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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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rechtlichen Verhältniß zu Rom stand,^) als der Kaiser Anastasius ihm die coäi-
villi as consulatu übersandte. Andrerseits findet sich diese Titulatur auch nicht
durchgängig, wenigstens die Herrscher des tolosanischen Reichs haben sie nie em¬
pfangen. Ebenso vergeblich hat man eine Bestätigung dieser Ansicht darin gesucht,
daß von diesen Königen der Ausdruck Rerum äomiui gebraucht sei. der eine blos
factische juristisch nichtige Gewalt bezeichne. Denn einmal begegnet dieser Aus¬
druck von den Westgothen in der sogenannten Intei-prötatio, also zu einer Zeit,
in welcher niemand zweifelt, daß ihr Reich auch juristisch als neben Rom stehend,
als unabhängig von ihm galt, sodann aber wird er von Sidonius Apollinaris
dem Kaiser selbst beigelegt.

Aller Begründung entbehrt endlich die Behauptung einiger Geschichtschreiber
dieser Periode, daß in diesen Staaten kaiserliche Beamte geblieben seien, durch
welche der Kaiser direct und tief habe eingreifen können in die inneren Ver¬
hältnisse derselben.

Dagegen ist nicht zu verkennen, was wir oben sagten, daß eine Reihe
germanischer Staaten gegründet wurden, indem die Könige bei der Abtretung
des Landes sich zu bestimmten Leistungen an Rom, namentlich zu Kriegsdiensten
verpflichteten und den Kaiser als ihren Oberherrn anerkannten. Lange Jahre,
bis zum Untergange Westroms, blieben die Burgunden in diesem Verhältniß,
während die Westgothen, welche 419 auf solchen Vertrag hin Aquitanien mit
der Hauptstadt Toulouse empfingen, schon seit den Jahren 425 oder 30 als
von Rom unabhängig angesehen werden müssen. Ein sprechender Beweis für
diese Selbständigkeit liegt darin, daß sie bei dem Zuge Attilas gegen Gallien
nur durch besondere Verhandlungen bewogen wurden, diesen Gegner mit Rom
gemeinsam zu bekämpfen, während die abhängigen Burgunden, Alanen "c. ein¬
fach unter die Fahne gerufen werden.

Im Gegensatz zu diesen Staat"n gründen die Vandalen in Afrika, die
Longobarden in Italien ihr Reich durch Eroberung. Ihnen war der Provinciale
also rechtlos preisgegeben, während die Burgunden ze. ihm einen bestimmten
Theil des Grundbesitzes und ohne Zweifel eine Reihe anderer Rechte hatten
zusagen müssen.

Aus dieser staatsrechtlichen Verbindung germanischer Staaten mit Rom ist
einmal die Ausbreitung zu erklären, welche die Idee von der Ewigkeit des
römischen Weltreichs fand, von der idealen Oberherrschaft des Kaisers über die
civilistrte Welt. Diese Vorstellung, welche die religiöse Weihe erhielt, indem
man das Imperium romanum als die vierte Monarchie bezeichnete, von welcher
der Prophet Daniel verheißt, daß sie dauern werde bis an das Ende der Tage,
gehört nämlich keineswegs erst dem spätern Mittelalter an, wo allerdings selbst



') Wenigstens ist die deutsche Wissenschaft einstimmig dieser Ansicht und wird durch den
Widerspruch einiger Franzosen sich nicht irren lassen.
Vrcnzboten II. 1866. 23

rechtlichen Verhältniß zu Rom stand,^) als der Kaiser Anastasius ihm die coäi-
villi as consulatu übersandte. Andrerseits findet sich diese Titulatur auch nicht
durchgängig, wenigstens die Herrscher des tolosanischen Reichs haben sie nie em¬
pfangen. Ebenso vergeblich hat man eine Bestätigung dieser Ansicht darin gesucht,
daß von diesen Königen der Ausdruck Rerum äomiui gebraucht sei. der eine blos
factische juristisch nichtige Gewalt bezeichne. Denn einmal begegnet dieser Aus¬
druck von den Westgothen in der sogenannten Intei-prötatio, also zu einer Zeit,
in welcher niemand zweifelt, daß ihr Reich auch juristisch als neben Rom stehend,
als unabhängig von ihm galt, sodann aber wird er von Sidonius Apollinaris
dem Kaiser selbst beigelegt.

Aller Begründung entbehrt endlich die Behauptung einiger Geschichtschreiber
dieser Periode, daß in diesen Staaten kaiserliche Beamte geblieben seien, durch
welche der Kaiser direct und tief habe eingreifen können in die inneren Ver¬
hältnisse derselben.

