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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Rauchs (von ihm selbst 1828 modellirt) überragt, von den Reliefbildern der
bedeutendsten deutschen zeitgenössischen Künstler umgeben, tritt man in den
weiten Raum mit den hoch angebrachten Bogenfenstern; von den rothen Wänden
hebt sich dies ganze Heer von Statuen und Reliefs, Monumenten und Büsten
klar und entschieden ab. Man muß es sich immer wiederholen, daß all das
die Arbeit eines Menschenlebens ist; denn es erscheint so massenhaft, als ob
mehre Generationen von Bildhauern an seiner Herstellung thätig gewesen
wären. Leider ist die Beleuchtung, welche den Werken gegeben werden
konnte, nicht grade genügend und günstig. Den nach der ziemlich engen Neuen
Friedrichsstraße hinausgehenden Fenstern wird das Himmelslicht durch die
jenseitigen Häuser nur zu sehr verkümmert, und dieses trifft hoch einfallend
wieder nur in rechter Weise die auf der Fensterseite planirten Modelle; die an
der gegenüberliegenden Wand bleiben in einem gewissen Halbschatten, in wel¬
chem sie kaum zu einer kräftig körperlichen Wirkung gelangen können. Ebenso
wenig wie eine durchweg günstige Beleuchtung war eine chronologische Ordnung
in der Ausstellung durchzuführen, welche dabei sehr wünschenswert!) gewesen
sein würde. Im Uebrigen verdient das ganze Arrangement, das von dem
Schüler und treuen Mitarbeiter Rauchs an allen Werken seiner letzten Lebens¬
periode, Professor Hugo Hagen, geleitet wurde, alles Lob.

Den Anfangs- und den Endpunkt dieser über mehr als ein halbes Jahr¬
hundert mit gleicher Energie fortgesetzten Thätigkeit bezeichnen die weltbekannte
Statue der Königin Luise für das charlottenburger Mausoleum und die
Thaers für den Platz vor der Bauakademie zu Berlin. Ein langer Weg und
eine bedeutende Entwicklung unsrer plastischen Kunst liegt zwischen ihnen beiden.
Gottfried Schadows künstlerische Arbeit war der Aufklärung auf andern
Gebieten des geistigen Lebens gleichsam parallel. Die Befreiung vom
Schwulst, von der süßlichen Schwächlichkeit, von der hohlen und aufgeblasenen
Unnatur der Perückenzeit, die Einführung eines einfachen, gesunden und nai¬
ven Realismus in die Plastik war seine unsterbliche That gewesen. Aus dieser
Schule ging Rauch hervor. Aber seine Entwicklung fiel in die Zeit, als in
einer zweiten Renaissance die Antike eben wieder heraufbeschworen war, um für
den Neubau auf jener Tabula rasa, welche der Untergang des Rococo geschaffen,
als höchste Lehrende und Regel zu dienen. Als eine vollendet schöne und ge¬
reifte Frucht der tiefen Naturerkenntniß und eines in dieser Schulung der
Antike gebildeten reinen und keuschen Stilgefühls ist jenes berühmte Werk
Rauchs anzusehen. Der künstlerische Charaktcruntcrschied zwischen ihm und ver-
wandten Gebilden Schadows ist auss schärfste ausgesprochen. Die naive Un-
befangenheit, mit welcher dieser seine Gestalten in natürlicher Schlichtheit und
in der simpeln Anmuth der reinsten Wahrheit hinzuspiclen scheint, suchen wir
hier vergebens. Die Natur ist in Rauchs Statue weit bewußter gesteigert und


Rauchs (von ihm selbst 1828 modellirt) überragt, von den Reliefbildern der
bedeutendsten deutschen zeitgenössischen Künstler umgeben, tritt man in den
weiten Raum mit den hoch angebrachten Bogenfenstern; von den rothen Wänden
hebt sich dies ganze Heer von Statuen und Reliefs, Monumenten und Büsten
klar und entschieden ab. Man muß es sich immer wiederholen, daß all das
die Arbeit eines Menschenlebens ist; denn es erscheint so massenhaft, als ob
mehre Generationen von Bildhauern an seiner Herstellung thätig gewesen
wären. Leider ist die Beleuchtung, welche den Werken gegeben werden
konnte, nicht grade genügend und günstig. Den nach der ziemlich engen Neuen
Friedrichsstraße hinausgehenden Fenstern wird das Himmelslicht durch die
jenseitigen Häuser nur zu sehr verkümmert, und dieses trifft hoch einfallend
wieder nur in rechter Weise die auf der Fensterseite planirten Modelle; die an
der gegenüberliegenden Wand bleiben in einem gewissen Halbschatten, in wel¬
chem sie kaum zu einer kräftig körperlichen Wirkung gelangen können. Ebenso
wenig wie eine durchweg günstige Beleuchtung war eine chronologische Ordnung
in der Ausstellung durchzuführen, welche dabei sehr wünschenswert!) gewesen
sein würde. Im Uebrigen verdient das ganze Arrangement, das von dem
Schüler und treuen Mitarbeiter Rauchs an allen Werken seiner letzten Lebens¬
periode, Professor Hugo Hagen, geleitet wurde, alles Lob.

Den Anfangs- und den Endpunkt dieser über mehr als ein halbes Jahr¬
hundert mit gleicher Energie fortgesetzten Thätigkeit bezeichnen die weltbekannte
Statue der Königin Luise für das charlottenburger Mausoleum und die
Thaers für den Platz vor der Bauakademie zu Berlin. Ein langer Weg und
eine bedeutende Entwicklung unsrer plastischen Kunst liegt zwischen ihnen beiden.
Gottfried Schadows künstlerische Arbeit war der Aufklärung auf andern
Gebieten des geistigen Lebens gleichsam parallel. Die Befreiung vom
Schwulst, von der süßlichen Schwächlichkeit, von der hohlen und aufgeblasenen
Unnatur der Perückenzeit, die Einführung eines einfachen, gesunden und nai¬
ven Realismus in die Plastik war seine unsterbliche That gewesen. Aus dieser
Schule ging Rauch hervor. Aber seine Entwicklung fiel in die Zeit, als in
einer zweiten Renaissance die Antike eben wieder heraufbeschworen war, um für
den Neubau auf jener Tabula rasa, welche der Untergang des Rococo geschaffen,
als höchste Lehrende und Regel zu dienen. Als eine vollendet schöne und ge¬
reifte Frucht der tiefen Naturerkenntniß und eines in dieser Schulung der
Antike gebildeten reinen und keuschen Stilgefühls ist jenes berühmte Werk
Rauchs anzusehen. Der künstlerische Charaktcruntcrschied zwischen ihm und ver-
wandten Gebilden Schadows ist auss schärfste ausgesprochen. Die naive Un-
befangenheit, mit welcher dieser seine Gestalten in natürlicher Schlichtheit und
in der simpeln Anmuth der reinsten Wahrheit hinzuspiclen scheint, suchen wir
hier vergebens. Die Natur ist in Rauchs Statue weit bewußter gesteigert und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/13>, abgerufen am 18.06.2024.