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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Beziehungen in private directe Verbindung mit den hervorragenden Männern
gleicher Gesinnung in den Provinzen, während diese wieder ein Band in den
Kreisen und Städten knüpften. So kamen nach und nach alle Männer, welche
die Befreiung des Vaterlandes von äußerer und innerer Knechtschaft erstrebten,
in einen stillen, aus den Regierungskreisen geleiteten, aber von der Regierung
unabhängigen Verein, welcher natürlich nicht mit dem Tugendbund zu ver¬
wechseln ist, der die schwärmerischen und der bunten Form bedürftigen Elemente
in sich aufnahm. Da nur der Kampf auf Leben und Tod mit dem über¬
mächtigen Feinde die Aufgabe des Vereins lösen konnte, so hatte das militärische
Element in ihm entschieden das Uebergewicht, und von allen Soldaten war
niemand so sehr geeignet die innere Leitung zu übernehmen, wie grade Gnei-
senau, mit klarem Verstände, einer hochsinnigen und uneigennützigen Denkweise,
mit enthusiastischen, die ganze Welt umfassenden Combinationen und imponirender
Persönlichkeit. So stand Gneisenau Von dem Augenblick seines Auftretens in
Memel mit allem, was Preußens Volk damals Hervorstechendes hatte, in
engem, das ganze Leben nährenden Bunde. Vor allen andern mit Stein,
Scharnhorst, Götzen und mit dem in Pommern weilenden, aber an Thatkraft
und Geist hochstehenden und deshalb zu den Vertrauten gehörenden Blücher.
Wie mit den Menschen war Gneisenau mit allen Plänen und Werken derselben
in Gemeinschaft. Er betheiligte sich ebenso wohl an den Arbeiten für die
Neuconstituirung des Staates, als auch für die Armeereorganisation. In
ersterer Beziehung hielt er eine Verfassung, welche den Bürger an den höchsten
Interessen des Staates Theil nehmen macht, für nothwendig, nicht allein um
die Kräfte des Staates zu heben, sondern auch um seine Wehrkraft nach Außen
zu stärken. Aus diesem Gedanken heraus erklärte er sich schon damals für ein
Voltsheer, für allgemeine Wehrpflicht. Noch aber war dieser Gedanke nicht
reif, wurde verworfen und mußte sich erst in das Volk hineinarbeiten, um
1813 als Nothwendigkeit erkannt zu werden. Welcher Art die Verfassung war,
die Gneisenau für Preußen geeignet hielt, giebt Pertz auf Grund der noch
vorhandnen Schriftstücke Gneisenaus folgender Art an: "Die Verfassung müsse
vom Könige als ein Gnadengeschenk ausgehen. Es dürfe keine Civilliste ein¬
geführt werden, sondern der König müsse die Verwaltung und Einkünfte der
Domänen behalten und davon nach seiner Ueberzeugung die angemessenen Bei¬
träge zu den Staatsausgaben leisten. Den Ständen dürfe nur eine berathende,
nicht eine entscheidende Stimme zustehen. Die Reichsstände sollten aus den
Provinzialständen und nicht aus Gesammtwahlen. sondern aus den verschiedenen
Ständen der Nation hervorgehen und vorzugsweise den Grundbesitz vertreten,
indem durch Gesammtwahlen unpraktische Gelehrte und unruhige Advocaten in
die Reichsstände gelangen würden. Bei aller Freiheit der Berathung müsse
doch der König eine überwiegende Macht behalten, um die gefährliche Stellung


Beziehungen in private directe Verbindung mit den hervorragenden Männern
gleicher Gesinnung in den Provinzen, während diese wieder ein Band in den
Kreisen und Städten knüpften. So kamen nach und nach alle Männer, welche
die Befreiung des Vaterlandes von äußerer und innerer Knechtschaft erstrebten,
in einen stillen, aus den Regierungskreisen geleiteten, aber von der Regierung
unabhängigen Verein, welcher natürlich nicht mit dem Tugendbund zu ver¬
wechseln ist, der die schwärmerischen und der bunten Form bedürftigen Elemente
in sich aufnahm. Da nur der Kampf auf Leben und Tod mit dem über¬
mächtigen Feinde die Aufgabe des Vereins lösen konnte, so hatte das militärische
Element in ihm entschieden das Uebergewicht, und von allen Soldaten war
niemand so sehr geeignet die innere Leitung zu übernehmen, wie grade Gnei-
senau, mit klarem Verstände, einer hochsinnigen und uneigennützigen Denkweise,
mit enthusiastischen, die ganze Welt umfassenden Combinationen und imponirender
Persönlichkeit. So stand Gneisenau Von dem Augenblick seines Auftretens in
Memel mit allem, was Preußens Volk damals Hervorstechendes hatte, in
engem, das ganze Leben nährenden Bunde. Vor allen andern mit Stein,
Scharnhorst, Götzen und mit dem in Pommern weilenden, aber an Thatkraft
und Geist hochstehenden und deshalb zu den Vertrauten gehörenden Blücher.
