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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Was dieselbe trotzdem als solches gewirkt und geleistet, kommt in Bezug
auf Massenhaftigkeit wie auf Wichtigkeit ihren andern Thaten zum Mindesten
gleich. In der Photographie war zum ersten Mal die Möglichkeit gewonnen,
jedes Werk jeder Kunst, die farblosen wenigstens ganz unbedingt, in ab-
soluter Treue. Richtigkeit und Genauigkeit in Bildern jedes beliebigen Maßstabs
wiederzugeben, diese Bilder in grenzenloser Vervielfältigung immer neu zu wieder¬
holen und ihren Besitz und der Originale Anschauung dadurch überallhin zu
verbreiten, selbst in Lebenssphären, in welche vordem nie auch nur ein schwacher
Strahl von jener belebenden reinen Geistessonne der Kunst zu dringen ver¬
mochte. Die riesigen Reliefs, welche der Assyrer in die Wände seiner Königs-
Paläste schnitt, die Kolosse, welche vor Jahrtausenden der Aegypter aus dem
harten Granit und Basalt seiner Gebirge meißelte; die bunten Bilder und
Hieroglyphen, welche seiner Tempel Pylonen oder ungeheure Rundsäulen, so
gut wie die. welche seiner in ewige Nacht getauchten Grabkammern Wände
schmückten -- denn wo Sonnen- und Tageslicht den Photographen verläßt,
giebt ihm die Flamme des Magnesiumdrahts den fast vollkommnen Ersatz --;
die Reste aller Herrlichkeit griechischer und römischer Kunst; die reiche Wunder¬
welt zahlloser Statuen und Skulpturen, mit welcher der gothische Meister noch
in schwindelnder Höhe über der Erde, wohin keines Beschauers und keines
Zeichners Blick mehr hintrug, seine Münsterthürme und Streben belebte; alle
heitre und hohe, ernste und gewaltige Schönheit, welche die Wiedergeburt der
Künste an Mauern und Gewölben, auf Leinwand und Holz erblühen ließ; was
Dürers. Holbeins und so vieler Andrer Griffel und Messer dem Holzstock, was
Rembrandts Nadel der Platte eingrub, was aller Meister skizzirende Feder oder
Pinsel ersonnen oder die Natur nachbildend geistreich aufs Papier warf; jedes er¬
freuende Product der nach tausend Richtungen gewendeten, vielgestaltigen regsam
schaffenden Kunst der Gegenwart -- alles hat die Photographie in den Zauberkasten
ihrer dunkeln Kammer eingefangen, auf ihren Negativplatten im reinen Bilde, "in
dauernden Gestalten" befestigt, um fort und fort seine treuen Copien millionen¬
weise über die Erde auszustreuen. Das Abbild des erhabensten Werkes clas¬
sischer Kunst ist dadurch zum materiellen Werth des gemeinsten Bilderbogens
gebracht; das ehedem nur dem reichen Liebhaber Erschwingliche erwirbt, -- in
kleinerem Maßstab doch mathematisch ähnlich, --der Schulknabe und der Tag-
löhner, wenn er seinen Groschen nicht scheut. Es liegt darin eine ungeheure
Privilegienberaubung, eine wahrhaft demokratische Culturthat, deren Folgen
für die verschönernde und veredelnde Erziehung des Volkesgeistes und -Gemüths
sich heut noch gar nicht ermessen lassen.

DaS Hinderniß, welches die Farbe der photographischen Reproduction der
Gemälde bietet, wird darin fühlbar, daß deren so gewonnene Copien eine der
des Originals nicht entsprechende Harmonie in den Tönen geben. Wie genau


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Was dieselbe trotzdem als solches gewirkt und geleistet, kommt in Bezug
auf Massenhaftigkeit wie auf Wichtigkeit ihren andern Thaten zum Mindesten
gleich. In der Photographie war zum ersten Mal die Möglichkeit gewonnen,
jedes Werk jeder Kunst, die farblosen wenigstens ganz unbedingt, in ab-
soluter Treue. Richtigkeit und Genauigkeit in Bildern jedes beliebigen Maßstabs
wiederzugeben, diese Bilder in grenzenloser Vervielfältigung immer neu zu wieder¬
holen und ihren Besitz und der Originale Anschauung dadurch überallhin zu
verbreiten, selbst in Lebenssphären, in welche vordem nie auch nur ein schwacher
Strahl von jener belebenden reinen Geistessonne der Kunst zu dringen ver¬
mochte. Die riesigen Reliefs, welche der Assyrer in die Wände seiner Königs-
Paläste schnitt, die Kolosse, welche vor Jahrtausenden der Aegypter aus dem
harten Granit und Basalt seiner Gebirge meißelte; die bunten Bilder und
Hieroglyphen, welche seiner Tempel Pylonen oder ungeheure Rundsäulen, so
gut wie die. welche seiner in ewige Nacht getauchten Grabkammern Wände
schmückten — denn wo Sonnen- und Tageslicht den Photographen verläßt,
giebt ihm die Flamme des Magnesiumdrahts den fast vollkommnen Ersatz —;
die Reste aller Herrlichkeit griechischer und römischer Kunst; die reiche Wunder¬
welt zahlloser Statuen und Skulpturen, mit welcher der gothische Meister noch
in schwindelnder Höhe über der Erde, wohin keines Beschauers und keines
Zeichners Blick mehr hintrug, seine Münsterthürme und Streben belebte; alle
heitre und hohe, ernste und gewaltige Schönheit, welche die Wiedergeburt der
Künste an Mauern und Gewölben, auf Leinwand und Holz erblühen ließ; was
Dürers. Holbeins und so vieler Andrer Griffel und Messer dem Holzstock, was
Rembrandts Nadel der Platte eingrub, was aller Meister skizzirende Feder oder
Pinsel ersonnen oder die Natur nachbildend geistreich aufs Papier warf; jedes er¬
freuende Product der nach tausend Richtungen gewendeten, vielgestaltigen regsam
schaffenden Kunst der Gegenwart — alles hat die Photographie in den Zauberkasten
ihrer dunkeln Kammer eingefangen, auf ihren Negativplatten im reinen Bilde, „in
dauernden Gestalten" befestigt, um fort und fort seine treuen Copien millionen¬
weise über die Erde auszustreuen. Das Abbild des erhabensten Werkes clas¬
sischer Kunst ist dadurch zum materiellen Werth des gemeinsten Bilderbogens
gebracht; das ehedem nur dem reichen Liebhaber Erschwingliche erwirbt, — in
kleinerem Maßstab doch mathematisch ähnlich, —der Schulknabe und der Tag-
löhner, wenn er seinen Groschen nicht scheut. Es liegt darin eine ungeheure
Privilegienberaubung, eine wahrhaft demokratische Culturthat, deren Folgen
für die verschönernde und veredelnde Erziehung des Volkesgeistes und -Gemüths
sich heut noch gar nicht ermessen lassen.

