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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ständig eingetreten. Denn dasselbe Publikum, welches vor jedem Schaufenster,
jedem Album auf seinen Tischen mit Rafael, mit Tizian, mit Dürer, Holbein
und Rembrandt, mit Michelangelo und Lionardo in unverkümmerter Gestalt
gespeist und genährt wird, greift z. B. mit kindischem Vergnügen doch auch
nach der abscheulichen bunten Mißgeburt moderner Kunstindustrie, dem Farben¬
druck, nach den unerträglichen, jeden wirklich gebildeten Sinn empörenden
Copien schlechter Landschäftchen, mittelmäßiger Genrebilder, wie sie die täglich
vermehrten "Chromolithographischen Institute" ihm hübsch roth, gelb, grün,
blau und in' "prächtigem Goldrahmen" als erwünschte Zierde seiner Wände
liefern!

Doch wir wollen nicht klagen, die Geschichte hat Zeit, und nie hat der
Schnelligkeit der Entwickelung einer großen folgenreichen Erfindung eine gleichen
Schritt damit haltende rapide Wandlung menschlicher Sinnesart und Denk¬
gewohnheit entsprochen. Die eben angeführte Beobachtung und Thatsache kann
sogar von einer tröstlichen Seite angesehn werden. Gegenüber der oft äußersten
Besorgniß. daß grade die kolossale Vulgarisirung des Besten aller Kunst, diese
Ueberfütterung der Masse mit der edelsten Sinnes- und Geistesnahrung, wie
sie die reproducirende Photographie herbeiführt, eine Abstumpfung, eine Blastrt-
heit gegen alle Kunstwerke und Kunstwirkungen im Gefolge haben müßte --
mag man sich an jenem naiven Vergnügen am Allernichtigsten sogar, als an
einem Beweise erfreun, daß jene trüben Besorgnisse und Voraussetzungen der
Begründung entbehren. Nein die allgemeinste Zugänglichkeit des Schönsten
stumpft nicht ab; wenn wir die Werke aller Classiker der Poesie und Literatur
für wenige Groschen erwerben könnten -- wer wollte davon ein Gleichgiltig-
werden gegen die Macht der Dichtung prophezeien?! Und jene Langsamkeit
im Reifen der Erkenntniß wird uns nicht daran verzagen lassen, daß die Photo¬
graphie auch auf diesem Gebiet ihre schöne Mission erfülle. Mit der Kunst
zusammenwirkend werden beide sich ergänzend, eine aus der andern immer neue
Bereicherung und Steigerung ihrer Kraft gewinnend, mächtig und segensreich
mitarbeiten an der fortschreitenden Cultur des menschlichen Geistes.




ständig eingetreten. Denn dasselbe Publikum, welches vor jedem Schaufenster,
jedem Album auf seinen Tischen mit Rafael, mit Tizian, mit Dürer, Holbein
und Rembrandt, mit Michelangelo und Lionardo in unverkümmerter Gestalt
gespeist und genährt wird, greift z. B. mit kindischem Vergnügen doch auch
nach der abscheulichen bunten Mißgeburt moderner Kunstindustrie, dem Farben¬
druck, nach den unerträglichen, jeden wirklich gebildeten Sinn empörenden
Copien schlechter Landschäftchen, mittelmäßiger Genrebilder, wie sie die täglich
vermehrten „Chromolithographischen Institute" ihm hübsch roth, gelb, grün,
blau und in' „prächtigem Goldrahmen" als erwünschte Zierde seiner Wände
liefern!