Wie mit den Menschen war Gneisenau mit allen Plänen und Werken derselben
in Gemeinschaft. Er betheiligte sich ebenso wohl an den Arbeiten für die
Neuconstituirung des Staates, als auch für die Armeereorganisation. In
ersterer Beziehung hielt er eine Verfassung, welche den Bürger an den höchsten
Interessen des Staates Theil nehmen macht, für nothwendig, nicht allein um
die Kräfte des Staates zu heben, sondern auch um seine Wehrkraft nach Außen
zu stärken. Aus diesem Gedanken heraus erklärte er sich schon damals für ein
Voltsheer, für allgemeine Wehrpflicht. Noch aber war dieser Gedanke nicht
reif, wurde verworfen und mußte sich erst in das Volk hineinarbeiten, um
1813 als Nothwendigkeit erkannt zu werden. Welcher Art die Verfassung war,
die Gneisenau für Preußen geeignet hielt, giebt Pertz auf Grund der noch
vorhandnen Schriftstücke Gneisenaus folgender Art an: „Die Verfassung müsse
vom Könige als ein Gnadengeschenk ausgehen. Es dürfe keine Civilliste ein¬
geführt werden, sondern der König müsse die Verwaltung und Einkünfte der
Domänen behalten und davon nach seiner Ueberzeugung die angemessenen Bei¬
träge zu den Staatsausgaben leisten. Den Ständen dürfe nur eine berathende,
nicht eine entscheidende Stimme zustehen. Die Reichsstände sollten aus den
Provinzialständen und nicht aus Gesammtwahlen. sondern aus den verschiedenen
Ständen der Nation hervorgehen und vorzugsweise den Grundbesitz vertreten,
indem durch Gesammtwahlen unpraktische Gelehrte und unruhige Advocaten in
die Reichsstände gelangen würden. Bei aller Freiheit der Berathung müsse
doch der König eine überwiegende Macht behalten, um die gefährliche Stellung


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[0206] Beziehungen in private directe Verbindung mit den hervorragenden Männern gleicher Gesinnung in den Provinzen, während diese wieder ein Band in den Kreisen und Städten knüpften. So kamen nach und nach alle Männer, welche die Befreiung des Vaterlandes von äußerer und innerer Knechtschaft erstrebten, in einen stillen, aus den Regierungskreisen geleiteten, aber von der Regierung unabhängigen Verein, welcher natürlich nicht mit dem Tugendbund zu ver¬ wechseln ist, der die schwärmerischen und der bunten Form bedürftigen Elemente in sich aufnahm. Da nur der Kampf auf Leben und Tod mit dem über¬ mächtigen Feinde die Aufgabe des Vereins lösen konnte, so hatte das militärische Element in ihm entschieden das Uebergewicht, und von allen Soldaten war niemand so sehr geeignet die innere Leitung zu übernehmen, wie grade Gnei- senau, mit klarem Verstände, einer hochsinnigen und uneigennützigen Denkweise, mit enthusiastischen, die ganze Welt umfassenden Combinationen und imponirender Persönlichkeit. So stand Gneisenau Von dem Augenblick seines Auftretens in Memel mit allem, was Preußens Volk damals Hervorstechendes hatte, in engem, das ganze Leben nährenden Bunde. Vor allen andern mit Stein, Scharnhorst, Götzen und mit dem in Pommern weilenden, aber an Thatkraft und Geist hochstehenden und deshalb zu den Vertrauten gehörenden Blücher. Wie mit den Menschen war Gneisenau mit allen Plänen und Werken derselben in Gemeinschaft. Er betheiligte sich ebenso wohl an den Arbeiten für die Neuconstituirung des Staates, als auch für die Armeereorganisation. In ersterer Beziehung hielt er eine Verfassung, welche den Bürger an den höchsten Interessen des Staates Theil nehmen macht, für nothwendig, nicht allein um die Kräfte des Staates zu heben, sondern auch um seine Wehrkraft nach Außen zu stärken. Aus diesem Gedanken heraus erklärte er sich schon damals für ein Voltsheer, für allgemeine Wehrpflicht. Noch aber war dieser Gedanke nicht reif, wurde verworfen und mußte sich erst in das Volk hineinarbeiten, um 1813 als Nothwendigkeit erkannt zu werden. Welcher Art die Verfassung war, die Gneisenau für Preußen geeignet hielt, giebt Pertz auf Grund der noch vorhandnen Schriftstücke Gneisenaus folgender Art an: „Die Verfassung müsse vom Könige als ein Gnadengeschenk ausgehen. Es dürfe keine Civilliste ein¬ geführt werden, sondern der König müsse die Verwaltung und Einkünfte der Domänen behalten und davon nach seiner Ueberzeugung die angemessenen Bei¬ träge zu den Staatsausgaben leisten. Den Ständen dürfe nur eine berathende, nicht eine entscheidende Stimme zustehen. Die Reichsstände sollten aus den Provinzialständen und nicht aus Gesammtwahlen. sondern aus den verschiedenen Ständen der Nation hervorgehen und vorzugsweise den Grundbesitz vertreten, indem durch Gesammtwahlen unpraktische Gelehrte und unruhige Advocaten in die Reichsstände gelangen würden. Bei aller Freiheit der Berathung müsse doch der König eine überwiegende Macht behalten, um die gefährliche Stellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/206>, abgerufen am 16.05.2024.