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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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jeder bedeutende Name gruppirt sofort einen Ring von Ncclcimen um sich, die
Adoption beanspruchen und sich nach dem Gefeierten taufen lassen. Ein Turn¬
fest bedeckt die Spalten der Zeitungen mit Turncrutensilien, die ein paar Jahre
vorher beim Schillerfest Schillerutensilien waren, wir haben Humboldtfcdern,
Jenny-Lindhäubchen, Kossuthhüte. Garibaldiketten, Victoriaseise und Dolziger-
Schnaps -- letzterer, wie man behauptet, ein probates Mittel, die Pflanze des
echten Schleswig-holstein-meerumschlungnen Patriotismus selbst im Winter rasch
zum Blühen zu bringen.

Nur selten tritt die Reclame in so paradiesischer Naivetät auf, daß sie von
vornherein Farbe bekennt, wie in einem Beispiel, welches der Versasser sich vor
einigen Monaten aus einer Beilage zur Nationalzeitung notirte, und in welchem
der Betreffende sein Inserat, worin nachgewiesen wurde, daß gewisse Figuren-
schablonen für die Kinderstube auch den Respect der erwachsenen Menschheit
verdienten, da sie Hypochonder in Humoristen verwandelten, ganz aufrichtig und
ehrlich "Eine Reclame für Herrn Protzen" nannte.

Besonders günstig für das Gedeihen der Reclame sind gewisse Zeiten des
Jahres, die Wochen vor Weihnachten, der Eintritt des Frühlings und des
Winters, Jahrmarkts- und Mcßzeiten z. B. Doch gilt dies nur von kleineren
Orten, in den größeren bemerkt der Forscher nach dieser Seite hin keinen we¬
sentlichen Unterschied.

In Amerika, London und Paris giebts lebendige und ambulante Reclame",
Dienstmänner in auffallender Uniform, die, bisweilen zu Dutzenden hinter ein¬
ander aufmarschirend, an Stangen Tafeln mit großgedrucktcn Annoncen durch
die Straßen tragen; ja unter Barnums Regiment sah man Kameele und Ele¬
phanten im Dienst der newyorker Reclame verwendet.

Außerordentlich häufig ist allenthalben die illustrirte Reclame von der be¬
scheidenen Form, die nur mit einer zeigenden Hand auf ihre Wichtigkeit auf¬
merksam macht, bis zu der vornehmen Gattung hinaus, die ganz oder fast ganz
Bild ist, und zu der unter anderm die Mehrzahl der Photographien und Lithv'
graphien in den Schaufenstern unsrer Kunstladcn, mit denen sich neueingetrosfne
beifallsbcdürftige Künstler und Künstlerinnen in allen Stellungen dem verehrten
Publikum empfehlen, dann ein großer Theil der Bildnisse und Etablissements
industrieller, merkantiler und musikalischer Größen der Gegenwart gehört, welche
unsre illustnrten Zeitungen schmücken. Wie geistvoll, wie schwärmerisch, wie
unternehmend, wie vielversprechend sehen diese Physiognomien aus, welch eine
prachtvolle Anlage hat die Fabrik, die uns hier vorgeführt wird, wie roman¬
tisch da" Bad, das uns der Holzschnitt aus seiner Einsamkeit hebt, wie elegant
die Faxade dieses neuen Gasthofs! Und wenn man das Original zu Gesicht
bekommt, wie groß ist oft die Enttäuschung!

Der Eine sammelt Autographen, ein Andrer Schmetterlinge, ein Dritter


jeder bedeutende Name gruppirt sofort einen Ring von Ncclcimen um sich, die
Adoption beanspruchen und sich nach dem Gefeierten taufen lassen. Ein Turn¬
fest bedeckt die Spalten der Zeitungen mit Turncrutensilien, die ein paar Jahre
vorher beim Schillerfest Schillerutensilien waren, wir haben Humboldtfcdern,
Jenny-Lindhäubchen, Kossuthhüte. Garibaldiketten, Victoriaseise und Dolziger-
Schnaps — letzterer, wie man behauptet, ein probates Mittel, die Pflanze des
echten Schleswig-holstein-meerumschlungnen Patriotismus selbst im Winter rasch
zum Blühen zu bringen.

Nur selten tritt die Reclame in so paradiesischer Naivetät auf, daß sie von
vornherein Farbe bekennt, wie in einem Beispiel, welches der Versasser sich vor
einigen Monaten aus einer Beilage zur Nationalzeitung notirte, und in welchem
der Betreffende sein Inserat, worin nachgewiesen wurde, daß gewisse Figuren-
schablonen für die Kinderstube auch den Respect der erwachsenen Menschheit
verdienten, da sie Hypochonder in Humoristen verwandelten, ganz aufrichtig und
ehrlich „Eine Reclame für Herrn Protzen" nannte.

Besonders günstig für das Gedeihen der Reclame sind gewisse Zeiten des
Jahres, die Wochen vor Weihnachten, der Eintritt des Frühlings und des
Winters, Jahrmarkts- und Mcßzeiten z. B. Doch gilt dies nur von kleineren
Orten, in den größeren bemerkt der Forscher nach dieser Seite hin keinen we¬
sentlichen Unterschied.