Doch wir wollen nicht klagen, die Geschichte hat Zeit, und nie hat der
Schnelligkeit der Entwickelung einer großen folgenreichen Erfindung eine gleichen
Schritt damit haltende rapide Wandlung menschlicher Sinnesart und Denk¬
gewohnheit entsprochen. Die eben angeführte Beobachtung und Thatsache kann
sogar von einer tröstlichen Seite angesehn werden. Gegenüber der oft äußersten
Besorgniß. daß grade die kolossale Vulgarisirung des Besten aller Kunst, diese
Ueberfütterung der Masse mit der edelsten Sinnes- und Geistesnahrung, wie
sie die reproducirende Photographie herbeiführt, eine Abstumpfung, eine Blastrt-
heit gegen alle Kunstwerke und Kunstwirkungen im Gefolge haben müßte —
mag man sich an jenem naiven Vergnügen am Allernichtigsten sogar, als an
einem Beweise erfreun, daß jene trüben Besorgnisse und Voraussetzungen der
Begründung entbehren. Nein die allgemeinste Zugänglichkeit des Schönsten
stumpft nicht ab; wenn wir die Werke aller Classiker der Poesie und Literatur
für wenige Groschen erwerben könnten — wer wollte davon ein Gleichgiltig-
werden gegen die Macht der Dichtung prophezeien?! Und jene Langsamkeit
im Reifen der Erkenntniß wird uns nicht daran verzagen lassen, daß die Photo¬
graphie auch auf diesem Gebiet ihre schöne Mission erfülle. Mit der Kunst
zusammenwirkend werden beide sich ergänzend, eine aus der andern immer neue
Bereicherung und Steigerung ihrer Kraft gewinnend, mächtig und segensreich
mitarbeiten an der fortschreitenden Cultur des menschlichen Geistes.




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[0192] ständig eingetreten. Denn dasselbe Publikum, welches vor jedem Schaufenster, jedem Album auf seinen Tischen mit Rafael, mit Tizian, mit Dürer, Holbein und Rembrandt, mit Michelangelo und Lionardo in unverkümmerter Gestalt gespeist und genährt wird, greift z. B. mit kindischem Vergnügen doch auch nach der abscheulichen bunten Mißgeburt moderner Kunstindustrie, dem Farben¬ druck, nach den unerträglichen, jeden wirklich gebildeten Sinn empörenden Copien schlechter Landschäftchen, mittelmäßiger Genrebilder, wie sie die täglich vermehrten „Chromolithographischen Institute" ihm hübsch roth, gelb, grün, blau und in' „prächtigem Goldrahmen" als erwünschte Zierde seiner Wände liefern! Doch wir wollen nicht klagen, die Geschichte hat Zeit, und nie hat der Schnelligkeit der Entwickelung einer großen folgenreichen Erfindung eine gleichen Schritt damit haltende rapide Wandlung menschlicher Sinnesart und Denk¬ gewohnheit entsprochen. Die eben angeführte Beobachtung und Thatsache kann sogar von einer tröstlichen Seite angesehn werden. Gegenüber der oft äußersten Besorgniß. daß grade die kolossale Vulgarisirung des Besten aller Kunst, diese Ueberfütterung der Masse mit der edelsten Sinnes- und Geistesnahrung, wie sie die reproducirende Photographie herbeiführt, eine Abstumpfung, eine Blastrt- heit gegen alle Kunstwerke und Kunstwirkungen im Gefolge haben müßte — mag man sich an jenem naiven Vergnügen am Allernichtigsten sogar, als an einem Beweise erfreun, daß jene trüben Besorgnisse und Voraussetzungen der Begründung entbehren. Nein die allgemeinste Zugänglichkeit des Schönsten stumpft nicht ab; wenn wir die Werke aller Classiker der Poesie und Literatur für wenige Groschen erwerben könnten — wer wollte davon ein Gleichgiltig- werden gegen die Macht der Dichtung prophezeien?! Und jene Langsamkeit im Reifen der Erkenntniß wird uns nicht daran verzagen lassen, daß die Photo¬ graphie auch auf diesem Gebiet ihre schöne Mission erfülle. Mit der Kunst zusammenwirkend werden beide sich ergänzend, eine aus der andern immer neue Bereicherung und Steigerung ihrer Kraft gewinnend, mächtig und segensreich mitarbeiten an der fortschreitenden Cultur des menschlichen Geistes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/192>, abgerufen am 16.05.2024.