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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Anprall wilder Völkerwogen geschützt, hätten die Heerhaufen des Ariovist oder der
Helvetier und Sequaner sich in dem jungen römischen Gebiet gelagert und
die Alpenpässe überschritten, so wären die verdorbene Republik und das verödete
Griechenland schon zu der Zeit, in welcher Christus in Galiläa lehrte, eine
Beute fremder, gänzlich uncivilisirter Barbaren geworden, und die engen Culturkreise
des damaligen Europa wären einer Zerstörung erlegen, welche späten Geschlechtern
nur spärliche Früchte antiker Arbeit überliefert hätte. Das römische Kaiserreich
hat die antike Bildung der Menschheit gerettet, indem es alle Völker der be¬
kannten Erde zwang, durch zwölf Generationen die Kraft seiner Legionen zu
ehren, das geprägte Geld seiner Imperatoren zu nehmen und seine Gebote
zu scheuen, -- ja sich selbst als Zugehörige des großen römischen Weltreiches
zu betrachten.

Daß auch für höhere Bildungskreise, für die Ausbreitung des Christen¬
thums, für den großen Proceß der gemüthlichen Vertiefung des Menschengeschlechts,
die Kaiserherrschaft und das Weltreich der Cäsaren Grundlage und Vorbedin¬
gung geworden, ist oft nachgewiesen. Einer Kaisergeschichte, welche Mommsen
uns schriebe, würde freilich auch die Aufgabe zufallen, zu berichten, daß selbst
der neue Idealismus der Christen, seit er in dem Staate nach Geltung rang,
viel von der erhebenden Kraft verlor, welche wir den ersten verachteten Ge¬
meinden der christlicher! Märtyrer gern zuschreiben. Denn die herrschsüchtigen
und schmarotzenden Bischöfe sind unter den vielen häßlichen Gestalten der rö¬
mischen Höfe sicher nicht die schlechtesten, aber für unsere Empfindung die wider¬
wärtigsten. Auch auf diesem Gebiet liegt die ganze Fülle des Segens, welche
durch hie Kaiseizeit dem Menschengeschlecht wurde, in der leisen Umwandlung
und Erhebung der abertausend Kleinen, in der allmäligen Humanistrung des
harten Egoismus, in der praktischen Bethätigung der christlichen Bruderliebe
gegen Arme, Fremde, Sklaven, in der Besserung der Familicnzucht, und vor
allem in der neuen Bundesfreundschaft, welche den Bürger mit dem Barba¬
ren vereinte, wenn beide ihr Haupt vordem Zeichen des Gekreuzigten beugten.

Dieser unermeßliche Segen der Kaiserzeit für die Geschlechter der Erde
wurde vorzugsweise dem Leben der Kleinen; an dem Kaisersitz und fast allem,
was der Purpur verbrämte, nagte durch Jahrhunderte der Wurm des Ver¬
derbens. Mancher Kaiser wurde ruchlos und wahnsinnig und doch war seine
Herrschaft ein Glück für Unzählige. Solche Zeit zu beschreiben ist schwer, denn
die Zerstörung auf den Höhen wird von den Zeitgenossen deutlich gesehen und
berichtet, das stille Grün in den Thälern war ihnen selbstverständlich und über¬
kommen. Uns aber in der Entfernung von anderthalb Jahrtausenden ist es nicht
leicht sichtbar. Es gehört viel Wissen und ein scharfes Auge dazu, um von
den Einzelheiten ein Bild zu geben, und nicht zuletzt gehört dazu ein ausdauerndes
und freudiges Herz, welches unter dem Schutt und Trümmerhaufen die ver-


Anprall wilder Völkerwogen geschützt, hätten die Heerhaufen des Ariovist oder der
Helvetier und Sequaner sich in dem jungen römischen Gebiet gelagert und
die Alpenpässe überschritten, so wären die verdorbene Republik und das verödete
Griechenland schon zu der Zeit, in welcher Christus in Galiläa lehrte, eine
Beute fremder, gänzlich uncivilisirter Barbaren geworden, und die engen Culturkreise
des damaligen Europa wären einer Zerstörung erlegen, welche späten Geschlechtern
nur spärliche Früchte antiker Arbeit überliefert hätte. Das römische Kaiserreich
hat die antike Bildung der Menschheit gerettet, indem es alle Völker der be¬
kannten Erde zwang, durch zwölf Generationen die Kraft seiner Legionen zu
ehren, das geprägte Geld seiner Imperatoren zu nehmen und seine Gebote
zu scheuen, — ja sich selbst als Zugehörige des großen römischen Weltreiches
zu betrachten.