DaS Hinderniß, welches die Farbe der photographischen Reproduction der
Gemälde bietet, wird darin fühlbar, daß deren so gewonnene Copien eine der
des Originals nicht entsprechende Harmonie in den Tönen geben. Wie genau


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[0189] Was dieselbe trotzdem als solches gewirkt und geleistet, kommt in Bezug auf Massenhaftigkeit wie auf Wichtigkeit ihren andern Thaten zum Mindesten gleich. In der Photographie war zum ersten Mal die Möglichkeit gewonnen, jedes Werk jeder Kunst, die farblosen wenigstens ganz unbedingt, in ab- soluter Treue. Richtigkeit und Genauigkeit in Bildern jedes beliebigen Maßstabs wiederzugeben, diese Bilder in grenzenloser Vervielfältigung immer neu zu wieder¬ holen und ihren Besitz und der Originale Anschauung dadurch überallhin zu verbreiten, selbst in Lebenssphären, in welche vordem nie auch nur ein schwacher Strahl von jener belebenden reinen Geistessonne der Kunst zu dringen ver¬ mochte. Die riesigen Reliefs, welche der Assyrer in die Wände seiner Königs- Paläste schnitt, die Kolosse, welche vor Jahrtausenden der Aegypter aus dem harten Granit und Basalt seiner Gebirge meißelte; die bunten Bilder und Hieroglyphen, welche seiner Tempel Pylonen oder ungeheure Rundsäulen, so gut wie die. welche seiner in ewige Nacht getauchten Grabkammern Wände schmückten — denn wo Sonnen- und Tageslicht den Photographen verläßt, giebt ihm die Flamme des Magnesiumdrahts den fast vollkommnen Ersatz —; die Reste aller Herrlichkeit griechischer und römischer Kunst; die reiche Wunder¬ welt zahlloser Statuen und Skulpturen, mit welcher der gothische Meister noch in schwindelnder Höhe über der Erde, wohin keines Beschauers und keines Zeichners Blick mehr hintrug, seine Münsterthürme und Streben belebte; alle heitre und hohe, ernste und gewaltige Schönheit, welche die Wiedergeburt der Künste an Mauern und Gewölben, auf Leinwand und Holz erblühen ließ; was Dürers. Holbeins und so vieler Andrer Griffel und Messer dem Holzstock, was Rembrandts Nadel der Platte eingrub, was aller Meister skizzirende Feder oder Pinsel ersonnen oder die Natur nachbildend geistreich aufs Papier warf; jedes er¬ freuende Product der nach tausend Richtungen gewendeten, vielgestaltigen regsam schaffenden Kunst der Gegenwart — alles hat die Photographie in den Zauberkasten ihrer dunkeln Kammer eingefangen, auf ihren Negativplatten im reinen Bilde, „in dauernden Gestalten" befestigt, um fort und fort seine treuen Copien millionen¬ weise über die Erde auszustreuen. Das Abbild des erhabensten Werkes clas¬ sischer Kunst ist dadurch zum materiellen Werth des gemeinsten Bilderbogens gebracht; das ehedem nur dem reichen Liebhaber Erschwingliche erwirbt, — in kleinerem Maßstab doch mathematisch ähnlich, —der Schulknabe und der Tag- löhner, wenn er seinen Groschen nicht scheut. Es liegt darin eine ungeheure Privilegienberaubung, eine wahrhaft demokratische Culturthat, deren Folgen für die verschönernde und veredelnde Erziehung des Volkesgeistes und -Gemüths sich heut noch gar nicht ermessen lassen. DaS Hinderniß, welches die Farbe der photographischen Reproduction der Gemälde bietet, wird darin fühlbar, daß deren so gewonnene Copien eine der des Originals nicht entsprechende Harmonie in den Tönen geben. Wie genau 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/189>, abgerufen am 04.06.2024.