In Amerika, London und Paris giebts lebendige und ambulante Reclame»,
Dienstmänner in auffallender Uniform, die, bisweilen zu Dutzenden hinter ein¬
ander aufmarschirend, an Stangen Tafeln mit großgedrucktcn Annoncen durch
die Straßen tragen; ja unter Barnums Regiment sah man Kameele und Ele¬
phanten im Dienst der newyorker Reclame verwendet.

Außerordentlich häufig ist allenthalben die illustrirte Reclame von der be¬
scheidenen Form, die nur mit einer zeigenden Hand auf ihre Wichtigkeit auf¬
merksam macht, bis zu der vornehmen Gattung hinaus, die ganz oder fast ganz
Bild ist, und zu der unter anderm die Mehrzahl der Photographien und Lithv'
graphien in den Schaufenstern unsrer Kunstladcn, mit denen sich neueingetrosfne
beifallsbcdürftige Künstler und Künstlerinnen in allen Stellungen dem verehrten
Publikum empfehlen, dann ein großer Theil der Bildnisse und Etablissements
industrieller, merkantiler und musikalischer Größen der Gegenwart gehört, welche
unsre illustnrten Zeitungen schmücken. Wie geistvoll, wie schwärmerisch, wie
unternehmend, wie vielversprechend sehen diese Physiognomien aus, welch eine
prachtvolle Anlage hat die Fabrik, die uns hier vorgeführt wird, wie roman¬
tisch da» Bad, das uns der Holzschnitt aus seiner Einsamkeit hebt, wie elegant
die Faxade dieses neuen Gasthofs! Und wenn man das Original zu Gesicht
bekommt, wie groß ist oft die Enttäuschung!

Der Eine sammelt Autographen, ein Andrer Schmetterlinge, ein Dritter


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[0122] jeder bedeutende Name gruppirt sofort einen Ring von Ncclcimen um sich, die Adoption beanspruchen und sich nach dem Gefeierten taufen lassen. Ein Turn¬ fest bedeckt die Spalten der Zeitungen mit Turncrutensilien, die ein paar Jahre vorher beim Schillerfest Schillerutensilien waren, wir haben Humboldtfcdern, Jenny-Lindhäubchen, Kossuthhüte. Garibaldiketten, Victoriaseise und Dolziger- Schnaps — letzterer, wie man behauptet, ein probates Mittel, die Pflanze des echten Schleswig-holstein-meerumschlungnen Patriotismus selbst im Winter rasch zum Blühen zu bringen. Nur selten tritt die Reclame in so paradiesischer Naivetät auf, daß sie von vornherein Farbe bekennt, wie in einem Beispiel, welches der Versasser sich vor einigen Monaten aus einer Beilage zur Nationalzeitung notirte, und in welchem der Betreffende sein Inserat, worin nachgewiesen wurde, daß gewisse Figuren- schablonen für die Kinderstube auch den Respect der erwachsenen Menschheit verdienten, da sie Hypochonder in Humoristen verwandelten, ganz aufrichtig und ehrlich „Eine Reclame für Herrn Protzen" nannte. Besonders günstig für das Gedeihen der Reclame sind gewisse Zeiten des Jahres, die Wochen vor Weihnachten, der Eintritt des Frühlings und des Winters, Jahrmarkts- und Mcßzeiten z. B. Doch gilt dies nur von kleineren Orten, in den größeren bemerkt der Forscher nach dieser Seite hin keinen we¬ sentlichen Unterschied. In Amerika, London und Paris giebts lebendige und ambulante Reclame», Dienstmänner in auffallender Uniform, die, bisweilen zu Dutzenden hinter ein¬ ander aufmarschirend, an Stangen Tafeln mit großgedrucktcn Annoncen durch die Straßen tragen; ja unter Barnums Regiment sah man Kameele und Ele¬ phanten im Dienst der newyorker Reclame verwendet. Außerordentlich häufig ist allenthalben die illustrirte Reclame von der be¬ scheidenen Form, die nur mit einer zeigenden Hand auf ihre Wichtigkeit auf¬ merksam macht, bis zu der vornehmen Gattung hinaus, die ganz oder fast ganz Bild ist, und zu der unter anderm die Mehrzahl der Photographien und Lithv' graphien in den Schaufenstern unsrer Kunstladcn, mit denen sich neueingetrosfne beifallsbcdürftige Künstler und Künstlerinnen in allen Stellungen dem verehrten Publikum empfehlen, dann ein großer Theil der Bildnisse und Etablissements industrieller, merkantiler und musikalischer Größen der Gegenwart gehört, welche unsre illustnrten Zeitungen schmücken. Wie geistvoll, wie schwärmerisch, wie unternehmend, wie vielversprechend sehen diese Physiognomien aus, welch eine prachtvolle Anlage hat die Fabrik, die uns hier vorgeführt wird, wie roman¬ tisch da» Bad, das uns der Holzschnitt aus seiner Einsamkeit hebt, wie elegant die Faxade dieses neuen Gasthofs! Und wenn man das Original zu Gesicht bekommt, wie groß ist oft die Enttäuschung! Der Eine sammelt Autographen, ein Andrer Schmetterlinge, ein Dritter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/122>, abgerufen am 29.05.2024.