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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Bursche sein zu wollen, und das Wiederabnehmen und Miederaufsetzen der
Mützen oder Hüte. Alle diese Ceremonien sind ohne Zweifel alt, möglicherweise
so alt, als die Sitte unsrer Musensöhne, sich zu Landsmannschaften, Kränzchen,
Orden u. d. zusammenzuthun. Der Hut bedeutete in Studentenversammlungen
wie in Handwerksherbergen den Träger selbst, den Hut bei Berathung oder
Gelage aufbehalten zu dürfen, ehrlich, frei und gleichberechtigt sein. Das Auf¬
stecken der Hüte auf eine Degenklinge mag eines der vielen Symbole sein,
welche das spätmittelalterliche Studentenleben auf die neue Zeit vererbte, es
kann aber auch, und dies kommt uns wahrscheinlicher vor, durch Umbildung
einer Logenceremonie entstanden sein, und zwar werden wir in dem Act, etwa
so wie in der "Kette" der Freimaurer, das Sinnbild der engen Verbundenheit
des an der Feier theilnehmenden Kreises zu erblicken haben. Eide ferner spielten
bei allen Handlungen alter Hochschulen eine Rolle, und so fällt nicht auf, daß
sie auch über Gläsern und Flaschen vorkamen. Das Ordenswesen des acht¬
zehnten Jahrhunderts cultivirte sie ebenfalls. In unserm Fall waren sie ur¬
sprünglich und ehe sie zur bloßen Farce wurden, was selbstverständlich bald
geschehen sein wird, eine neue Weihe des Burschen für studentisch ehrenhaftes
Leben und dessen Berechtigungen, deren Besitznahme durch Wiederbedecken des
Hauptes ausgedrückt wurde. Endlich wird bei der Feierlichkeit, von der wir
reden, vermuthlich schon früh auch ein Lied gesungen worden sein. Welches,
wissen wir nicht, nach welcher Melodie, ebenso wenig. Nur das wissen wir,
daß die jetzt beim Landesvater üblichen Gesänge selbst in ihrer ältesten Form
noch keine hundert Jahre zählen. War vordem schon Aehnliches vorhanden,
so ging es bestimmt aus einem andern Tone, und keinesfalls mischte sich vor
dem siebenjährigen Kriege irgendwie ein politisches Element in den Sang der
Burschen.

Der Comment unsrer Studiosen reicht in seinen Grundbestandtheilen offen¬
bar ziemlich weit zurück. Einige Commerslieder, wie das bekannte, "Ich nehm'
mein Gläschen in die Hand" sind sicher, andere, wie die "Saufmcsse" wahr¬
scheinlich schon im sechzehnten Jahrhundert gesungen worden, und das prächtige
Zecherlied "Umi est xroxosituw" wird sogar einem oxforder Archidiakonus
des elften Säculums, Gualterus de Mapes, zugeschrieben. Der Text des Landes¬
vaters von heutzutage dagegen ist nicht viel älter als vierzig Jahre und nichts
Anderes, als die Umgestaltung einer Gruppe von Liedern, die in der Zeit verfaßt
wurden, wo Hokko, die Stolbergs, Götter, Unzer, vor allen aber Klopstock
die deutsche Harfe spielten, nach den Gedanken und Tendenzen der Periode, die
mit den Befreiungskriegen ihren Anfang nahm. Klopstocksche stets weihevolle
Gefühlsseligkeit und überschwängliche, leider nur fast völlig gegenstandslose
Vaterlandsliebe war die Mutter, ein Hauch aus den Maurerlogen, die damals
in den Studentenorden vielfach Nachahmung fanden, der Vater unsres Landes'


Bursche sein zu wollen, und das Wiederabnehmen und Miederaufsetzen der
Mützen oder Hüte. Alle diese Ceremonien sind ohne Zweifel alt, möglicherweise
so alt, als die Sitte unsrer Musensöhne, sich zu Landsmannschaften, Kränzchen,
Orden u. d. zusammenzuthun. Der Hut bedeutete in Studentenversammlungen
wie in Handwerksherbergen den Träger selbst, den Hut bei Berathung oder
Gelage aufbehalten zu dürfen, ehrlich, frei und gleichberechtigt sein. Das Auf¬
stecken der Hüte auf eine Degenklinge mag eines der vielen Symbole sein,
welche das spätmittelalterliche Studentenleben auf die neue Zeit vererbte, es
kann aber auch, und dies kommt uns wahrscheinlicher vor, durch Umbildung
einer Logenceremonie entstanden sein, und zwar werden wir in dem Act, etwa
so wie in der „Kette" der Freimaurer, das Sinnbild der engen Verbundenheit
des an der Feier theilnehmenden Kreises zu erblicken haben. Eide ferner spielten
bei allen Handlungen alter Hochschulen eine Rolle, und so fällt nicht auf, daß
sie auch über Gläsern und Flaschen vorkamen. Das Ordenswesen des acht¬
zehnten Jahrhunderts cultivirte sie ebenfalls. In unserm Fall waren sie ur¬
sprünglich und ehe sie zur bloßen Farce wurden, was selbstverständlich bald
geschehen sein wird, eine neue Weihe des Burschen für studentisch ehrenhaftes
Leben und dessen Berechtigungen, deren Besitznahme durch Wiederbedecken des
Hauptes ausgedrückt wurde. Endlich wird bei der Feierlichkeit, von der wir
reden, vermuthlich schon früh auch ein Lied gesungen worden sein. Welches,
wissen wir nicht, nach welcher Melodie, ebenso wenig. Nur das wissen wir,
daß die jetzt beim Landesvater üblichen Gesänge selbst in ihrer ältesten Form
noch keine hundert Jahre zählen. War vordem schon Aehnliches vorhanden,
so ging es bestimmt aus einem andern Tone, und keinesfalls mischte sich vor
dem siebenjährigen Kriege irgendwie ein politisches Element in den Sang der
Burschen.

