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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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doch hin, um sie zu erträglich glaubwürdigen Berichterstattern solcher Ereignisse
zu machen, die sie selbst erfuhren oder aus ältern römischen Historikern ent¬
lehnten.

So kam es, daß seit dem sechsten Jahrhundert bei den Germanen eine
zwiefache Ueberlieferung neben einander lief, eine gelehrte lateinische christliche,
geschriebene und eine volksmäßige, altheimische, mit heidnischen Anschauungen
erfüllte, durch Gesang sortgetragene. Groß war der Gegensatz beider Rich¬
tungen, und durch viele Jahrhunderte arbeiteten beide einander zu verderben.
Mancher Chronist, wie z. B. der Se. Galler Biograph Karl des Großen
und viele Legendenschreiber sind nichts als dürftige und schwunglose Sagen¬
erzähler. Mancher treuherzige Sänger dagegen versuchte die historischen
Schriften der Bibel, ja die aufgezeichneten Thaten alter Könige und Kaiser
nach dem schriftlichen Bericht in heimischer Weise durch Vers und Saitenspiel
darzustellen. Mehr als ein talentvoller Mönch schrieb in lateinischer Sprache
sowohl wahrhaft und nüchtern die Geschichte seiner Zeit, als in der Weise
römischer Dichter poetisch und sagenhaft alte Sangesüberlieferungen, dann ging
derselbe Schreiber, ohne die Verschiedenheit völlig zu begreifen, zwiespältige
Wege, historische Thatsachen der Kenntniß folgender Geschlechter zu überliefern.
Aber die Schrift und die nüchterne, nur die Thatsachen bewahrende Weise der
mittelalterlichen Gelehrten gewann allmälig breiteren Boden; nach ihr zog sich
die Auffassung irdischer Ereignisse durch die Gebildeten, sie drang auch in die
kleineren Kreise des Volkes, der Unterschied zwischen geschichtlicher und poe¬
tischer Ueberlieferung kam allmälig in-das Bewußtsein der Menschen.

In der deutschen Urzeit war der Sänger Verkünder der Volksgeschichte
gewesen. Wenn die Magen und Mannen auf der Methbank ihres Häuptlings
saßen, dann hatte er einen Ehrenplatz zu'den Füßen des Wirthes. Leiden-
schaftlich war die Theilnahme der Zuhörer, wenn er den Gesang erhob, ihre
Augen leuchteten, sie trauerten und lachten nach seinem Willen, die Jungen
griffen zum Schwert, und die Greise klagten, daß ihnen die Kraft aus den Glie¬
dern geschwunden war. Seine Harfe tönte im Hofhält des Hunnenkönigs Attila,
wie in der Halle jedes Germanenhäuptlings; der Sänger wurde mit Arm¬
ringen und mit goldenen Brustmedaillcn beschenkt, mit Gewand und Unterhalt
belohnt, grade wie der wackre Mann der Feldschlacht. Sänger von großem
Talent zogen von der Halle eines Häuptlings zur andern, sie fuhren weit in
der Welt umher, kannten Antlitz und Sprache vieler Menschen und wurden
in Geschäften als vertraute Boten von ihren Schatzspendern versandt.

Auch als -das ganze Deutschland christlich geworden war und in jedem
ansehnlichen Kloster Geschichte aufgezeichnet wurde -- zur Zeit, der Sachsen-
und Frankenkaiser -- klang immer noch der alte Gesang lustig im Volke.
Auch an die Klostermauer lehnte der wandernde Sänger das Saitenspiel und


doch hin, um sie zu erträglich glaubwürdigen Berichterstattern solcher Ereignisse
zu machen, die sie selbst erfuhren oder aus ältern römischen Historikern ent¬
lehnten.

So kam es, daß seit dem sechsten Jahrhundert bei den Germanen eine
zwiefache Ueberlieferung neben einander lief, eine gelehrte lateinische christliche,
geschriebene und eine volksmäßige, altheimische, mit heidnischen Anschauungen
erfüllte, durch Gesang sortgetragene. Groß war der Gegensatz beider Rich¬
tungen, und durch viele Jahrhunderte arbeiteten beide einander zu verderben.
Mancher Chronist, wie z. B. der Se. Galler Biograph Karl des Großen
und viele Legendenschreiber sind nichts als dürftige und schwunglose Sagen¬
erzähler. Mancher treuherzige Sänger dagegen versuchte die historischen
Schriften der Bibel, ja die aufgezeichneten Thaten alter Könige und Kaiser
nach dem schriftlichen Bericht in heimischer Weise durch Vers und Saitenspiel
darzustellen. Mehr als ein talentvoller Mönch schrieb in lateinischer Sprache
sowohl wahrhaft und nüchtern die Geschichte seiner Zeit, als in der Weise
römischer Dichter poetisch und sagenhaft alte Sangesüberlieferungen, dann ging
derselbe Schreiber, ohne die Verschiedenheit völlig zu begreifen, zwiespältige
Wege, historische Thatsachen der Kenntniß folgender Geschlechter zu überliefern.
Aber die Schrift und die nüchterne, nur die Thatsachen bewahrende Weise der
mittelalterlichen Gelehrten gewann allmälig breiteren Boden; nach ihr zog sich
die Auffassung irdischer Ereignisse durch die Gebildeten, sie drang auch in die
kleineren Kreise des Volkes, der Unterschied zwischen geschichtlicher und poe¬
tischer Ueberlieferung kam allmälig in-das Bewußtsein der Menschen.

