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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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der in ihnen sprechende Deutschenhaß sich in das Gewand des Eifers für Rechts¬
gleichheit, Freiheit und Menschenwürde kleidete, den dortigen Zuständen gegen¬
über in der That den Anschein der Berechtigung. Es war bis jetzt allerdings
in Livland wie in Kurland ungemein viel, worüber sich Nagen ließ. Ehe wir
das jedoch betrachten, werfen wir einen Blick auf die Kläger.

Die Partei, welche das baltische Deutschthum bekämpft, zerfällt in drei
Gruppen: die unitarische, die demokratische und die büreaukratische.

Zu der unitarischen Gruppe, welche die Herren Katkoff, Alsakoff und Leon¬
tuff zu Führern und die "Moskowskija Wicdomosti" zum Organ hat, gehören
alle prononcirt nationalgesinnten Russen. Dieselbe sieht überall das Gespenst
einer kosmopolitischen Partei, welches das Russenthum nicht nur in seiner Ver¬
breitung, sondern auch in seinem Bestand bedroht, und will im Reiche nichts
Fremdes mehr leiden. Sie zerfällt wieder in zwei Fractionen: eine mildere,
an deren Spitze Katkoff steht, ein gebildeter Mann, der ein warmer Freund
classischer Bildung und ein Verehrer englischer Civilisation ist und nur alle
nationalen Unterschiede in Rußland verwischt und die Einheit in Rechten und
Institutionen zwischen den einzelnen Bestandtheilen des Reichs hergestellt wissen
will, und eine stvckrusfische, die vorzugsweise von Aksakoff vertreten wird und
alles Nichtrussische fanatisch von sich stößt.

Dann kommen die Demokraten, die, seit die Bauernemancipation erfolgt
und eine Reorganisation der Gerichte zugesagt ist, nur mit finstrer Stirn von
dem baltischen Junkerregiment und den dortigen Patrimonialgerichten sprechen
können. Sie wird vorzüglich vom "Invaliden" vertreten. An ihrer Spitze steht
ein Deutscher, der ein intelligenter Mann ist, und ihre Agitation hat in den
letzten Jahren manche Reform rascher eintreten lassen, als dieselbe ohne ihre
Rührigkeit gekommen sein würde. Es fällt schwer, mit ihr nicht zu sympathi-
siren; wenn die Liberalen in den Ostseeprovinzen es nicht thun, so ist es des'
halb, weil die octroyirten Reformen, welche von Petersburg kommen würden,
den baltischen Provinzen neben einigem Guten auch viel Schlechtes bringen
würden, und weil die Fortentrvicklung einer Legislation in der einmal vor¬
handenen Bahn, als naturgemäßer, stärkere Bürgschaften der Dauer und Tüchtig¬
keit in sich trägt, als eine fremde Gesetzgebung, die künstlich in ein Land ver¬
pflanzt wird. Diesen Demokraten ist mehr Geduld und mehr Vorsicht anzu-
rathen. Sie laufen sonst Gefahr, mit den Stockrussen Moskaus und mit der
sogleich zu charaktensirenden dritten Partei gemeinschaftliche Sache zu machen,
die sie sofort bei Seite schieben würden, sobald ihre vereinten Angriffe zum
Siege geführt hätten. Das Bewußtsein ihres ehrlichen Strebens für Frei¬
heit und Gleichberechtigung sollte ihr den Muth geben, sich den Angriffen gegen¬
über, welche die baltische Junkerpartei gegen sie richtet, ruhig und gemessen zu
Verhalten und nicht von dem Wunsch nach Repressalien sich in das Lager dran-


der in ihnen sprechende Deutschenhaß sich in das Gewand des Eifers für Rechts¬
gleichheit, Freiheit und Menschenwürde kleidete, den dortigen Zuständen gegen¬
über in der That den Anschein der Berechtigung. Es war bis jetzt allerdings
in Livland wie in Kurland ungemein viel, worüber sich Nagen ließ. Ehe wir
das jedoch betrachten, werfen wir einen Blick auf die Kläger.

Die Partei, welche das baltische Deutschthum bekämpft, zerfällt in drei
Gruppen: die unitarische, die demokratische und die büreaukratische.

Zu der unitarischen Gruppe, welche die Herren Katkoff, Alsakoff und Leon¬
tuff zu Führern und die „Moskowskija Wicdomosti" zum Organ hat, gehören
alle prononcirt nationalgesinnten Russen. Dieselbe sieht überall das Gespenst
einer kosmopolitischen Partei, welches das Russenthum nicht nur in seiner Ver¬
breitung, sondern auch in seinem Bestand bedroht, und will im Reiche nichts
Fremdes mehr leiden. Sie zerfällt wieder in zwei Fractionen: eine mildere,
an deren Spitze Katkoff steht, ein gebildeter Mann, der ein warmer Freund
classischer Bildung und ein Verehrer englischer Civilisation ist und nur alle
nationalen Unterschiede in Rußland verwischt und die Einheit in Rechten und
Institutionen zwischen den einzelnen Bestandtheilen des Reichs hergestellt wissen
will, und eine stvckrusfische, die vorzugsweise von Aksakoff vertreten wird und
alles Nichtrussische fanatisch von sich stößt.

Dann kommen die Demokraten, die, seit die Bauernemancipation erfolgt
und eine Reorganisation der Gerichte zugesagt ist, nur mit finstrer Stirn von
dem baltischen Junkerregiment und den dortigen Patrimonialgerichten sprechen
können. Sie wird vorzüglich vom „Invaliden" vertreten. An ihrer Spitze steht
ein Deutscher, der ein intelligenter Mann ist, und ihre Agitation hat in den
letzten Jahren manche Reform rascher eintreten lassen, als dieselbe ohne ihre
Rührigkeit gekommen sein würde. Es fällt schwer, mit ihr nicht zu sympathi-
siren; wenn die Liberalen in den Ostseeprovinzen es nicht thun, so ist es des'
halb, weil die octroyirten Reformen, welche von Petersburg kommen würden,
den baltischen Provinzen neben einigem Guten auch viel Schlechtes bringen
würden, und weil die Fortentrvicklung einer Legislation in der einmal vor¬
handenen Bahn, als naturgemäßer, stärkere Bürgschaften der Dauer und Tüchtig¬
keit in sich trägt, als eine fremde Gesetzgebung, die künstlich in ein Land ver¬
pflanzt wird. Diesen Demokraten ist mehr Geduld und mehr Vorsicht anzu-
rathen. Sie laufen sonst Gefahr, mit den Stockrussen Moskaus und mit der
sogleich zu charaktensirenden dritten Partei gemeinschaftliche Sache zu machen,
die sie sofort bei Seite schieben würden, sobald ihre vereinten Angriffe zum
Siege geführt hätten. Das Bewußtsein ihres ehrlichen Strebens für Frei¬
heit und Gleichberechtigung sollte ihr den Muth geben, sich den Angriffen gegen¬
über, welche die baltische Junkerpartei gegen sie richtet, ruhig und gemessen zu
Verhalten und nicht von dem Wunsch nach Repressalien sich in das Lager dran-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/400>, abgerufen am 16.06.2024.