Der Comment unsrer Studiosen reicht in seinen Grundbestandtheilen offen¬
bar ziemlich weit zurück. Einige Commerslieder, wie das bekannte, „Ich nehm'
mein Gläschen in die Hand" sind sicher, andere, wie die „Saufmcsse" wahr¬
scheinlich schon im sechzehnten Jahrhundert gesungen worden, und das prächtige
Zecherlied „Umi est xroxosituw" wird sogar einem oxforder Archidiakonus
des elften Säculums, Gualterus de Mapes, zugeschrieben. Der Text des Landes¬
vaters von heutzutage dagegen ist nicht viel älter als vierzig Jahre und nichts
Anderes, als die Umgestaltung einer Gruppe von Liedern, die in der Zeit verfaßt
wurden, wo Hokko, die Stolbergs, Götter, Unzer, vor allen aber Klopstock
die deutsche Harfe spielten, nach den Gedanken und Tendenzen der Periode, die
mit den Befreiungskriegen ihren Anfang nahm. Klopstocksche stets weihevolle
Gefühlsseligkeit und überschwängliche, leider nur fast völlig gegenstandslose
Vaterlandsliebe war die Mutter, ein Hauch aus den Maurerlogen, die damals
in den Studentenorden vielfach Nachahmung fanden, der Vater unsres Landes'


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[0316] Bursche sein zu wollen, und das Wiederabnehmen und Miederaufsetzen der Mützen oder Hüte. Alle diese Ceremonien sind ohne Zweifel alt, möglicherweise so alt, als die Sitte unsrer Musensöhne, sich zu Landsmannschaften, Kränzchen, Orden u. d. zusammenzuthun. Der Hut bedeutete in Studentenversammlungen wie in Handwerksherbergen den Träger selbst, den Hut bei Berathung oder Gelage aufbehalten zu dürfen, ehrlich, frei und gleichberechtigt sein. Das Auf¬ stecken der Hüte auf eine Degenklinge mag eines der vielen Symbole sein, welche das spätmittelalterliche Studentenleben auf die neue Zeit vererbte, es kann aber auch, und dies kommt uns wahrscheinlicher vor, durch Umbildung einer Logenceremonie entstanden sein, und zwar werden wir in dem Act, etwa so wie in der „Kette" der Freimaurer, das Sinnbild der engen Verbundenheit des an der Feier theilnehmenden Kreises zu erblicken haben. Eide ferner spielten bei allen Handlungen alter Hochschulen eine Rolle, und so fällt nicht auf, daß sie auch über Gläsern und Flaschen vorkamen. Das Ordenswesen des acht¬ zehnten Jahrhunderts cultivirte sie ebenfalls. In unserm Fall waren sie ur¬ sprünglich und ehe sie zur bloßen Farce wurden, was selbstverständlich bald geschehen sein wird, eine neue Weihe des Burschen für studentisch ehrenhaftes Leben und dessen Berechtigungen, deren Besitznahme durch Wiederbedecken des Hauptes ausgedrückt wurde. Endlich wird bei der Feierlichkeit, von der wir reden, vermuthlich schon früh auch ein Lied gesungen worden sein. Welches, wissen wir nicht, nach welcher Melodie, ebenso wenig. Nur das wissen wir, daß die jetzt beim Landesvater üblichen Gesänge selbst in ihrer ältesten Form noch keine hundert Jahre zählen. War vordem schon Aehnliches vorhanden, so ging es bestimmt aus einem andern Tone, und keinesfalls mischte sich vor dem siebenjährigen Kriege irgendwie ein politisches Element in den Sang der Burschen. Der Comment unsrer Studiosen reicht in seinen Grundbestandtheilen offen¬ bar ziemlich weit zurück. Einige Commerslieder, wie das bekannte, „Ich nehm' mein Gläschen in die Hand" sind sicher, andere, wie die „Saufmcsse" wahr¬ scheinlich schon im sechzehnten Jahrhundert gesungen worden, und das prächtige Zecherlied „Umi est xroxosituw" wird sogar einem oxforder Archidiakonus des elften Säculums, Gualterus de Mapes, zugeschrieben. Der Text des Landes¬ vaters von heutzutage dagegen ist nicht viel älter als vierzig Jahre und nichts Anderes, als die Umgestaltung einer Gruppe von Liedern, die in der Zeit verfaßt wurden, wo Hokko, die Stolbergs, Götter, Unzer, vor allen aber Klopstock die deutsche Harfe spielten, nach den Gedanken und Tendenzen der Periode, die mit den Befreiungskriegen ihren Anfang nahm. Klopstocksche stets weihevolle Gefühlsseligkeit und überschwängliche, leider nur fast völlig gegenstandslose Vaterlandsliebe war die Mutter, ein Hauch aus den Maurerlogen, die damals in den Studentenorden vielfach Nachahmung fanden, der Vater unsres Landes'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/316>, abgerufen am 16.06.2024.