Dagegen ist nicht zu verkennen, was wir oben sagten, daß eine Reihe
germanischer Staaten gegründet wurden, indem die Könige bei der Abtretung
des Landes sich zu bestimmten Leistungen an Rom, namentlich zu Kriegsdiensten
verpflichteten und den Kaiser als ihren Oberherrn anerkannten. Lange Jahre,
bis zum Untergange Westroms, blieben die Burgunden in diesem Verhältniß,
während die Westgothen, welche 419 auf solchen Vertrag hin Aquitanien mit
der Hauptstadt Toulouse empfingen, schon seit den Jahren 425 oder 30 als
von Rom unabhängig angesehen werden müssen. Ein sprechender Beweis für
diese Selbständigkeit liegt darin, daß sie bei dem Zuge Attilas gegen Gallien
nur durch besondere Verhandlungen bewogen wurden, diesen Gegner mit Rom
gemeinsam zu bekämpfen, während die abhängigen Burgunden, Alanen »c. ein¬
fach unter die Fahne gerufen werden.

Im Gegensatz zu diesen Staat«n gründen die Vandalen in Afrika, die
Longobarden in Italien ihr Reich durch Eroberung. Ihnen war der Provinciale
also rechtlos preisgegeben, während die Burgunden ze. ihm einen bestimmten
Theil des Grundbesitzes und ohne Zweifel eine Reihe anderer Rechte hatten
zusagen müssen.

Aus dieser staatsrechtlichen Verbindung germanischer Staaten mit Rom ist
einmal die Ausbreitung zu erklären, welche die Idee von der Ewigkeit des
römischen Weltreichs fand, von der idealen Oberherrschaft des Kaisers über die
civilistrte Welt. Diese Vorstellung, welche die religiöse Weihe erhielt, indem
man das Imperium romanum als die vierte Monarchie bezeichnete, von welcher
der Prophet Daniel verheißt, daß sie dauern werde bis an das Ende der Tage,
gehört nämlich keineswegs erst dem spätern Mittelalter an, wo allerdings selbst



') Wenigstens ist die deutsche Wissenschaft einstimmig dieser Ansicht und wird durch den
Widerspruch einiger Franzosen sich nicht irren lassen.
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[0195] rechtlichen Verhältniß zu Rom stand,^) als der Kaiser Anastasius ihm die coäi- villi as consulatu übersandte. Andrerseits findet sich diese Titulatur auch nicht durchgängig, wenigstens die Herrscher des tolosanischen Reichs haben sie nie em¬ pfangen. Ebenso vergeblich hat man eine Bestätigung dieser Ansicht darin gesucht, daß von diesen Königen der Ausdruck Rerum äomiui gebraucht sei. der eine blos factische juristisch nichtige Gewalt bezeichne. Denn einmal begegnet dieser Aus¬ druck von den Westgothen in der sogenannten Intei-prötatio, also zu einer Zeit, in welcher niemand zweifelt, daß ihr Reich auch juristisch als neben Rom stehend, als unabhängig von ihm galt, sodann aber wird er von Sidonius Apollinaris dem Kaiser selbst beigelegt. Aller Begründung entbehrt endlich die Behauptung einiger Geschichtschreiber dieser Periode, daß in diesen Staaten kaiserliche Beamte geblieben seien, durch welche der Kaiser direct und tief habe eingreifen können in die inneren Ver¬ hältnisse derselben. Dagegen ist nicht zu verkennen, was wir oben sagten, daß eine Reihe germanischer Staaten gegründet wurden, indem die Könige bei der Abtretung des Landes sich zu bestimmten Leistungen an Rom, namentlich zu Kriegsdiensten verpflichteten und den Kaiser als ihren Oberherrn anerkannten. Lange Jahre, bis zum Untergange Westroms, blieben die Burgunden in diesem Verhältniß, während die Westgothen, welche 419 auf solchen Vertrag hin Aquitanien mit der Hauptstadt Toulouse empfingen, schon seit den Jahren 425 oder 30 als von Rom unabhängig angesehen werden müssen. Ein sprechender Beweis für diese Selbständigkeit liegt darin, daß sie bei dem Zuge Attilas gegen Gallien nur durch besondere Verhandlungen bewogen wurden, diesen Gegner mit Rom gemeinsam zu bekämpfen, während die abhängigen Burgunden, Alanen »c. ein¬ fach unter die Fahne gerufen werden. Im Gegensatz zu diesen Staat«n gründen die Vandalen in Afrika, die Longobarden in Italien ihr Reich durch Eroberung. Ihnen war der Provinciale also rechtlos preisgegeben, während die Burgunden ze. ihm einen bestimmten Theil des Grundbesitzes und ohne Zweifel eine Reihe anderer Rechte hatten zusagen müssen. Aus dieser staatsrechtlichen Verbindung germanischer Staaten mit Rom ist einmal die Ausbreitung zu erklären, welche die Idee von der Ewigkeit des römischen Weltreichs fand, von der idealen Oberherrschaft des Kaisers über die civilistrte Welt. Diese Vorstellung, welche die religiöse Weihe erhielt, indem man das Imperium romanum als die vierte Monarchie bezeichnete, von welcher der Prophet Daniel verheißt, daß sie dauern werde bis an das Ende der Tage, gehört nämlich keineswegs erst dem spätern Mittelalter an, wo allerdings selbst ') Wenigstens ist die deutsche Wissenschaft einstimmig dieser Ansicht und wird durch den Widerspruch einiger Franzosen sich nicht irren lassen. Vrcnzboten II. 1866. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/195>, abgerufen am 10.06.2024.