eines vaterlands¬
losen Kosmopolitismus kaum noch viele Schleswig-Holsteiner zu Lesern haben
wird und diese jedenfalls nur unter den Liebhabern schlechter Späße zu suchen
sein werden, mit denen die Redaction ihre Nummern zu würzen Pflegt.


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[0055] Schleswig-holsteinischen Frage aus Geschäftsrücksichten eine Zeit lang gelegentlich auch dem gelinderen Particularismus die Thür offen. Jetzt und schon seit einigen Monaten stehen sie der Partei des engen Anschlusses an Preußen sehr nahe, und selbst annexionistischen Artikeln ist die Aufnahme nicht verwehrt. Was für eine Ueberzeugung im Frühling oder im Sommer bei dem Haupt¬ redacteur und Besitzer die vorherrschende sein wird, laßt sich mit Sicherheit nicht voraussagen. Erfolgen keine beträchtlichen Abbestellungen aus den Herzog- thümern. so wird die Firma Hartmeyer und Co. vermuthlich auf dem neuer¬ dings eingeschlagenen Wege beharren, und so kann das Blatt für Leser im Binnenlande als Barometer dienen, der mit ziemlicher Genauigkeit die Stim¬ mung in den wohlhabenderen und gebildeteren Schichten der Schleswig - holstei¬ nischen Bevölkerung angiebt. Mit ziemlicher Genauigkeit sagen wir; denn einmal hält man die „Nachrichten" nicht blos wegen ihrer politischen Mit¬ theilungen, und dann giebt es in jenen Schichten Kreise, die sie überhaupt nicht lesen. Der Ton des Blattes ist übrigens durchweg anständig, und die erwähnten preußenfreundlichen Korrespondenzen ließen immer auf einen Autor von ebensoviel Bildung als Gesinnung schließen. Der „Unparteiische Korrespondent" war bisher ein conservatives Blatt und in der Herzogthümerfrage entschieden für die Befriedigung der preu¬ ßischen Ansprüche. Jetzt in andere Hände übergegangen, soll er liberaler werden und, wie man wissen will, zugleich augustenburgisch. In Betreff des neuen Besitzers oder Hauptactionärs ist zu beachten, daß die Redaction schon vor einigen Wochen einen Anlauf nehmen zu wollen schien, in kieler Zuschriften auch die Gegner der Sache, die sie bis dahin allein vertreten, zu Worte kommen zu lassen. Ist dies fortgesetzt worden, so dürsten die recht vermuthet haben, die damals aus der auffälligen, wenn auch nur kurzen Schwenkung des Blattes auf ome Verständigung zwischen Kiel und Herrn Runkel schließen zu müssen meinten. Der „Freischütz", nur für die niedrigsten Kreise des Zeitungspublikums geschrieben und, wie wir hoffen, in Schleswig-Holstein nur in diesen verbreitet, giebt weniger politisches Räsonnement als Anekdoten und Hamburger Stadt¬ ereignisse. Die „Reform", demokratisch und deshalb früher sehr dänenfreund¬ lich, ist uns in den Herzogtümern nur selten und in den letzten Monaten gar nicht zu Gesicht gekommen. Welchen Uebergang der Geschäftssinn ihres Herausgebers aus der frühern Haltung des Blattes gefunden hat, welchen Standpunkt dasselbe jetzt einnimmt, vermögen wir darum nicht zu sagen. Doch ist dies auch nicht von Wichtigkeit, da dieses in der traurigen Periode der Dänenherrschaft leider in Holstein sehr viel gehaltene Organ eines vaterlands¬ losen Kosmopolitismus kaum noch viele Schleswig-Holsteiner zu Lesern haben wird und diese jedenfalls nur unter den Liebhabern schlechter Späße zu suchen sein werden, mit denen die Redaction ihre Nummern zu würzen Pflegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/55>, abgerufen am 17.06.2024.