In der deutschen Urzeit war der Sänger Verkünder der Volksgeschichte
gewesen. Wenn die Magen und Mannen auf der Methbank ihres Häuptlings
saßen, dann hatte er einen Ehrenplatz zu'den Füßen des Wirthes. Leiden-
schaftlich war die Theilnahme der Zuhörer, wenn er den Gesang erhob, ihre
Augen leuchteten, sie trauerten und lachten nach seinem Willen, die Jungen
griffen zum Schwert, und die Greise klagten, daß ihnen die Kraft aus den Glie¬
dern geschwunden war. Seine Harfe tönte im Hofhält des Hunnenkönigs Attila,
wie in der Halle jedes Germanenhäuptlings; der Sänger wurde mit Arm¬
ringen und mit goldenen Brustmedaillcn beschenkt, mit Gewand und Unterhalt
belohnt, grade wie der wackre Mann der Feldschlacht. Sänger von großem
Talent zogen von der Halle eines Häuptlings zur andern, sie fuhren weit in
der Welt umher, kannten Antlitz und Sprache vieler Menschen und wurden
in Geschäften als vertraute Boten von ihren Schatzspendern versandt.

Auch als -das ganze Deutschland christlich geworden war und in jedem
ansehnlichen Kloster Geschichte aufgezeichnet wurde — zur Zeit, der Sachsen-
und Frankenkaiser — klang immer noch der alte Gesang lustig im Volke.
Auch an die Klostermauer lehnte der wandernde Sänger das Saitenspiel und


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[0036] doch hin, um sie zu erträglich glaubwürdigen Berichterstattern solcher Ereignisse zu machen, die sie selbst erfuhren oder aus ältern römischen Historikern ent¬ lehnten. So kam es, daß seit dem sechsten Jahrhundert bei den Germanen eine zwiefache Ueberlieferung neben einander lief, eine gelehrte lateinische christliche, geschriebene und eine volksmäßige, altheimische, mit heidnischen Anschauungen erfüllte, durch Gesang sortgetragene. Groß war der Gegensatz beider Rich¬ tungen, und durch viele Jahrhunderte arbeiteten beide einander zu verderben. Mancher Chronist, wie z. B. der Se. Galler Biograph Karl des Großen und viele Legendenschreiber sind nichts als dürftige und schwunglose Sagen¬ erzähler. Mancher treuherzige Sänger dagegen versuchte die historischen Schriften der Bibel, ja die aufgezeichneten Thaten alter Könige und Kaiser nach dem schriftlichen Bericht in heimischer Weise durch Vers und Saitenspiel darzustellen. Mehr als ein talentvoller Mönch schrieb in lateinischer Sprache sowohl wahrhaft und nüchtern die Geschichte seiner Zeit, als in der Weise römischer Dichter poetisch und sagenhaft alte Sangesüberlieferungen, dann ging derselbe Schreiber, ohne die Verschiedenheit völlig zu begreifen, zwiespältige Wege, historische Thatsachen der Kenntniß folgender Geschlechter zu überliefern. Aber die Schrift und die nüchterne, nur die Thatsachen bewahrende Weise der mittelalterlichen Gelehrten gewann allmälig breiteren Boden; nach ihr zog sich die Auffassung irdischer Ereignisse durch die Gebildeten, sie drang auch in die kleineren Kreise des Volkes, der Unterschied zwischen geschichtlicher und poe¬ tischer Ueberlieferung kam allmälig in-das Bewußtsein der Menschen. In der deutschen Urzeit war der Sänger Verkünder der Volksgeschichte gewesen. Wenn die Magen und Mannen auf der Methbank ihres Häuptlings saßen, dann hatte er einen Ehrenplatz zu'den Füßen des Wirthes. Leiden- schaftlich war die Theilnahme der Zuhörer, wenn er den Gesang erhob, ihre Augen leuchteten, sie trauerten und lachten nach seinem Willen, die Jungen griffen zum Schwert, und die Greise klagten, daß ihnen die Kraft aus den Glie¬ dern geschwunden war. Seine Harfe tönte im Hofhält des Hunnenkönigs Attila, wie in der Halle jedes Germanenhäuptlings; der Sänger wurde mit Arm¬ ringen und mit goldenen Brustmedaillcn beschenkt, mit Gewand und Unterhalt belohnt, grade wie der wackre Mann der Feldschlacht. Sänger von großem Talent zogen von der Halle eines Häuptlings zur andern, sie fuhren weit in der Welt umher, kannten Antlitz und Sprache vieler Menschen und wurden in Geschäften als vertraute Boten von ihren Schatzspendern versandt. Auch als -das ganze Deutschland christlich geworden war und in jedem ansehnlichen Kloster Geschichte aufgezeichnet wurde — zur Zeit, der Sachsen- und Frankenkaiser — klang immer noch der alte Gesang lustig im Volke. Auch an die Klostermauer lehnte der wandernde Sänger das Saitenspiel und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/36>, abgerufen am 18.06.2024.