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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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der Herzog bat sich entschloßen, ihm zum Scherze das Leichenbegängniß bei
lebendigem Leibe halten zu laßen. Dazu ist folgende Grabschrift gebraucht
worden:


Ich bin mit der ersinnlichsten Hochachtung
Ew. Hochedelgebohren
Leipzig, den 2 April, gehorsamster Diener,
Gellert. 1745.

Gellert fand ganz in der Ordnung, daß ein Herzog einem alten General¬
major Pferd und Mobilien gegen eine Leibrente abkauft, weil er annimmt, daß
der Offizier kein Jahr mehr leben werde, und er hält für einen netten Scherz,
daß der Herzog, in seiner Erwartung getäuscht, nach 16 Jahren dem alten Kriegs-
mann bei lebendigem Leibe das Vergnügen eines Begräbnisses bereitet. Uebrigens
ist das Epigramm immer noch witziger als manches andere Gedicht, welches
der fromme Dichter der Pleiße den Enkeln hinterlassen hat.

Wenn wir aber ein mitleidiges Lächeln über solche Schwäche nicht unter¬
drücken, so ziemt uns auch daran zu denken, daß grade derselbe weiche hypochon¬
drische Dichter es war. welcher der Arbeit des Geistes in Deutschland höheres
Ansehn vermittelte. Schon Gottsched hob die Stellung des Talentes durch die
gravitätische Weise, in welcher er seine Ansprüche geltend machte und die Löck-
chen seiner großen Allongenperücke gegen die Vornehmen bewegte; Gellert aber
gewann zuerst deutscher Dichtung die Herzen der Anspruchsvollen, er verstand
es, das Talent zum Hausfreunde der Familien zu machen. Die Geltung, welche
unmittelbar nach ihm die Dichter Weimars erhielten, ist in der That durch ihn
vorbereitet worden. Daß Wissenschaft und Poesie vornehm wurden, sogar in
die Höfe drangen, war damals von nicht geringer Bedeutung; denn eS half dazu,
den Schaffenden selbst die Herrschaft über das Treiben ihrer Zeit zu sichern, ihnen
Menschenkenntnis;, größeres Urtheil über Charaktere und die freie Auffassung
des Lebens zu geben, welche ein Darsteller menschlicher Natur nicht entbehren
kann. Ehrlich bat dazu der Mann geholfen, der die Poesie verfaßte: "Um das
Rhinozeros zu sehn", und der in späteren Jahren das Privilegium genoß, im
Rosenthal auf frommen Pferden zu reiten, welche ihm königliche Gönner von
? Preußen und Sachsen verehrt hatten.




der Herzog bat sich entschloßen, ihm zum Scherze das Leichenbegängniß bei
lebendigem Leibe halten zu laßen. Dazu ist folgende Grabschrift gebraucht
worden:


Ich bin mit der ersinnlichsten Hochachtung
Ew. Hochedelgebohren
Leipzig, den 2 April, gehorsamster Diener,
Gellert. 1745.

Gellert fand ganz in der Ordnung, daß ein Herzog einem alten General¬
major Pferd und Mobilien gegen eine Leibrente abkauft, weil er annimmt, daß
der Offizier kein Jahr mehr leben werde, und er hält für einen netten Scherz,
daß der Herzog, in seiner Erwartung getäuscht, nach 16 Jahren dem alten Kriegs-
mann bei lebendigem Leibe das Vergnügen eines Begräbnisses bereitet. Uebrigens
ist das Epigramm immer noch witziger als manches andere Gedicht, welches
der fromme Dichter der Pleiße den Enkeln hinterlassen hat.

Wenn wir aber ein mitleidiges Lächeln über solche Schwäche nicht unter¬
drücken, so ziemt uns auch daran zu denken, daß grade derselbe weiche hypochon¬
drische Dichter es war. welcher der Arbeit des Geistes in Deutschland höheres
Ansehn vermittelte. Schon Gottsched hob die Stellung des Talentes durch die
gravitätische Weise, in welcher er seine Ansprüche geltend machte und die Löck-
chen seiner großen Allongenperücke gegen die Vornehmen bewegte; Gellert aber
gewann zuerst deutscher Dichtung die Herzen der Anspruchsvollen, er verstand
es, das Talent zum Hausfreunde der Familien zu machen. Die Geltung, welche
unmittelbar nach ihm die Dichter Weimars erhielten, ist in der That durch ihn
vorbereitet worden. Daß Wissenschaft und Poesie vornehm wurden, sogar in
die Höfe drangen, war damals von nicht geringer Bedeutung; denn eS half dazu,
den Schaffenden selbst die Herrschaft über das Treiben ihrer Zeit zu sichern, ihnen
Menschenkenntnis;, größeres Urtheil über Charaktere und die freie Auffassung
des Lebens zu geben, welche ein Darsteller menschlicher Natur nicht entbehren
kann. Ehrlich bat dazu der Mann geholfen, der die Poesie verfaßte: „Um das
Rhinozeros zu sehn", und der in späteren Jahren das Privilegium genoß, im
Rosenthal auf frommen Pferden zu reiten, welche ihm königliche Gönner von
? Preußen und Sachsen verehrt hatten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/28>, abgerufen am 18.06.2024.