Daß auch für höhere Bildungskreise, für die Ausbreitung des Christen¬
thums, für den großen Proceß der gemüthlichen Vertiefung des Menschengeschlechts,
die Kaiserherrschaft und das Weltreich der Cäsaren Grundlage und Vorbedin¬
gung geworden, ist oft nachgewiesen. Einer Kaisergeschichte, welche Mommsen
uns schriebe, würde freilich auch die Aufgabe zufallen, zu berichten, daß selbst
der neue Idealismus der Christen, seit er in dem Staate nach Geltung rang,
viel von der erhebenden Kraft verlor, welche wir den ersten verachteten Ge¬
meinden der christlicher! Märtyrer gern zuschreiben. Denn die herrschsüchtigen
und schmarotzenden Bischöfe sind unter den vielen häßlichen Gestalten der rö¬
mischen Höfe sicher nicht die schlechtesten, aber für unsere Empfindung die wider¬
wärtigsten. Auch auf diesem Gebiet liegt die ganze Fülle des Segens, welche
durch hie Kaiseizeit dem Menschengeschlecht wurde, in der leisen Umwandlung
und Erhebung der abertausend Kleinen, in der allmäligen Humanistrung des
harten Egoismus, in der praktischen Bethätigung der christlichen Bruderliebe
gegen Arme, Fremde, Sklaven, in der Besserung der Familicnzucht, und vor
allem in der neuen Bundesfreundschaft, welche den Bürger mit dem Barba¬
ren vereinte, wenn beide ihr Haupt vordem Zeichen des Gekreuzigten beugten.

Dieser unermeßliche Segen der Kaiserzeit für die Geschlechter der Erde
wurde vorzugsweise dem Leben der Kleinen; an dem Kaisersitz und fast allem,
was der Purpur verbrämte, nagte durch Jahrhunderte der Wurm des Ver¬
derbens. Mancher Kaiser wurde ruchlos und wahnsinnig und doch war seine
Herrschaft ein Glück für Unzählige. Solche Zeit zu beschreiben ist schwer, denn
die Zerstörung auf den Höhen wird von den Zeitgenossen deutlich gesehen und
berichtet, das stille Grün in den Thälern war ihnen selbstverständlich und über¬
kommen. Uns aber in der Entfernung von anderthalb Jahrtausenden ist es nicht
leicht sichtbar. Es gehört viel Wissen und ein scharfes Auge dazu, um von
den Einzelheiten ein Bild zu geben, und nicht zuletzt gehört dazu ein ausdauerndes
und freudiges Herz, welches unter dem Schutt und Trümmerhaufen die ver-


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[0076] Anprall wilder Völkerwogen geschützt, hätten die Heerhaufen des Ariovist oder der Helvetier und Sequaner sich in dem jungen römischen Gebiet gelagert und die Alpenpässe überschritten, so wären die verdorbene Republik und das verödete Griechenland schon zu der Zeit, in welcher Christus in Galiläa lehrte, eine Beute fremder, gänzlich uncivilisirter Barbaren geworden, und die engen Culturkreise des damaligen Europa wären einer Zerstörung erlegen, welche späten Geschlechtern nur spärliche Früchte antiker Arbeit überliefert hätte. Das römische Kaiserreich hat die antike Bildung der Menschheit gerettet, indem es alle Völker der be¬ kannten Erde zwang, durch zwölf Generationen die Kraft seiner Legionen zu ehren, das geprägte Geld seiner Imperatoren zu nehmen und seine Gebote zu scheuen, — ja sich selbst als Zugehörige des großen römischen Weltreiches zu betrachten. Daß auch für höhere Bildungskreise, für die Ausbreitung des Christen¬ thums, für den großen Proceß der gemüthlichen Vertiefung des Menschengeschlechts, die Kaiserherrschaft und das Weltreich der Cäsaren Grundlage und Vorbedin¬ gung geworden, ist oft nachgewiesen. Einer Kaisergeschichte, welche Mommsen uns schriebe, würde freilich auch die Aufgabe zufallen, zu berichten, daß selbst der neue Idealismus der Christen, seit er in dem Staate nach Geltung rang, viel von der erhebenden Kraft verlor, welche wir den ersten verachteten Ge¬ meinden der christlicher! Märtyrer gern zuschreiben. Denn die herrschsüchtigen und schmarotzenden Bischöfe sind unter den vielen häßlichen Gestalten der rö¬ mischen Höfe sicher nicht die schlechtesten, aber für unsere Empfindung die wider¬ wärtigsten. Auch auf diesem Gebiet liegt die ganze Fülle des Segens, welche durch hie Kaiseizeit dem Menschengeschlecht wurde, in der leisen Umwandlung und Erhebung der abertausend Kleinen, in der allmäligen Humanistrung des harten Egoismus, in der praktischen Bethätigung der christlichen Bruderliebe gegen Arme, Fremde, Sklaven, in der Besserung der Familicnzucht, und vor allem in der neuen Bundesfreundschaft, welche den Bürger mit dem Barba¬ ren vereinte, wenn beide ihr Haupt vordem Zeichen des Gekreuzigten beugten. Dieser unermeßliche Segen der Kaiserzeit für die Geschlechter der Erde wurde vorzugsweise dem Leben der Kleinen; an dem Kaisersitz und fast allem, was der Purpur verbrämte, nagte durch Jahrhunderte der Wurm des Ver¬ derbens. Mancher Kaiser wurde ruchlos und wahnsinnig und doch war seine Herrschaft ein Glück für Unzählige. Solche Zeit zu beschreiben ist schwer, denn die Zerstörung auf den Höhen wird von den Zeitgenossen deutlich gesehen und berichtet, das stille Grün in den Thälern war ihnen selbstverständlich und über¬ kommen. Uns aber in der Entfernung von anderthalb Jahrtausenden ist es nicht leicht sichtbar. Es gehört viel Wissen und ein scharfes Auge dazu, um von den Einzelheiten ein Bild zu geben, und nicht zuletzt gehört dazu ein ausdauerndes und freudiges Herz, welches unter dem Schutt und Trümmerhaufen die ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/76>, abgerufen am 09.06.2024.